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Neymar (links) und Dani Alves ziehen nicht nur an einem Strang, sondern danken Gott für fast jede gelungene Aktion. Das kann ihnen in Hinkunft Ärger durch die Fifa eintragen.

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Pai Kleber, ein Priester des Candomblé, schickt ihnen Kraft.

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Für Pai Kleber sind die Würfel schon gefallen. Der Priester des afrobrasilianischen Candomblé hat in seinem Tempel in São Paulo das Muschelorakel befragt. Und die Botschaft der Götter, der Orixás, war immer gleich. "Deutschland steht zu 94 Prozent im Finale, Brasilien zu 87 Prozent", sagt Pai Kleber entspannt in seinem mit afrikanischen Masken geschmückten Gebetsraum. "Insgesamt gibt es drei Möglichkeiten für das Endspiel", fügt er hinzu. Welche, verrät er aber nicht. Natürlich schickt Pai Kleber auch den Spielern der WM spirituelle Kraft, vor und nach dem Match. "Ich bin Brasilianer, aber als Priester bin ich für die ganze Welt da", erklärt er lächelnd.

Religion und Fußball gehören in Brasilien zusammen. Nicht nur in den afrobrasilianischen Tempeln, sondern vor allem in den zahlreichen Pfingstkirchen wird für die Seleção gebetet. Auch über die evangelikalen TV-Kanäle rufen die Pastoren rund um die Uhr zu seelischem Beistand auf. Auf den Schultern von Neymar und Kollegen lastet die Hoffnung des Landes. "Die brasilianische Mannschaft repräsentiert das Volk", sagt Pai Kleber. "Somit unterstützt das Volk die Athleten."

Eklat um einen Fisch

Auch viele Spieler stehen öffentlich zu ihrem Glauben. Die meisten sind Anhänger der Pfingstkirchen, zu denen sich inzwischen rund 20 Prozent der Brasilianer bekennen. Dazu gehören die Stürmer Neymar und Fred, Mittelfeldspieler Paulinho und Verteidiger Dani Alves, der durch sein großflächiges Jesus-Tattoo am Unterarm auffällt. Ersatzgoalie Jefferson ließ sich im vergangenen Jahr ein Fischsymbol auf seine Glatze malen und provozierte damit eine öffentliche Polemik. Der Fisch steht für die Pfingstgemeinschaft der "Athleten Christi". "Der Fisch soll zeigen, wie man seiner Konkurrenz davonschwimmt", sagte Jefferson das Symbol und betonte, dass er nicht daran denke, es entfernen zu lassen. Das brasilianische Sportgericht befasste sich mit dem Fall. Denn der Weltverband Fifa untersagt jede Art religiöser Bekenntnisse auf dem Platz. Als eine Geldstrafe drohte, fügte sich der Torhüter und zeigte sich mit einem neutralen Stern auf dem rasierten Kopf.

Bei dieser WM sollten verstärkt auf solche Regelverletzungen geachtet werden, hatte Fifa-Chef Joseph Blatter angekündigt. Besonders im Blick hat die Fifa Glaubensbekenntnisse auf T-Shirts, die unter den offiziellen Trikots getragen und nach einem Tor gezeigt werden. Aber auch die Jubelgesten mit den gestreckten Zeigefingern gen Himmel und das Bekreuzigen beim Einzug ins Stadion sind dem Weltfußballverband ein Dorn im Auge.

Vor allem die Brasilianer haben für diese rigide Regelauslegung wenig Verständnis. Auch der Religionswissenschafter Frank Usarski von der katholischen Universität in São Paulo ist skeptisch, dass das Fifa-Verbot alle religiösen Bekenntnisse auf dem Rasen verhindert. "Religion und Fußball haben viele Gemeinsamkeiten", sagt er. Allerdings gehe die aktuelle Nationalmannschaft diskreter mit dem Glauben um.

Vorbeter Kaká

In der Vergangenheit war das anders. Einen Eklat gab es beim Confederations Cup 2009 in Südafrika. Nach dem Finalsieg über die USA fielen die Brasilianer auf die Knie und beteten inbrünstig auf dem Rasen. Damals kam die Seleção mit einer Ermahnung davon. Kaká, jetzt beim AC Milan, galt als der religiöseste Spieler im damaligen Team. Seine Trophäe als Weltfußballer des Jahres 2007 übergab er der Pfingstkirche "Wiedergeburt in Jesus" in São Paulo.

Nationaltrainer Felipe "Felipão" Scolari, selbst bekennender Katholik, hat deshalb in diesem Jahr eine bei den Spielern wenig populäre Strategie durchgesetzt. Gottesdienste im Trainingslager wurden verboten. Auch für evangelikale Pastoren, die seit Jahren freien Zutritt zur Mannschaft haben, blieben die Türen verschlossen. Der nationale Verband ließ verlauten, dass damit keine Religion privilegiert werde.

Stürmerstar Neymar ist seit seiner Kindheit Mitglied der Pfingstkirche Peniel am Stadtrand von São Paulo. Seinen Wechsel zum FC Barcelona habe er in die Hände Gottes gelegt, sagte der 22-Jährige und gab preis, dass er bislang zehn Prozent seines Gehalts für die Kirche gespendet habe.

Pastor Newton Lobato nutzt jetzt alle Kanäle und sozialen Netzwerke, um seinem Schützling Kraft zu geben. "Die ganzen Erwartungen Brasiliens liegen auf den Schultern dieses Jungen. Entweder er wird der Held oder der Buhmann der Nation." (Susann Kreutzmann aus São Paulo, DER STANDARD, 20.6.2014)