"Sorry, aber Instagram ist jetzt scheiße", titelte eine Journalistin ihren Artikel im "Vice"-Magazin. Die App zeige zu viel Werbung an, zu viel irrelevantes Zeug wie gesunde Kochrezepte, bekrittelt die Autorin. "Wenn es so weitermacht, landet Instagram bald bei den anderen Social-Media-Zombies." Sie meint damit etwa Facebook. Denn auch diese Plattform ist längst nicht mehr das, was sie einmal war.

Einst konnte man dort seinen Freundinnen und Freunden dabei zusehen, wie sie per Interrail ganz Europa erkundeten, im Club zum Lieblingslied zappelten, ein Bild mit Aquarellfarben pinselten oder ihren neuen Partner anhimmelten. Per Direktnachricht blieb man stets in Kontakt – egal ob mit den Schulkolleginnen oder der Urlaubsliebe. Stattdessen tauchen nun vermehrt Kurzvideos in der Timeline auf, Bilder und Memes von Accounts, denen man eigentlich gar nicht folgt. Allenfalls postet eine ältere Verwandte ein Foto ihres Gartens oder einen geschmacklosen Kalenderspruch.

Das hängt bei beiden Plattformen mit dem veränderten Algorithmus zusammen, den der Meta-Konzern vor rund zwei Jahren eingeführt hat. Er sorgt dafür, dass den Nutzerinnen und Nutzern nicht mehr vor allem das angezeigt wird, was sie selbst sehen wollen, sondern das, was nach Ansicht von Instagram und Facebook für sie relevant ist.

Nicht wenigen stößt das sauer auf. Er sehe hauptsächlich Werbung und Beiträge von Influencern, urteilt ein Journalist des Onlinemagazins "Krautreporter". "Oft frage ich mich, ob überhaupt noch echte Menschen in den sozialen Netzwerken posten", schreibt er weiter. In einem anderen Artikel konstatiert er: "Die sozialen Medien sterben gerade aus."

Ist es wirklich vorbei?

Ein ähnlicher Satz war kürzlich im "Economist" zu lesen. Die Zeitung veröffentlichte anlässlich des 20-jährigen Jubiläums von Facebook im Februar einen Artikel mit dem Titel "The end of the social network". Auf dem Titelbild ist ein Emoji mit einem beleidigten Gesichtsausdruck zu sehen, das gerade im Meer versinkt. Die Menschen würden weniger posten, heißt es in dem Text. Der Anteil der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner, die ihr Leben gern online dokumentieren, sei seit 2020 von 40 Prozent auf 28 Prozent gesunken. Kann es wirklich sein, dass die Zeit der sozialen Netzwerke vorbei ist?

Frau mit Smartphone
Offenbar haben die Menschen weniger Lust als früher, ihr Leben online zu dokumentieren.
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Wer den ganzen Artikel im "Economist" liest, der merkt schnell, dass es nicht darum geht, die sozialen Medien totzusagen. Vielmehr ist von einer Transformation die Rede: Das Soziale an den sozialen Medien gehe verloren. Während sie nämlich ursprünglich dazu gedacht gewesen seien, persönliche mit massenmedialer Kommunikation zu verbinden, ändere sich das nun wieder. Die beiden Funktionen würden allmählich wieder getrennt. Statusmeldungen von Freunden seien Videos von Fremden gewichen; Postings würden nicht mehr auf Facebook und Co abgesetzt, sondern lieber auf Messengerdiensten wie Whatsapp oder Telegram.

Die neue Logik

Das alles sei nur die logische Folge einer Entwicklung, die schon länger im Gange sei, analysiert die "Neue Zürcher Zeitung" ("NZZ"). In den frühen Tagen von Facebook hätten die Nutzer sämtliche Beiträge unabhängig von deren Qualität zu sehen bekommen. Auch ob diese sie tatsächlich interessierten, sei nicht von Bedeutung gewesen – das Foto eines Mittagessens, das Selfie im Park, die kruden Gedanken zum Weltgeschehen, all das sei einfach aufgetaucht, und zwar in chronologischer Reihenfolge. Wer die meisten Follower gehabt habe, habe das größte Publikum gehabt.

Ab 2009 habe Facebook dann begonnen, Postings nach Beliebtheit zu sortieren. Was am besten gefiel, wurde ganz oben angezeigt. Seitdem habe der "engste Kreis" der Freunde und Familie immer stärker an Bedeutung verloren, so die Analyse der "NZZ".

Zuletzt hat sich der Meta-Konzern zudem immer stärker an Tiktok orientiert. Die App aus China ist vor allem bei Jüngeren äußerst beliebt. Nutzerinnen und Nutzer können dort kurze Videos hochladen, die mit Musik untermalt sind. Wer auf Tiktok unterwegs ist, bekommt immer wieder Inhalte von fremden Accounts zu sehen. Ingrid Brodnig, Expertin für Digitales, wundert das nicht: "Facebook und Instagram haben vermutlich gemerkt, dass das hilfreich ist, damit Menschen dranbleiben." Aus der Masse an Beiträgen wählt eine künstliche Intelligenz automatisch jene aus, die der Person vor dem Bildschirm gefallen könnten. Gleichzeitig kommen weniger Beiträge von Freundinnen oder Freunden.

Sich berieseln lassen

Was andere Beobachterinnen und Beobachter konstatieren, ist auch Brodnig aufgefallen: "Der soziale Aspekt an den sozialen Medien ist geringer geworden." Der Trend gehe vielmehr dahin, sich berieseln zu lassen. "Tiktok etwa funktioniert mehr wie RTL 2 als wie ein klassisches soziales Medium, wo es um den zwischenmenschlichen Austausch geht." Auf Tiktok veröffentlicht eine Minderheit die Mehrheit der Beiträge. Oder anders gesagt: Einige wenige zeigen sich, viele andere schauen ihnen dabei zu – anders als man es früher in sozialen Netzwerken gewohnt war, wo alle etwas preisgegeben haben.

Dass viele nicht mehr so viel Lust haben, sich online zu exponieren, gilt nicht nur für die USA. In Österreich zeigt sich aktuell ebenfalls, dass Jugendliche weniger soziale Medien nutzen. Begonnen habe die Ernüchterung schon vor Jahren damit, "dass Menschen beispielsweise ihren Job verloren haben, weil sie betrunken etwas auf Facebook gepostet haben". Falschmeldungen, Hasskommentare und Spott hätten ihr Übriges getan. "Wenn man Häme bekommt, weil man sein Mittagessen postet, überlegt man sich vielleicht: Dann poste ich eben nicht oder seltener."

"Wenn man Häme bekommt, weil man sein Mittagessen postet, überlegt man sich vielleicht: Dann poste ich eben nicht oder seltener." (Ingrid Brodnig, Expertin für Digitales)

Wer liefert also den ganzen Content? Influencer, Politikerinnen und Politiker und Menschen "mit einem großen Mitteilungsbedürfnis", etwa mit einem politischen Anliegen, sagt Brodnig. Aber auch Medien und Unternehmen, die ihre Produkte bewerben wollen. Die meisten anderen jedoch seien gewissermaßen ermüdet, sie lehnen sich lieber zurück und konsumieren. "Der Witz daran ist, dass das gar nicht so auffällt, weil die Feeds natürlich so gebaut sind, dass wir die Aktiven sehen. Wir sehen nicht, dass unsere Freundin Anna seit sieben Wochen nichts gepostet hat, davon hätte Facebook ja nichts."

Verlagerung in private Gruppen

Wenn die sozialen Netzwerke also vor allem zum Konsumieren da sind und sich der Austausch in die privaten Chats und Chatgruppen verlagert: Was sind die Folgen?

Zum Problem könnte werden, dass Messenger-Apps wie Whatsapp oder Telegram nicht moderiert werden. Das birgt natürlich Gefahren. In Indien hätten Politiker Whatsapp dazu genutzt, Lügen zu verbreiten – die auf einer Plattform wie Facebook womöglich bald gelöscht worden wären, so der "Economist". "Gerade in der Pandemie konnte man sehen, dass viele Falschinformationen und Verschwörungsmythen über Messenger-Apps verbreitet wurden", sagt Expertin Brodnig. Außerdem: Man dürfe nicht glauben, dass es in Chatgruppen immer friedlich und achtsam zugehe, auch dort würden Debatten eskalieren.

Eine weitere mögliche Folge sei, "dass soziale Medien zu einem hauptsächlichen Unterhaltungskanal werden", sagt Brodnig. Schwierig sei das beispielsweise für Protestbewegungen, für die Social Media wichtige Orte der Vernetzung seien. Die Expertin befürchtet außerdem eine weitere Emotionalisierung einer ohnehin schon sehr emotionalen öffentlichen Debatte: "Tiktok ist ein System, in dem aufwühlende Videos womöglich gute Karten haben, weil die Leute länger dabeibleiben."

Nicht alles schlecht

Aber nicht alles daran ist schlecht. Die Menschen dürften heute bewusster darüber nachdenken, was sie aus ihrem Privatleben preisgeben wollen und was nicht, mutmaßt Brodnig. "Wir haben gelernt, nicht alles posten zu müssen." Den Moment zu genießen scheint wieder mehr en vogue. Die Kanäle würden nun auch kritischer betrachtet. "Als Social Media neu und frisch waren, war da ein großer Enthusiasmus. Man dachte: Wow, ich kann mich mit meiner Schulfreundin vernetzen, die ich seit zehn Jahren nicht gesehen habe, oder Freunde aus Argentinien anschreiben." Jetzt hätten viele die Schattenseiten erkannt. "Ich glaube, dass die goldenen Zeiten von Social Media vorbei sind."

Einige sind übrigens der Meinung, dass die Zukunft der Plattformen in ihrer Vergangenheit liegt. Solange sie nicht zu dem zurückkehren, was sie einmal waren, würden sie ganz sicher zugrunde gehen. Aber ob sie damit recht behalten? Die Nutzerzahlen von Instagram sind stetig gewachsen und sollen noch weiter wachsen. Obwohl die Menschen also müde sind zu posten, obwohl sie genervt sind – sie bleiben dabei. (Lisa Breit, 1.4.2024)