George Washibngtons Landsitz Mount Vernon
Mount Vernon, der Landsitz des ersten Präsidenten der USA, liegt am nördlichen Ufer des Potomac River, rund 20 Kilometer südlich des Weißen Hauses.
Foto: Mount Vernon Ladies’ Association (MVLA)

Der erste Präsident der Vereinigten Staaten kam aus der kulturellen Elite der Plantagenbesitzer im Staat Virginia. Der Familiensitz der Washingtons umfasste seit 1674 ein Stück Land am Ufer des Potomac River in Fairfax County, etwa 15 Meilen südlich von Washington, D.C., entfernt. 1734 wurde dort von George Washingtons Vater Augustine ein Anwesen erbaut, das im Laufe der Jahrzehnte stetig wuchs.

Mount Vernon

Das Herrenhaus aus Holz, in einem klassizistisch geprägten Baustil errichtet, hieß zunächst Little Hunting Creek Plantation, erhielt aber von Washingtons Halbbruder in Erinnerung an den Vizeadmiral Edward Vernon den bleibenden Namen Mount Vernon. 1761 nahm George Washington das Haus selbst in Besitz, dort verbrachte er viele Jahre mit seiner Frau Martha, und dort sollte er am 14. Dezember 1799 auch sterben.

Heute ist Mount Vernon ein Museum. Als Wohnsitz und Sterbeort eines Gründervaters der USA ist das Gebäude ein amerikanisches Wahrzeichen erster Güte – und damit eigentlich gut untersucht. Umso verblüffender ist daher, dass Archäologinnen und Archäologen dort immer noch Überraschungen erleben können: Nun wurden in Mount Vernon zwei weitgehend unbeschädigte dunkelgrüne Glasflaschen ausgegraben, angefüllt mit jahrhundertealten Kirschen.

Zwei Glasflaschen mit Kirschenüberresten in Mount Vernon
Zwei dunkelgrüne Glasflaschen waren vor rund 250 Jahren unter dem Kellerboden von Mount Vernon eingegraben und vergessen worden.
Foto: Mount Vernon Ladies’ Association (MVLA)

Unter dem Kellerboden

Die Forschenden machten ihre spektakuläre Entdeckung im Rahmen eines umfassenden Revitalisierungsprojektes von Mount Vernon. Bei der Gelegenheit wollte man auch nachsehen, was sich unter dem Keller verbirgt. Die Neugier hat sich ausgezahlt: Als der Archäologe Nick Beard im vergangenen Herbst gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen den Bereich unter dem Ziegelboden des Kellers untersuchte, stießen sie auf zwei unversehrte, rund 25 Zentimeter hohe Flaschen, in denen noch etwas umherschwappte.

Man wusste bereits, dass der Boden in den 1770er-Jahren neu verlegt worden war, die Behältnisse mussten also älter sein. Vom Stil her lassen sie sich in die 1740er- bis 1750er-Jahren einordnen. Der Fund von womöglich über 250 Jahre alten intakten Flaschen ist damit an sich schon eine kleine Sensation.

Zwei Glasflaschen werden von ArchäologInnen in Mount Vernon freigelegt
Die Freilegung der Glasflaschen war eine anspruchsvolle Angelegenheit.
Foto: Mount Vernon Ladies’ Association (MVLA)

Ganze Früchte

Für die weitere Konservierung der Glasflaschen leerte man deren Inhalt in 15 kleinere Gefäße um und untersuchte ihn genauer. Dabei entdeckte das Team unversehrte Kirschen, Kerne, Stiele sowie einen "klebrigen Rückstand". "Es gibt ganze, erkennbare Kirschen", sagte Jason Boroughs, der leitende Archäologe von Mount Vernon, gegenüber der Washington Post. "Es roch tatsächlich nach Kirschblüten."

Die Wissenschafter vermuten, dass es sich bei der zähflüssigen bernsteinfarbenen Substanz größtenteils um Grundwasser handelt, das eindringen konnte, nachdem die Korken im Laufe der Zeit zerfallen waren. Es ist nicht das erste Mal, dass in Virginia solche Gefäße mit Kirschen und anderen Früchten gefunden wurden: Im Jahr 1966 grub man in Williamsburg mehrere Flaschen aus, und 1981 wurden weitere Flaschen am Landgut Monticello (Virginia), dem Anwesen von Thomas Jefferson, entdeckt.

Alice Keith entfernt den Inhalt einer der Flaschen
Alice Keith entfernt im Labor den Inhalt einer der Flaschen und findet unter anderem vollständige Früchte.
Foto: Mount Vernon Ladies’ Association (MVLA)

Kochzutaten

Im 17. und 18. Jahrhundert war in den USA ein Getränk namens Cherry Bounce besonders populär. Auch die Washingtons dürften Freude an der aus Branntwein, Gewürzen, Zucker und vor allem Kirschsaft hergestellten Spirituose gefunden haben. Normalerweise aber wurde dieses Getränk in größeren Gefäßen aufbewahrt. Boroughs und seine Gruppe kamen daher zu dem Schluss, dass die in den Flaschen aufbewahrten Früchte für andere Zwecke konserviert worden waren, etwa zum Backen.

Geerntet wurden die Kirschen wahrscheinlich in den 1770er-Jahren, die Flaschen selbst kamen aus England und stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Das Team geht davon aus, dass sie spätestens 1776 vergraben worden waren, vielleicht also noch vor Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges (1775).

Video: Zwei Flaschen aus dem 18. Jahrhundert entdeckt.
George Washington's Mount Vernon

Haltbarkeit überschritten

"Es gibt schriftliche Aufzeichnungen aus dem 18. Jahrhundert, in denen die richtige Art der Konservierung von Obst und Gemüse festgehalten wurde", sagte Boroughs. "Eine der gebräuchlichsten, vor allem bei Beeren, bestand darin, sie zu trocknen, in eine trockene Flasche zu füllen, diese zu verkorken und dann zu vergraben." Unter solchen Umständen aufbewahrt, seien sie bis zu einem Jahr haltbar, sagte der Archäologe.

Auf Washingtons großem Anwesen am Potomac River schufteten einige Hundert Sklaven. Es ist also wahrscheinlich, dass die Kirschen von diesen Sklaven abgefüllt und eingelagert wurden und nicht etwa von Mitgliedern der Familie oder George Washington selbst, so Boroughs. Verzehrt wurden sie freilich im Hauptspeisesaal im Obergeschoß von Mount Vernon. (Thomas Bergmayr, 4.5.2024)