Mit Reichensteuern kann Ingrid Robeyns nicht viel anfangen. Selbst ein hoher Spitzensteuersatz würde nicht ausreichen, um den Besitz der Superreichen auf ein für sie ethisch vertretbares Maß zu schrumpfen. Allein das Vermögen der fünf reichsten Männer der Welt hat sich seit 2020 auf 869 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Gleichzeitig sind fünf Milliarden Menschen weltweit ärmer geworden.

Um diese Schere ein Stück weit zu schließen, schlägt die Philosophin und Wirtschaftsethikerin in ihrem Buch Limitarismus eine radikalere Lösung vor: eine absolute Obergrenze für Vermögen. Im STANDARD-Interview erklärt sie, wie viel Geld zu viel ist – und warum selbst harte Arbeit kein Freibrief für grenzenlosen Reichtum sein sollte.

Die Superyacht Amore Vero soll über 100 Millionen Euro wert sein. Da sie in Verbindung mit dem russischen Unternehmer Igor Setschin steht, hat der französische Zoll sie beschlagnahmt.
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STANDARD: Frau Robeyns, warum wollen Sie den Reichen das Geld wegnehmen?

Robeyns: Wegnehmen ist vielleicht das falsche Wort. Es geht mir darum, die Gesellschaft so zu verändern, dass Vermögen gerechter verteilt wird. Es würde natürlich trotzdem noch beträchtliche Ungleichheiten geben. Menschen können noch ziemlich reich werden, aber eben nicht mehr übermäßig reich. Das ist mein langfristiges gesellschaftliches Ideal.

STANDARD: Was ist das Problem mit den Ultrareichen?

Robeyns: Bei Veranstaltungen lasse ich die Anwesenden oft schätzen, wie viel die reichsten zehn Prozent besitzen, das reichste Prozent besitzt – und die Menschen schätzen das meist falsch ein. In Österreich haben die untersten 80 Prozent weniger Vermögen als das oberste Prozent. Wenn einzelne Personen mehrere zig Millionen oder gar Milliarden haben, geht es nicht mehr um das schöne Haus – sondern dann wird Geld zu Macht. Sie können die Politik in ihrem Sinne beeinflussen, für die Abschaffung von Erbschaftssteuern oder niedrigere Unternehmenssteuern lobbyieren.

STANDARD: Sind es nicht eher große Konzerne und Unternehmensverbände, die die Politik beeinflussen?

Robeyns: Ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem. Denken Sie nur an die Koch-Brüder in den USA, die Milliarden in politisches Lobbying investiert und maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Republikanische Partei nach rechts gerückt ist. Beim obersten Prozent geht es nicht mehr um ein schönes Leben, sondern um Macht. Wie viel kostet ein schönes Haus in Wien?

STANDARD: Vielleicht zwei Millionen Euro.

Robeyns: Dann könnten Sie sich mit einer Milliarde Euro 500 schöne Häuser kaufen. In einem wohnen Sie selbst, zwei geben Sie Ihren Kindern. Dann haben Sie immer noch 497 Häuser, die Sie vermieten können – und so immer reicher werden. Was ich damit sagen will: Eine Milliarde Euro ist einfach verdammt viel Geld.

STANDARD: Aber nicht alle Milliardäre sind auf unredliche Weise zu ihrem Geld gekommen. Manche haben auch Impfstoffe entwickelt, neuen Technologien zum Durchbruch verholfen oder machen einfach Musik, die vielen Menschen gefällt – wie die frischgebackene Milliardärin Taylor Swift.

Robeyns: Die grundsätzliche, philosophische Frage der Debatte lautet ja: Kann man so viel Geld überhaupt verdienen? Ich glaube, dass niemand es wirklich verdient, Milliardär zu sein. Harte Arbeit ist sicher ein Faktor, aber letztlich spielen auch Faktoren wie Talent, Glück, Aussehen und natürlich das Elternhaus eine Rolle. Die Eltern von Taylor Swift sind umgezogen, damit ihre Tochter ihre Musikkarriere voranbringen kann. Die Schule von Bill Gates war damals eine der ersten, die einen Computer hatten. Warum? Weil seine Mutter über den Elternverein einen organisierte. Sie soll außerdem mithilfe ihrer Kontakte geholfen haben, einen folgenreichen Deal mit IBM einzufädeln. Nicht alle Eltern haben diese Möglichkeiten.

Haus ja, Yacht nein – Ingrid Robeyns will Vermögen auf zehn Millionen Euro beschränken.
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STANDARD: Manche würden einwenden, dass schon die – wenn auch sehr unwahrscheinliche – Möglichkeit, extrem reich zu werden, Menschen dazu motiviert, viel zu leisten, Risiken einzugehen. Würden Menschen nicht aufhören, sich anzustrengen, wenn diese Perspektive wegfällt?

Robeyns: Natürlich will man Anreize nicht zu stark zerstören – und es muss Spielraum für Ungleichheit geben. Aber warum sollten die potenziellen Gewinne, etwa für unternehmerisches Risiko, grenzenlos sein? Es gibt keinen Beweis, dass das innovationsfördernd ist. Es gibt viele Menschen, die auch ohne diese Anreize Innovation schaffen.

STANDARD: Welche?

Robeyns: Wissenschafter etwa, die "nur" ein Gehalt für ihre Forschung bekommen, obwohl sie teilweise bahnbrechende Ergebnisse liefern. Aber wir sollten ohnehin aufhören, Innovation als individuelles Risiko zu sehen. Die Arbeiten der Ökonomin Mariana Mazzucato sind in diesem Zusammenhang sehr interessant: Sie hat beobachtet, dass bis in die 1970er-Jahren vor allem der Staat die großen Risiken eingegangen ist. Private Akteure wurden natürlich trotzdem miteinbezogen – so entstanden am Ende viele neue Technologien. Man denke nur an die Mondlandung.

STANDARD: Wo ziehen Sie nun die Linie für Reichtum? Wie viel ist genug?

Robeyns: Ich schlage zwei Limits vor: ein politisches und ein persönliches. Die politische Grenze sollte so gewählt sein, dass sie die negativen Effekte enormen Reichtums minimalisiert und gleichzeitig Raum für Innovation lässt. Es gibt allerdings noch keine Forschung darüber, wie hoch sie sein sollte – und man müsste es wohl auch regional anpassen. In den USA brauchen Sie etwa mehr Geld für die Gesundheitsversorgung als in Europa. Ich glaube, dass zehn Millionen ein gutes Limit wäre.

STANDARD: Und das persönliche Limit?

Robeyns: Das ist eine ethische Grenze, die jeder für sich selbst festlegen muss. Sie sollte sich daran bemessen, wie viel man für ein gutes Leben braucht. Wir haben in den Niederlanden eine Umfrage gemacht, in der wir Menschen um Beschreibungen unterschiedlicher Lebensstandards gebeten haben. Interessanterweise zogen fast alle klar eine Grenze zwischen "wohlhabend" und "zu viel". Im Durchschnitt war diese Grenze bei 2,2 Millionen Euro für eine vierköpfige Familie. Ich denke, eine Million Euro wäre eine gute persönliche Reichtumsgrenze.

STANDARD: Auch eine progressive Vermögenssteuer würde Vermögen umverteilen. Superreiche würden dann auf die letzten Euro hohe Steuern zahlen, würden aber trotzdem noch einen Teil behalten dürfen. Warum beharren Sie so auf Obergrenzen?

Ingrid Robeyns begründete den Limitarismus mit - die Forderung nach einer Beschränkung von Reichtum.
Roland Pierik

Robeyns: Steuern sind ebenfalls wichtig, um die Ungleichheit zu bekämpfen – vor allem eine Erbschaftssteuer. In den nächsten Jahren werden weltweit Billionen an Euro an jüngere Generationen fließen, die für dieses Geld nichts getan haben. Statt Einkommen sollten wir Vermögen mehr besteuern, Steueroasen bekämpfen. Doch auch eine progressive Steuer ändert nichts an der Tatsache, dass jemand Multimillionär werden kann – was niemand verdient.

STANDARD: Wie soll der abgeschöpfte Reichtum verteilt werden?

Robeyns: Die UN-Fonds für Klimaschutz oder Klimawandelanpassung füllen sich nur sehr langsam – dort könnte man einzahlen. Wir müssen ökologische Schäden reparieren, die Unternehmen verursacht haben. Wir müssen die Menschen im Globalen Süden für ihre Arbeit und ihre Rohstoffe fairer entlohnen. Es gibt viele Möglichkeiten.

STANDARD: Denken Sie, dass eine Vermögensbegrenzung mehrheitsfähig wäre?

Robeyns: Noch nicht. Viele Menschen unterschätzen das Ausmaß der Ungleichheit. Die Mittelschicht fühlt sich zunehmend unsicher über die Zukunft, es gibt Ängste vor Klimawandel und Wohlstandsverlust. Viele machen aber nicht die Wohlhabenden, sondern die Randgruppen zum Sündenbock. Man muss sich nur die populistischen Parteien ansehen, die jetzt gewählt wurden – sie geben vor, für die einfachen Leute da zu sein. Aber ihr Abstimmungsverhalten im Parlament zeigt: Sie machen Politik für Reiche. Ihre Kommunikation ist pure Emotion, die Wahlprogramme inhaltslos. Dass so eine Idee wie der Limitarismus wirklich funktionieren kann, setzt voraus, dass sich die Menschen wirklich informieren. Das ist momentan leider oft nicht der Fall. (Philip Pramer, 27.6.2024)