Mit Peter Westenthaler als neuem, von der FPÖ entsandtem Stiftungsrat ist im obersten ORF-Gremium ein neuer Ton eingekehrt. "Anschüttungen, Niedermachen und Schlechtreden des ORF" beobachtet Lothar Lockl nun, "pauschale Diffamierungen des ORF und Herabwürdigungen von Mitarbeitern". Der von den Grünen entsandte Vorsitzende des Stiftungsrats vermutet grundsätzlich im STANDARD-Interview: "Hier drängt sich der Eindruck auf, dass es in Wirklichkeit um Zerschlagung des ORF geht." In der nächsten Sitzung im Juni werde man "klarstellen", dass Stiftungsräte eine Verantwortung und Sorgfaltspflicht gegenüber dem ORF haben.

Westenthaler hat schon nach seiner ersten Sitzung gegen Stiftungsratsvorsitzenden Lockl eine Beschwerde bei der Medienbehörde KommAustria eingebracht. Anlass: Lockl wollte einen Antrag Westenthalers nicht gleich abstimmen, sondern rechtlich prüfen lassen, ob der Stiftungsrat dafür überhaupt zuständig ist. Westenthaler beantragte, ORF-Generaldirektor Roland Weißmann zu ersuchen, mit der Regierung Gespräche über eine "alternative Finanzierungsform" für den ORF aufzunehmen – statt des ORF-Beitrags von allen. Westenthaler spricht von "politischer Willkür" Lockls.

Der Vorsitzende des Stiftungsrats will sich im STANDARD-Interview nicht zu einzelnen Mitgliedern des Gremiums äußern, "grundsätzlich" und ohne Namensnennung sagt er aber sehr deutlich, was er davon hält. Und er warnt: "Wenn man den ORF zerstört, zerstört man ein Stück Österreich, der österreichischen Identität, der Kultur, des Sports, auch der Volkskultur."

Gehaltstransparenz für Leistungsorientierung

Die Veröffentlichung der ORF-Spitzengehälter, die Anfang April für heftige Diskussionen sorgte, sieht Transparenz-Fan Lockl im Gespräch positiv als Chance für den ORF. "Das wird eine die Performance- und Leistungskultur im ORF noch stärker in den Vordergrund rücken. Jetzt braucht es mehr Performance- und Leistungskultur, mehr Leistungsorientierung. Das bedeutet: Es geht um die Seherinnen, Hörer, Userinnen. Wir wollen ein ORF für alle sein. Ziel ist, das beste öffentlich-rechtliche Programm zu machen, auf allen Kanälen."

Lothar Lockl, Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats.
"Wenn man den ORF zerstört, zerstört man ein Stück Österreich, der österreichischen Identität, der Kultur, des Sports, auch der Volkskultur": Lothar Lockl, Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats.
Heribert Corn

"In Wirklichkeit geht es um Zerschlagung des ORF"

STANDARD: Der Verfassungsgerichtshof verlangt neue Regeln für die Besetzung des ORF-Stiftungsrats, um das oberste ORF-Gremium von der Regierung unabhängiger zu machen. Braucht es das aus Ihrer Erfahrung?

Lockl: Im Grundsatz würde ich begrüßen, wenn es möglichst rasch Klarheit über die neuen Rahmenbedingungen gibt. Wir sollten uns nicht allzu sehr mit uns selbst beschäftigen, sondern das Publikum in den Mittelpunkt stellen.

STANDARD: In der ÖVP gibt es Überlegungen, mit einer Novelle auch gleich den Stiftungsrat neu zu bestellen, vielleicht auch gleich die ORF-Führung. Der Stiftungsrat würde damit für vier Jahre über die Wahl hinaus zementiert – die Höchstrichter streichen die Möglichkeit, Stiftungsräte nach Wahlen vorzeitig abzulösen.

Lockl: Ich höre davon bisher nichts.

STANDARD: Wollen Sie als Vorsitzender des Stiftungsrats für die nächsten vier Jahre fixiert werden?

Lockl: Nein, will ich nicht. Aber: Der Verfassungsgerichtshof will die Autonomie der Stiftungsrätinnen und Stiftungsräte stärken. Er möchte nicht, dass sie innerhalb einer Funktionsperiode nach Wahlen abgelöst werden können. Das stärkt die Unabhängigkeit, und ich finde das ist positiv. Die Frage ist: Ab wann gilt das, ab wann ist das in Kraft?

STANDARD: Stiftungsratsmitglied Heinz Lederer hat der ORF-Führung nahegelegt, ihre Funktionen aus Eigenem zur Verfügung zu stellen, wenn es ein neues ORF-Gesetz und einen neuen Stiftungsrat gibt. Was halten Sie davon?

"Wenn man einen bestehenden Vertrag einseitig vorzeitig auflösen will, verursacht das natürlich Kosten für den ORF."

Lockl: Warten wir einmal ab, ob es zu neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen und einer Neuordnung des Stiftungsrats kommt und wann sie in Kraft treten. Ich muss aber darauf hinweisen: Das Gesetz verlangt vom ORF Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Mitglieder der Geschäftsführung haben Verträge über fünf Jahre bis 2026. Wenn man einen bestehenden Vertrag einseitig vorzeitig auflösen will, verursacht das natürlich Kosten für den ORF.

STANDARD: Die Verträge müssen dann für die vereinbarte Laufzeit ausbezahlt werden.

Lockl: Genau.

STANDARD: Mit Ihrer Erfahrung: Wie könnte man denn einen idealen Besetzungsmodus erreichen?

Lockl: Der Stiftungsrat ist dem Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften nachempfunden. Er ist dem Wohl des Unternehmens verpflichtet, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vor allem aber dem Publikum. Gesetzliche Maßnahmen, die das unterstützen, finde ich gut.

STANDARD: Nicht alle politischen Fraktionen wirken, als wären ihnen starke journalistische Medien, öffentlich-rechtliche wie private, ein besonderes Anliegen.

Lockl: In allen europäischen Ländern stehen freie und unabhängige Medien unter Druck. Wir brauchen für das Funktionieren einer liberalen Demokratie aber freie und unabhängige Medien. Eine Säule ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, eine zweite sind private Medien. Es braucht diese beiden Säulen. Je mehr sie unter Druck stehen, desto mehr muss man für sie kämpfen.

STANDARD: Sie meinen politischen Druck?

Lockl: Ich meine zwei Arten von Druck. Auch in Österreich gibt es Kräfte und einzelne Personen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerschlagen und zerstören wollen. Andererseits stehen Medien unter wirtschaftlichem Druck internationaler Digitalkonzerne, die nicht nur das Sozialleben der Userinnen durchleuchten, sondern auch jene Werbegelder absaugen, die bisher Medien finanziert haben. Dem muss man möglichst rasch etwas entgegensetzen. Beim ORF bedeutet das etwa, die politische Unabhängigkeit im Sinne des Verfassungsgerichtshofs zu stärken.

"Kritik ist wichtig, und Kritik ist eine Chance, besser zu werden. Aber pauschale Diffamierungen des ORF und Herabwürdigungen von Mitarbeitern sind etwas anderes."

STANDARD: Sie sagen, Stiftungsräte sind dem Wohl des ORF verpflichtet. Haben Sie diesen Eindruck von Peter Westenthaler, von der FPÖ in den Stiftungsrat entsandt? Oder sehen Sie ihn unter jenen "einzelnen Personen", die den ORF zerstören wollten?

Lockl: Lassen Sie mich die Frage im Grundsatz beantworten: Kritik ist wichtig, und Kritik ist eine Chance, besser zu werden. Aber pauschale Diffamierungen des ORF und Herabwürdigungen von Mitarbeitern sind etwas anderes. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass es in Wirklichkeit um Zerschlagung des ORF geht.

STANDARD: Klingt nach Peter Westenthaler.

Lockl: Ich kommentiere keine Namen. Offenbar gibt es einzelne Personen, die ein Problem mit freien und unabhängigen Medien haben. Die nicht wollen, dass der ORF in seiner gesamten Breite an Information, Unterhaltung, Kultur, Sport der Bevölkerung zur Verfügung steht. Ich sehe von dieser Seite Anschüttungen, Niedermachen und Schlechtreden des ORF. Aber ich habe noch keine Vorschläge für ein besseres Programm gehört. Dauererregung wird das Programm nicht besser machen, ganz im Gegenteil. Die Bedeutungen und die Leistungen des ORF und die Akzeptanz beim Publikum kommen in dieser medienpolitischen Diskussion nicht mehr vor.

STANDARD: Was fehlt Ihnen da?

Lockl: Der ORF ist eines der erfolgreichsten Rundfunkunternehmen in Europa – nach Reichweiten, Marktanteilen, Akzeptanz. Der ORF ist wirklich im internationalen Maßstab ein Erfolgsmodell. 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung ab zwölf Jahren nützen mindestens ein ORF-Angebot pro Tag. 75 Prozent der Bevölkerung sagen, der ORF ist wichtig oder sehr wichtig. Dieser Teil findet momentan kein Gehör. Der ORF hat seit Jahreswechsel ein massiv ausgeweitetes Mehrangebot zu für mehr als drei Millionen Haushalte geringeren Kosten. Man zahlt umgerechnet 50 Cent pro Tag für das gesamte Angebot, von Fernsehen bis Radio, Online und Streaming. Das fehlt mir in der Debatte. Ich verwahre mich auch gegen das pauschale Diskreditieren des Publikums und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus.

"Wenn man Mitglied in einem Aufsichtsrat ist, hat man entsprechende Sorgfaltspflichten zu beachten. Möglicherweise wird man darauf auch noch einmal hinweisen müssen."

STANDARD: Müssten der Stiftungsrat oder sein Vorsitzender nicht gegen Angriffe auf den ORF und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einzelne von ihnen persönlich beleidigend, nicht reagieren, das zurückweisen?

Lockl: Ich denke, ich habe mich gerade sehr klar geäußert. Der ORF muss sich natürlich Diskussionen stellen. Und ich behaupte nicht, dass alles gut ist im ORF. Konstruktive Kritik bringt uns weiter. Systematisches Schlechtreden sicher nicht. Wir werden das sicher bei der nächsten Sitzung des Stiftungsrats im Juni besprechen und klarstellen.

STANDARD: Gibt es nicht auch rechtliche Möglichkeiten, gegen Verhalten vorzugehen, das man als ruf- oder unternehmensschädigend erkennt?

Lockl: Der Stiftungsrat ist kein Gemeinderat. Wenn jemand für einen Gemeinderat, einen Landtag, den Nationalrat kandidieren will, dann soll er das tun. Wenn man Mitglied in einem Aufsichtsrat ist, hat man entsprechende Sorgfaltspflichten zu beachten. Möglicherweise wird man darauf auch noch einmal hinweisen müssen.

STANDARD: Die FPÖ spricht sich für eine Budgetfinanzierung statt des ORF-Beitrags aus, und sie will den ORF auf einen "Grundfunk" reduzieren.

Lockl: Ich frage mich: Was will man da streichen?

"Wenn man den ORF zerstört, zerstört man ein Stück Österreich, der österreichischen Identität, der Kultur, des Sports, auch der Volkskultur."

STANDARD: In Chats und öffentlichen Ankündigungen gab es Überlegungen, Landesstudios zu streichen, ORF 1 einzustellen oder zu verkaufen, Ö3 fand Herbert Kickl als FPÖ-Mediensprecher schon verzichtbar …

Lockl: Das sagt sich leicht, aber jeder ORF-Kanal hat bestimmte Aufgaben. Der ORF investiert hunderte Millionen in die österreichische Filmwirtschaft, in die Musikwirtschaft, in die Kultur, in den Sport. Was genau will man da streichen? Will man keinen österreichischen Sport im öffentlich-rechtlichen ORF? Schladming oder Kitzbühel nur mehr im Pay-TV? Sollen regionale Veranstaltungen nicht mehr stattfinden, weil sie auf regionale ORF-Berichterstattung angewiesen sind, um Sponsoren zu gewinnen? Will man die österreichische Musikindustrie zerstören oder die österreichische Filmwirtschaft? Mit einem Rumpf-ORF wird das so nicht möglich sein. Der ORF ist lebenswichtig für die österreichische Demokratie, und er ist ein Kulturträger dieses Landes. Wenn man den ORF zerstört, zerstört man ein Stück Österreich, der österreichischen Identität, der Kultur, des Sports, auch der Volkskultur.

STANDARD: Die jüngste große ORF-Debatte hat die Verpflichtung des neuen ORF-Gesetzes ausgelöst, ORF-Bezüge ab 170.000 Euro pro Jahr namentlich zu veröffentlichen. War das auch eine rufschädigende Aktivität gegenüber dem ORF?

"Der ORF hat sich vielleicht in der Vergangenheit da oder dort zu sehr mit sich selbst beschäfigt. Jetzt braucht es mehr Performance- und Leistungskultur, mehr Leistungsorientierung."

Lockl: Ich verstehe die Diskussion und zum Teil die Aufregung. In Österreich haben Transparenzverpflichtungen bislang noch keine Tradition. Aber ich halte Transparenz für sehr wesentlich und bin überzeugt, dass das auch für den ORF eine Chance ist.

STANDARD: Wie das?

Lockl: Ich denke, das wird eine die Performance- und Leistungskultur im ORF noch stärker in den Vordergrund rücken.

STANDARD: Das heißt?

Lockl: Der ORF hat sich vielleicht in der Vergangenheit da oder dort zu sehr mit sich selbst beschäfigt. Jetzt braucht es mehr Performance- und Leistungskultur, mehr Leistungsorientierung. Das bedeutet: Es geht um die Seherinnen, Hörer, Userinnen. Wir wollen ein ORF für alle sein. Ziel ist, das beste öffentlich-rechtliche Programm zu machen, auf allen Kanälen. Das geht bis hin zu den Nebenbeschäftigungen. Da ist nicht das Interesse des Einzelnen das Kriterium, sondern die Frage: Ist es im Interesse des ORF, und ist es auch im Interesse des Publikums?

STANDARD: Erkennen Sie diese Performancekultur in der Transparenzliste der Spitzenverdiener im ORF und in jener über die Nebenbeschäftigungen?

Lockl: In der Liste stehen rund 60 von 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 80 bis 90 Prozent der Verträge in dieser Liste sind sehr alte Verträge, die frühere Geschäftsführungen abgeschlossen haben. Der aktuelle Stiftungsrat ist verantwortlich für die Bezüge des Generaldirektors und der Direktoren. Im Sinne der Sparsamkeit und Effizienz sind die Gehälter der Geschäftsführung heute geringer als jene der Vorgänger. Am Ende kann diese Transparenz auch mehr Vertrauen beim Publikum bringen, ebenso der neue Ethikkodex für Nebenbeschäftigungen und Social-Media-Präsenz. Zusammengenommen kann das Vertrauen und Glaubwürdigkeit des ORF schon stärken.

STANDARD: Sie sind Unternehmens- und Kommunikationsberater, haben Kontakt zu Unternehmen in der privaten wie öffentlichen Wirtschaft. Wie liegt der ORF im Vergleich der Managementgehälter?

Lockl: Der ORF liegt, das zeigen auch die Berichte des Rechnungshofs, im oberen Mittelfeld der öffentlichen Wirtschaft. Es gibt viele staatsnahe und noch mehr private Unternehmen, die wesentlich höhere Managementbezüge zahlen. Der ORF steht im Wettbewerb, man kann die Bezüge nicht isoliert davon festlegen. Und das neue ORF-Gehaltsschema liegt deutlich niedriger als die Spitzengehälter auf der Transparenzliste.

STANDARD: Am anderen Ende der Skala gibt es im öffentlich-rechtlichen, mit rund 700 Millionen Euro Beiträgen im Jahr finanzierten ORF noch immer freie, prekär bezahlte Dienstverhältnisse.

Lockl: Es ist immer wieder Thema im Stiftungsrat, dass es zu einer leistungsgerechten Entlohnung kommt. Der Generaldirektor hat bei seiner Bestellung angekündigt, dass er jedem Fall nachgeht, dazu bekennt sich auch der Stiftungsrat.

"Wir erleben gerade den größten Veränderungsprozess im ORF seit Jahrzehnten."

STANDARD: Der neue Ethikkodex des ORF, er regelt etwa Nebenbeschäftigungen und Social-Media-Auftritte, tritt in einem Monat in Kraft. Schon in den vergangenen Wochen tauchte bei der Trennung von einem Mitarbeiter eine nicht genehmigte Nebenbeschäftigung auf, Ö3-Stars wurden zu einem klärenden Gespräch einbestellt, weil sie eine Werbetätigkeit nicht als solche deklariert hatten. Das klingt danach, als ob schärfere Regelungen hoch an der Zeit waren.

Lockl: Wir erleben gerade den größten Veränderungsprozess im ORF seit Jahrzehnten. In der Vergangenheit fehlte vielleicht da und dort der Mut oder die Bereitschaft zu klaren Entscheidungen. Der aktuelle Stiftungsrat und das Management stellen sich wichtigen Themen, und sie treffen die nötigen Entscheidungen. Es geht auch um ein Versprechen ans Publikum: Der ORF nimmt das gesetzliche Gebot der Unabhängigkeit und Objektivität ernst. Deshalb gibt es da neue Standards.

STANDARD: In den vergangenen Wochen hat laut Medienberichten ein Stiftungsrat, der viele Stars und Events managt oder gemanagt hat, versucht, den vom ORF verabschieden TV-Fitnesstrainer Philipp Jelinek an Servus TV zu vermitteln. Passt das zum Tätigkeitsprofil von Stiftungsräten?

Lockl: Auch hier möchte ich mich nur grundsätzlich äußern: Wir haben, auch im internationalen Vergleich, sehr klare rechtliche und Compliance-Bestimmungen. Jedes Mitglied hat aber auch eine Selbstverantwortung, abseits der rechtlichen Bestimmungen deren Geist und Intention gerecht zu werden. Das obliegt jedem und jeder Einzelnen im Stiftungsrat, sich damit auseinanderzusetzen und das auch kritisch zu reflektieren. (Harald Fidler, 4.5.2024)