So züchtig gekleidet ist Cardi B selten. Ansonsten gilt für die Rapperin: Frau muss zeigen, was sie hat.

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Wien – Neben ihr wohnen möchte man nicht. Denn Belcalis Almanzar hat ein Organ, das die telefonische Kontaktaufnahme von Personen im Umkreis von zwei-, dreihundert Metern überflüssig macht. So weit dürfte sie zu hören sein, wenn sie bloß aus dem Fenster schreit. Zumindest legen das manche Tweets und Posts nahe, in denen sie sich Luft macht. Da geht's ab. Sie ist explosiv, dünnnervig, ein Wesen ohne Frustrationstoleranz: Ein falsches Wort, und der Deckel geht hoch. Als Belcalis Almanzar kennen sie aber vornehmlich ihre Eltern, draußen in der Welt ist sie als Cardi B bekannt.

Am kommenden Sonntag könnte sie bei den 60. Grammy Awards in New York zwei Trophäen einstreifen. Cardi B ist nominiert für die beste Rap-Darbietung und den besten Rap-Song. Die Preise einzusacken wäre der nächste logische Schritt, nachdem sie im Vorjahr Popgeschichte geschrieben hat. Zum ersten Mal seit 1998 schaffte sie es als Rapperin wieder an die Spitze der US-Charts. Zuletzt gelang das Lauryn Hill. Die frühere Sängerin der Fugees war 1998 die erste, der das mit dem Song Doo Wop (That Thing) gelungen war. Damals war Cardi B sechs Jahre alt.

Ein gutes Jahr für Hip-Hop

2017 war kommerziell betrachtet ein gutes Jahr für den Hip-Hop. Zum ersten Mal verkaufte er sich in den USA besser als Rock. Zwar lag Rockmusik beim Tonträgerverkauf deutlich vorn, bei Streams und Downloads regierte aber der Hip-Hop: Das Genre stellte sieben der zehn meistverkauften Alben.

Obwohl sie noch kein eigenes veröffentlicht hat, mischt Cardi B da vorn mit. Ihr Debüt ist für heuer angekündigt. Ihr Format sind bislang das Mixtape oder einzelne, mit Videos hochgeladene Tracks. Einer davon schoss in den Charts ganz nach oben und wurde über drei Millionen Mal verkauft: Bodak Yellow.

Cardi B

Bodak Yellow betört mit seinem, wie soll man sagen, Ideenminimalismus. Es ist Musik für die Generation Smartphone. Knapp vier Minuten lang tut der Song, als würde es gleich losgehen, dann ist er vorbei. Wie Sex, der nach dem Vorspiel endet. Doch etwas hat er. Das belegen aktuell über 430 Millionen Zugriffe auf Youtube. Tatsächlich ist die Musik bloß ein Vehikel für Cardi Bs Selbstdarstellungsdrang.

Im Stripclub geschult

Die Dame aus der New Yorker Bronx ist eine Perückensammlung auf zwei Beinen. Ihr Kapital verteilt sich zu gleichen Teilen auf Körper und Klappe. Was beim Körper nicht passt, kauft sie neu zu, als Nächstes soll die Nase unters Messer. Ihr Mundwerk ist jetzt schon legendär, beides hat sie als Stripperin geschult.

Für die Katholikin war es ein Wink Gottes, als sie beim Rauswurf aus einem Job in einem von Amischen betriebenen Supermarkt die Empfehlung bekam, es doch besser auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu versuchen. Dort war ein Stripclub. In romantischen Momenten vergleicht sie die ihre nackte Haut berührenden Dollarscheine fremder Männer mit dem niedergehenden Reis auf eine Braut nach der Trauung.

WORLDSTARHIPHOP

Strippen habe ihr Selbstwertgefühl erhöht und sie finanziell unabhängig gemacht. "I don't dance, I make money moves", rappt sie in Bodak Yellow. Und als sie begann, sich über ihren Job online auszulassen, wurde sie zum Social-Media-Star. Ihre Attitüde trifft gerade bei jungen schwarzen Frauen auf starke Resonanz. Der selbstbestimmte Duktus ihrer Raps und ihrer Online-Nachrichten scheint dabei bedeutender zu sein als die Musik. Die ist ohnehin geklaut, wie sie bereitwillig zugibt. In ihren Stücken geht es um Sex, bei dem sie die männliche Dominanz aushebelt. Sie glorifiziert die Bitch, das Luder, denn nur wenn frau ein solches ist, kriegt sie, was ihr zusteht: Money, Love und den "big dick" ihres Herzens.

Klunker und Beziehung

Cardi B ist eine neue Art von Star. Eine Trash-Diva aus den sozialen Medien, die den männlich dominierten Hip-Hop rechts überholt hat. Während manche Hip-Hop-Wärter noch die Frage diskutieren, ob ihre Musik überhaupt die Zuschreibung Hip-Hop verdiene, sitzt sie bei Jimmy Fallons Tonight Show, zeigt Klunker, gurrt wie ein Täubchen und kauderwelscht über Beziehungskram und Showbiz. Kommt sie dennoch nicht darum herum, die Frage nach ihrer Legitimität zu beantworten, klingt das so: "Do you know why it went No. 1? Because everytime you hear it, your pussy pops and your dick gets up."

The Tonight Show Starring Jimmy Fallon

Kolleginnen wie Missy Elliott applaudieren dem neuen Star. Immer noch sind Frauen im Hip-Hop meist nur optischer Aufputz für Männer, der willig arschwackelnde Sexualproviant für die Zerstreuung auf der Rückbank des SUVs. Selbst wenn jemand wie die Rapperin CupcakKe zeitgleich deutlich über Sex deklamiert, niemand trifft das Lebensgefühl vieler junger Frauen – zumindest in den USA – so wie Cardi B. Mit im Moment vergleichslosem Erfolg.

Fünf Titel in den Top Ten

Mitte Jänner war sie die erste Rapperin der Geschichte, die gleich fünf Top-Ten-Singles gleichzeitig in den Billboard-Charts hatte. Ob das bei den diesjährigen Grammys gewürdigt wird? Mit Jay-Z und Kendrick Lamar sind immerhin zwei Konsensstars mit im Rennen. Vielleicht halten die Musikverlage diese heiße Kartoffel noch ein Jahr zurück, die Grammys werden ja von ihnen gesteuert.

Cardi B sagt, wenn nicht, dann "fuck them". Kauft sie sich halt zum Trost ein paar Klunker oder lässt sich eine erbauliche Tätowierung stechen. Aber auch ohne Grammy-Segnung befindet sie sich auf Höhenflug. Letzte Woche hat sie ihren ersten Filmvertrag unterschrieben. Wahrscheinlich hat sie dabei lüstern gegurrt. (Karl Fluch, 26.1.2018)