Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) macht sich auf die Suche nach der Zukunft der EU.

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Gäbe es nicht die Corona-Krise, befänden sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten schon seit einem Monat in einer "EU-Reformkonferenz" mit Bürgern, Parlamenten, Parteien und sonstigen wichtigen Teilhabern der Gesellschaft. Der Start war für den 70. Jahrestag der Ausrufung des Plans von Jean Monnet zur Schaffung der Montanunion am 9. Mai geplant, Keimzelle der EU. Aber dazu kam es nicht, das Coronavirus legte nicht nur das wirtschaftliche Leben in den Mitgliedsstaaten lahm. Der gesamte EU-Betrieb ist stark behindert. Die Kommission versucht, wenigstens den langfristigen Budgetrahmen bis 2027 und den Wiederaufbauplan zur Corona-Krise mit den Staats- und Regierungschefs bis Juli unter Dach und Fach zu bringen. Im September soll dann im zweiten Anlauf der breitangelegte EU-Reformprozess beginnen. Um Österreich darauf vorzubereiten, will Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) jetzt einen solchen Dialog auf nationaler Ebene beginnen.

"Wir sind an einem Punkt, wo wir das Schlimmste hoffentlich hinter uns haben", sagte sie dem STANDARD, "und müssen uns Gedanken machen, wie wir Europa neu aufstellen". Denn: "Mit Geld allein lassen sich die Probleme nicht lösen, die Krise hat gezeigt, welch große Vorteile der Union wir bisher als selbstverständlich hingenommen haben, etwa die offenen Grenzen. Es sind aber auch die Schwächen zutage getreten." Dazu müsse es "einen offenen Diskurs ohne Denkverbote" geben. Edtstadler hat für Dienstag zu einem "Kickoff" im Kanzleramt geladen, bei dem die Gesellschaft möglichst breit abgebildet und vertreten sein soll.

Unter dem Titel "Unsere Zukunft – Europa neu denken" sollen erste Anstöße gesammelt werden. Dazu werden zunächst die Bundesländer und die EU-Gemeinderäte in einer Videokonferenz zugeschaltet.

Gegen Fiskalunion

Physisch versammeln sich dann eine Schülergruppe, Vertreter aus den Bereichen Forschung, Wirtschaft und Kultur. Schließlich wird es ein Treffen aller Botschafter von EU-Staaten in Wien geben. Eine Bundesländertour ist geplant. Ziel sei es, alles zu sammeln, was für die Position Österreichs als EU-Mitglied wichtig ist, was die Regierung ab Herbst in den europäischen Reformprozess einbringen will, erklärte die Ministerin. Die jüngste Krise habe "Probleme aufgezeigt, die wir uns in unseren schlimmsten Träumen nicht hätten vorstellen können". Ein EU-Zukunftsprozess müsse etwa die Frage beantworten, wie das gemeinsame Europa auf den Weltmärkten stärker auftreten könne. Nicht zuletzt müsste es auch eine Debatte über die finanzielle Zukunft der EU geben.

Edtstadler zeigt sich skeptisch, dass die Vorschläge der Kommission zu EU-Budgetrahmen und Wiederaufbau der Weisheit letzter Schluss seien. Diese sehen, wie berichtet, Zuschüsse und Kredite von 750 Milliarden Euro für durch die Corona-Krise in Not geratene Staaten vor, besonders für Italien, Spanien, die Slowakei oder Rumänien. "Wenn das ein Schritt in Richtung Fiskalunion sein soll, muss ich sagen, dass wir das nicht wollen", sagt die Ministerin. Sie lehnt die Pläne aber nicht generell ab: "Es muss geklärt werden, wofür genau das Geld verwendet wird." Solidarische Hilfen seien nötig, aber "Budgetlöcher zu stopfen wäre zu wenig", argumentiert Edtstadler.

Sie hält es für unangebracht, Kritik von kleinen EU-Nettozahlerländern als "antieuropäisch" abzuqualifizieren. Österreich stehe nicht allein da, neben den Niederlanden, Dänemark und Schweden hätten etwa auch Finnland und Tschechien Bedenken. Es sei völlig legitim, wenn die Regierung darauf hinweise, dass die Finanzierung über EU-Steuern nicht geklärt sei.

Skepsis bei EU-Budget

Auch müsse man über das Volumen des EU-Haushalts und der Wiederaufbauhilfe offen reden können, ebenso über die zeitliche Befristung. Auch müsste das Verhältnis von Zuschüssen und Krediten an die Empfängerländer überdacht werden. Die Kommission sieht dabei ein Verhältnis von zwei Dritteln nichtrückzahlbarer Gelder und einem Drittel Kredite vor. "Ich trete dafür ein, dass dabei mit offenen Karten gespielt wird", erklärt die Ministerin, "auch seitens der EU-Kommission." Sie vermisse derzeit eine nötige Umschichtung im regulären Budget mehr in Richtung Resilienz, in Richtung Green Deal und Digitalisierung, wo bisherige Schwerpunkte beibehalten werden müssten, und Umschichtungen im regulären Budget. (Thomas Mayer, 8.6.2020)