Wie recht Frau Dr. Serafini doch hatte! Ein "intensives Leuchten" im verbalen Bereich bescheinigte sie dem damals, 1976, noch stotternden Zehnjährigen beim Intelligenztest, der über Gymnasium oder nicht entscheiden sollte.

Dieser Junge aus Meerbusch-Büderich war Alexander Gorkow. Heute bekannt als begnadeter Schreiber und Interviewer der Süddeutschen Zeitung, der mit dem autobiografischen Roman Die Kinder hören Pink Floyd nicht nur seine eigene Kindheit im Deutschland der 1970er-Jahre zum Leuchten bringt.

Alexander Gorkow, "Die Kinder hören Pink Floyd". 16,99 Euro / 192 Seiten.
Kiepenheuer & Witsch, 2021
Cover: Kiepenheuer & Witsch

Gorkow nimmt uns mit in eine Wunderkammer voller Erinnerungsminiaturen. Viele schön, andere nicht, weil im Leben ja auch nie alles schön ist.

Glauben an Wunder

Wir warten also mit dem Vater in Düsseldorf auf Faxe aus "Cleveland, Ohio" und sind im Garten zugange ("Die Rosen brauchen ihr Gift."). Wir essen das von der Mutter pünktlich aufgetischte Essen, damit die Mittagspause samt Nickerchen auch geordnet ablaufen kann, und gönnen uns mit ihr am Nachmittag einen "schönen Campari".

Wir lieben als Familie das Essen im "Balkan Grill" ("Es wird gegrillt, gesalzen und aufgetischt. Alles ist knusprig.") und erleben das irrwitzig-komisch geschilderte Inferno, bei dem der Druckkochtopf die neue Einbauküche, Modell Courage, zerlegt: "Die Quitten sind explodiert."

Und wir folgen der großen, etwa sechs Jahre älteren und bewunderten Schwester mit dem "von Zufall und Pech verformten" Herz, das sie oft für lange Zeit in die Universitätsklinik zwingt.

Sie, das weise "Kind Nummer 1", gibt und nimmt uns den Glauben an Wunder. Unsere Verbündeten sind Pink Floyd. Mit der britischen Band kämpfen wir, rhetorisch, gegen "das System" ("Was ist das System, gnädige Frau, wenn ich fragen darf?"), die Briefe nach London werden zwar nie beantwortet, aber das macht nichts, erklärt uns "der Junge" heute: "Denn was die Musik macht mit der Seele, und wie sie es macht, ist rätselhaft und gefährlich wie das Meer und die Liebe."

Die wichtigste Lektion fürs Leben aber hat uns die Schwester hinterlassen. Sie wird in diesem herzenswarmen Buch gleich mehrfach zitiert: "Schau in die Welt. Nicht in den Himmel. Alles, was ist, ist hier." – Auch das Kind, das wir einmal waren. Wir müssen nur dieses beglückende Buch aufschlagen. (Lisa Nimmervoll, ALBUM, 10.12.2021)