Stark: Wolfgang Kindl.

Foto: EPA/HORCAJUELO

Bissfest: Olympische Silbermedaille.

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Wolfgang Kindl dürfte recht zufrieden sein mit seinen Entscheidungen. "Ich habe oft daran gedacht, aufzuhören", sagte der 33-Jährige nach der vierten und letzten Raserei auf der Einsitzer-Rodel, die dem Tiroler die Silbermedaille bescherte. Kindl fuhr als einziger Konkurrent in der Liga des überragenden Deutschen Johannes Ludwig und ließ sich nur um 0,160 Sekunden abhängen. Der drittplatzierte Italiener Dominik Fischnaller lag schon 0,951 Sekunden zurück.

Nach dem ersten Tag hatte Kindl sogar eine durchaus realistische Goldchance, mickrige 39 Tausendstel Rückstand überraschten ihn selbst: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit dem Hansi Ludwig so gut mitfahren kann."

Schlüsselpassage

Im zweiten Lauf war dem Österreicher Laufbestzeit gelungen, obwohl er zwischen den Kurven 13 und 14 leicht die Bande touchiert hatte. "Das hat sich im November schon herausgestellt, dass das die Schlüsselpassage ist. Da muss man immer darauf reagieren, wie man hinkommt. Man kann da nie gleich fahren, das ist unmöglich."

Im dritten Lauf verbesserte Ludwig seinen am Vortag aufgestellten Bahnrekord, Kindl lag trotz einer sauberen Fahrt 0,113 Sekunden zurück. Im Rodeln ist das ein Respektabstand. Aber da war ja was vor vier Jahren in Pyeongchang: ein überlegener Deutscher, ein zweitplatzierter Österreicher, der letzte Lauf, ein Patzer, eine Sensation.

Ludwig souverän

Kindl tat wie David Gleirscher anno 2018 seine Pflicht, kam mit Laufbestzeit als Erster ins Ziel und setzte Ludwig unter Druck. Doch anders als Felix Loch vor vier Jahren leistete sich der 35-Jährige keinen Selbstfaller, ganz im Gegenteil: Ludwig rauschte mit Laufbestzeit zu verdientem Gold.

Für Kindl war es eine gewonnene Silberne. Vor einem Jahr hätten wohl nur die engsten Angehörigen auf den Heeressportler gewettet. Rund um seine zwei Goldmedaillen bei der Heim-WM 2017 in Innsbruck hatte der 1,66-Meter-Mann jahrelang zu den Weltbesten gezählt, Anfang 2019 riss der Faden: Leistungstief, Ratlosigkeit, Verletzungen, Gedanken ans Aufhören. Erst am 12. Dezember 2021 in Altenberg stand Kindl wieder ganz oben, sein letzter Sieg war drei Jahre her. Er sprach von Saisonen, "wo es nicht gelaufen ist, wo ich nicht gewusst habe, wo der Speed ist".

Spätestens mit EM-Gold vor zwei Wochen war klar, dass mit dem Routinier auch in China zu rechnen ist. Um das Corona-Risiko zu minimieren, zog Kindl wochenlang in eine Ferienwohnung und verzichtete auf Kontakt zu seiner Frau Elena. "Es war eine zache Zeit, aber jetzt bin ich umso glücklicher."

Die Arbeit

"Es ist das Größte, was man erreichen kann, das hat bei mir gefehlt", sagte der dreifache Olympia-Neunte – insbesondere in Pyeongchang war dieser Platz enttäuschend gewesen. Im ORF-Interview dachte der Gewinner von fünf WM- und vier EM-Medaillen an das Team ("Ich müsste mich bei so vielen Leuten bedanken") und sprach von Betreuern, Technikern, Physiotherapeuten, seiner Frau, der Familie und vielen anderen.

Auch die eigene Arbeit verdiente eine Erwähnung, sie sei "unglaublich viel" gewesen. "Man kennt ihn, er hat einen eisernen Willen, er hat alles in die Waagschale geworfen", sagte Markus Prock, Präsident des Rodelverbands. Aber jetzt, nochmal in Kindls Worten: "Im Endeffekt hat sich alles ausgezahlt."

Verdampfte Hoffnungen

Der im Team "Johnny" genannte Silberne sprach auch seine körperlichen Voraussetzungen an, die "für den Rodelsport einfach nicht ideal" seien. 166 Zentimeter sind auf den Kufen kein Gardemaß, Kindl kompensiert die fehlende Größe mit Ehrgeiz und Extraschichten in der Kraftkammer. Einen "guten Achtziger" sollte man schon mitbringen, um flott den Eiskanal runterzukommen. Und er sei "fahrerisch einer der besten", betonte Prock.

Dem Olympioniken von 2018 erging es in Yanqing weniger gut, David Gleirscher leistete sich nach einem verpatzten zweiten Lauf in den Durchgängen drei und vier Kippstürze. Die Medaillenhoffnungen seines Bruders Nico verdampften gar schon in der ersten Kurve des ersten Laufs.

Hoffnung

Trotzdem bleibt Österreichs Rodelsport unter den fünf Ringen also ein Medaillengarant, neben sechs Goldenen und acht Bronzenen sind es nun neun Silberscheiben. Auch Madeleine Egle bei den Frauen (heute/morgen), die Doppelsitzer Thomas Steu / Lorenz Koller (Mittwoch) und die Team-Staffel (Donnerstag) dürfen auf Edelmetall spekulieren. "Wir waren heuer in allen Disziplinen vorne dabei. Ich denke schon, dass wir noch eine Medaille holen werden", sagte Kindl. (Martin Schauhuber, 6.2.2022)

Rodeln, Einsitzer Männer:

1. Johannes Ludwig (GER) 3:48,735 Min.
2. Wolfgang Kindl (AUT) +0,160 Sek.
3. Dominik Fischnaller (ITA) +0,951
4. Felix Loch (GER) +1,143
5. Kristers Aparjods (LAT) +1,318
6. Max Langenhan (GER) +1,357
7. Gints Berzins (LAT) +1,438
8. Christopher Mazdzer (USA) +2,642
9. Roman Repilow (ROC) +2,899
10. Semjon Pawlitschenko (ROC) +2,914.

Weiter:
12. Nico Gleirscher +3,548
15. David Gleirscher (beide AUT) +4,437