Vergangene Woche hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Lieferkettengesetz vorgestellt. Unternehmen sollen demnach für Rechtsverstöße ihrer Zulieferer haften.

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Ob lecke Erdölpipelines, schwere Unfälle in Textilfabriken, Kinderarbeit oder Abholzung von Urwäldern – die Liste an Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, die in den letzten Jahren auch medial für Aufmerksamkeit sorgten, weil westliche Unternehmen zumindest indirekt für sie verantwortlich gemacht wurden, ist lang.

Straf- oder zivilrechtliche Konsequenzen hatte dies für die betroffenen Unternehmen jedoch in den meisten Fällen nicht. Viele der in Europa und Nordamerika eingebrachten Klagen scheiterten nämlich bereits an prozessualen Voraussetzungen des internationalen Privatrechts oder schlicht an der Beweisführung, dass das geklagte Unternehmen von den Fehlern seines Tochter- oder Zulieferunternehmens wusste und etwas dagegen machen hätte müssen.

Lange Vorgeschichte

Am vergangenen Mittwoch präsentierte die EU-Kommission nun einen Richtlinienvorschlag, der dies ändern könnte: Erstmals sollen nämlich große, in der Union tätige Unternehmen (nicht nur jene, die hier ihren Sitz haben) verpflichtet werden, für die Einhaltung von Menschrechten und Umweltschutzvorschriften entlang ihrer Lieferketten zu sorgen. Die ersten Reaktionen darauf fielen, wie zu erwarten, je nach Perspektive sehr unterschiedlich aus.

Tatsächlich ist wohl bereits als großer Schritt zu werten, dass nun erstmals ein Entwurf für verpflichtende und unionsweit einheitliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorliegt, verwehrten sich doch die EU-Mitgliedsstaaten jahrelang auf UN-Ebene gegen verpflichtende Standards für "ihre" Unternehmen. Nachdem zunächst Frankreich und dann auch Deutschland ein entsprechendes Sorgfaltspflichtengesetz beschlossen, begann im Vorjahr aber auch die Kommission – auf Drängen des Europäischen Parlaments – mit den Arbeiten an einer Richtlinie. Die angekündigte Präsentation verzögerte sich in den letzten Monaten jedoch wiederholt; bereits die Diskussionen in den vorbereitenden Gremien dürften höchst kontroversiell gewesen sein.

Wenig direkt Betroffene …

Sieht man sich den Vorschlag näher an, zeigt sich, dass die Richtlinie zwar deutlich mehr Unternehmen umfassen würde als etwa das derzeitige deutsche Gesetz. Die Schwelle von mindestens 500 (Vollzeit-)Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro (bzw. 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro in bestimmten Sektoren) dürften aber nicht allzu viele Unternehmen überschreiten. Die Kommission selbst geht von insgesamt weniger als 13.000 Unternehmen aus der EU und rund 4.000 aus Drittstaaten aus.

In Österreich, wo es bisher nur vereinzelte Haftungsverpflichtungen für Subunternehmen gibt, wird es für die betroffenen großen Unternehmen sinnvoll sein, bereits jetzt zu beginnen, erste Risikoanalysen durchzuführen, geeignete Präventionsmaßnahmen auszuarbeiten sowie erforderlichenfalls Abhilfemaßnahmen zu entwickeln und Änderungen in den Verträgen mit Sub- und Zulieferunternehmen vorzunehmen. Dass sich an diesen Eckpfeilern der Richtlinie noch etwas ändert, ist unwahrscheinlich, und Nachjustierungen der internen Prozesse werden ohnehin laufend erforderlich sein.

Wer bereits in den letzten Jahren auf freiwilliger Basis – oder Druck der Öffentlichkeit – ein internes Sorgfaltspflichtensystem entwickelt hat, ist nun ohnehin im Vorteil: Neben dem wohl geringeren Anpassungsbedarf schaffen die einheitlichen Regeln insgesamt mehr Rechtssicherheit, und potenzielle Wettbewerbsnachteile durch höhere Kosten fallen weg.

… aber "Spill-over"-Effekte

Mittel- bis langfristig werden die vorgeschlagenen Pflichten aber wohl nicht nur wenige große Unternehmen treffen, sondern indirekt auch KMU, die als Subunternehmen oder Zulieferer von großen Unternehmen tätig sind. Um einer möglichen Haftung zu entgehen, müssten große Unternehmen nämlich ihre Geschäftspartner dazu verpflichten, ihrerseits die vorgegebenen Mindeststandards einzuhalten bzw. in ihrer Lieferkette für die Einhaltung zu sorgen.

Die Frage, wie weit zurück in der Kette die Verantwortung gehen soll, wir aber sicherlich einer der Knackpunkte der Verhandlungen in den nächsten Monaten werden und auch später in der Praxis häufig ein Streitfall sein. Um kleineren Unternehmen die internen Anpassungen zu erleichtern, sollten die Mitgliedsstaaten aber jedenfalls sowohl fachliche Unterstützung anbieten als auch – wo erforderlich – finanzielle; eine Möglichkeit, die in der Richtlinie ausdrücklich angesprochen wird.

Sanktionen als große Unbekannte

Bleibt noch die Frage, was Unternehmen eigentlich drohen soll, wenn sie ihre Pflichten nicht einhalten. In diesem Punkt – und das ist tatsächlich eine Schwachstelle des Vorschlags – bleibt dieser relativ vage. Neben verpflichtenden unternehmensinternen Beschwerdemöglichkeiten sind einerseits Verwaltungsstrafen vorgesehen, anderseits sollen Zivilklagen von Betroffenen ermöglicht werden. "Vorbestrafte" Unternehmen sollen außerdem von Beihilfen ausgeschlossen sein und die Unternehmensspitze stärker in die Verantwortung genommen werden – unter anderem durch die Verpflichtung, Boni künftig an das Engagement im Nachhaltigkeitsbereich zu koppeln.

Die genaue Höhe der Geldstrafen, die sich am Umsatz orientieren soll, wird aber erst von den Mitgliedsstaaten festgelegt werden, was zu starken Abweichungen innerhalb der Union führen könnte. Die zivilrechtliche Haftungsverantwortung wiederum, die jedenfalls regelmäßige Geschäftspartner umfassen soll, ist im Entwurf sehr verklausuliert geregelt und lässt den Mitgliedsstaaten viel Spielraum.

Jahre bis zur Umsetzung

Hier stellt sich schließlich auch die Frage, ob der nunmehrige Vorschlag tatsächlich zu Verbesserungen für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen im Zusammenhang mit unternehmerischen Tätigkeiten führen wird. Diesbezüglich ist sicherlich Geduld gefragt.

Sobald die Richtlinie tatsächlich beschlossen ist, haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, diese umsetzen. Selbst wenn große Unternehmen gleich mit der Umsetzung ihrer Verpflichtungen beginnen sollten, wird es noch weitere Jahre dauern, bis Veränderungen tatsächlich auch am unteren Ende der Lieferkette ankommen. Wie ernst dort künftig etwa grundlegende Arbeits- oder Umweltschutzstandards genommen werden, wird außerdem wesentlich davon abhängen, wie groß der Druck "von oben" ist und damit wieder, wie sehr sich große Unternehmen vor (hohen) Geldstrafen, Schadenersatzklagen und/oder Imageschäden fürchten müssen.

Proaktives Handeln gefragt

Ob die geplante Richtlinie tatsächlich "Biss" hat und nicht nur viele zusätzliche Papiere in Form von Konzepten und Berichten verursacht, wird daher wesentlich von der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten abhängen. Sind die vorgesehenen Verwaltungsstrafen zu niedrig, wird von den Behörden zu wenig kontrolliert oder bleiben die Hürden für Klagen in der nationalen Rechtsordnung hoch, wird es für Betroffene weiterhin schwer sein, ihre Rechte durchzusetzen. Auch ein fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen wäre weiterhin nicht gewährleistet.

Dennoch werden große Unternehmen gut beraten sein, nicht auf den Tag X des Inkrafttretens eines nationalen Gesetzes zu warten oder auf Milde durch die Behörden zu hoffen. Selbst wenn derzeit noch viele Details offen sind, ist nicht zu erwarten, dass es wieder einen gänzlichen Schritt zurück zu ausschließlich unverbindlichen Pflichten geben wird.

Die Tür zu einer echten Lieferkettenverantwortung ist aufgestoßen, und es wird auch an den Unternehmen liegen, ob sie diese ausschließlich als Last verstehen oder auch als Chance zu einer nachhaltigeren und gesunderen Wirtschaftsentwicklung. (Katharina Häusler, 28.2.2022)