Als Schulfach ein Horror, langweilig und zu nichts nutze. Das sind die wenig schmeichelhaften Attribute, mit denen die Mathematik, die am 14.3. ihren internationalen Tag feiert, von allzu vielen Leuten bedacht wird. Marcus du Sautoy (ausgesprochen: dou Soutói) will das ändern – und das gelingt ihm nicht nur in Großbritannien, sondern auch jenseits der Grenzen mit großem Erfolg. Der Mathematiker an der Universität Oxford ist fraglos einer der weltweit besten und kreativsten Kommunikatoren seines Fachs.

Die Vermittlung mathematischen Wissens für die breite Öffentlichkeit ist bei ihm keine Nebentätigkeit, sondern sein Hauptjob: Die Professur, die der 56-Jährige innehat, ist nämlich eine für "Public Understanding of Science", also für öffentliches Verstehen von und öffentliches Verständnis für Wissenschaft. "Ich sehe mich in dieser Funktion als eine Art Botschafter der Supermacht Wissenschaft", sagt du Sautoy im Gespräch mit dem STANDARD. "Und Wissenschaft ist nach wie vor für viele eine fremde Welt, obwohl sie enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft hat."

Marcus du Sautoy: "Mathematik ist einerseits wichtig, weil sie die Sprache der Wissenschaft darstellt, die für all die Technologien sorgt, wie wir so gerne verwenden. Es gibt in der Mathematik aber andererseits auch diese kreative Seite, die man vor allem in der Kunst findet."
Foto: Joby Sessions / Oxford University

Seine Religion: Arsenal

Erster Inhaber dieses 1995 eingerichteten Lehrstuhls war der streitbare Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der nicht nur durch sein Buch "Das egoistische Gen" (orig. 1976) berühmt wurde, sondern auch mit seinen atheistischen Streitschriften wie "Der Gotteswahn" (orig. 2006). Du Sautoy, der Dawkins 2008 nachfolgte, hat mit Religionskritik wenig am Hut. Seine Standardantwort auf diese Frage: Er sei Atheist und seine Religion der Fußballverein Arsenal.

Fußball ist eine der zahlreichen außermathematischen Leidenschaften du Sautoys, der diese Aktivitäten stets wieder zur Mathematikvermittlung zu nutzen weiß. So widmete er sich in einem seiner populärsten Essays und zugleich vielfach gehaltenen Vortrag der Frage, warum David Beckham bei Real Madrid ausgerechnet mit der Nummer 23 auflief – einer sehr speziellen Primzahl. Du Sautoy selbst spielte zu dieser Zeit als Hobbykicker für Recreativo Hackney und trug dabei das Trikot mit der Nummer 17. Das ist die Lieblingszahl des Mathematikers – und eine der nur insgesamt fünf Fermat-Zahlen, die auch eine Primzahl sind.

Den Primzahlen widmete der Spezialist für Zahlen- und Gruppentheorie auch sein erstes populärwissenschaftliches Buch, das prompt zu einem internationalen Bestseller wurde und ihn berühmt machte: Im Zentrum von "Die Musik der Primzahlen" (orig. 2003) steht eines der größten ungelösten Probleme der Mathematik, nämlich die 1859 aufgestellte Riemann-Vermutung, bei der es um die zufällige Verteilung der Primzahlen geht.

Förderung durch die Royal Society

Dass du Sautoy Mathematiker wurde, hatte er der besonderen Förderung durch einen Lehrer zu verdanken, der dem Zwölfjährigen einige populärwissenschaftliche Mathebücher zu lesen gab. Er selbst wurde zum erfolgreichen Autor in diesem Genre, weil ihn die Royal Society mit einem Stipendium dabei unterstützte, wie er erzählt.

In Großbritannien habe bereits im Jahr 2000 der Bericht des House of Lords auf diese Krise des öffentlichen Vertrauens in die Wissenschaft hingewiesen. Eine Folge davon sei gewesen, dass junge Forscherinnen und Forscher ermutigt wurden, nicht nur mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu reden, sondern auch stärker mit der Gesellschaft insgesamt zu kommunizieren, erinnert sich du Sautoy. "Heute hat sich an vielen britischen Unis und auch bei den Forschungsförderern die Überzeugung durchgesetzt, dass dieses Kommunizieren mit der Öffentlichkeit integraler Teil der Leistung von Uni-Angestellten ist und eben nicht eine Art von Extraarbeit, die man in der Freizeit erbringt."

Crossmediale Vermittlungsarbeit

In seinem Fall ist Mathematik- und Wissenschaftsvermittlung seit vielen Jahren die Haupttätigkeit, die du Sautoy crossmedial betreibt, um es neudeutsch zu formulieren. Neben seinen zahlreichen Büchern – auf Deutsch erschien dieser Tage "Eine sehr kurze Geschichte der Unendlichkeit" (C.H. Beck) – trat er in Fernsehreihen und Hörfunkprogrammen der BBC auf und schrieb für nahezu alle wichtigen Zeitungen in Großbritannien über mathematische Fragen. Zuletzt hat er seine alte Liebe für das Theater wiederentdeckt.

Foto: C.H. Beck

Bei all dem sei entscheidend, gute Geschichten zu erzählen. "Aber die sind per se nicht wissenschaftlich, denn Wissenschaft basiert auf Daten. Als Wissenschaftsvermittler müssen wir die Macht der Daten mit der Kraft von guten Geschichten kombinieren."

Die Vorzüge des Theaters

Und in welchem Medium klappt das am besten? "Ich habe gelernt, dass es am besten ist, diese mathematischen Geschichten auf möglichst vielfältige Weise zu erzählen. Manche Menschen lesen gerne Bücher, andere bevorzugen Audioformate oder Fernsehsendungen, wieder andere schauen sich gerne Theateraufführungen an." Mit Fernsehen könne man zwar Millionen von Leuten erreichen, aber das sei nicht sehr interaktiv. "An einer Theateraufführung hingegen nehmen zwar sehr viel weniger Menschen teil – aber sie nehmen eine viel tiefere Erfahrung mit."

Du Sautoy, der schon als Student Theater spielte und Musik machte, schreibt natürlich auch mathematische Theaterstücke und gibt den Hauptdarsteller – so wie beim vielgelobten Stück "I is a strange loop", in dem es auf den Spuren von Douglas Hofstadter und Kurt Gödel unter anderem auch um die Frage geht, wie Bewusstsein zustandekommt:

Oxford Mathematics

Das Stück erschien bei Faber & Faber, eine der besten englischen Adresse für Theaterliteratur wo auch T.S. Eliot oder Samuel Beckett verlegt werden. Du Sautoys neueste Theaterarbeit handelt vom französischen Mathematiker André Weil, vergangene Woche fanden die Proben statt.

"Ich habe mir Mathematik vermutlich auch deshalb ausgesucht, weil sie eine Brücke zwischen der Wissenschaft und der Kunst darstellt", sagt der Tausendsassa. "Sie ist einerseits wichtig, weil sie die Sprache der Wissenschaft darstellt, die für all die Technologien sorgt, wie wir so gerne verwenden. Es gibt in der Mathematik aber andererseits auch diese kreative Seite, die man vor allem in der Kunst findet."

Mathematik in der Kunst

In Großbritannien scheint man das mittlerweile auch an den Kunsthochschulen entdeckt zu haben: Der begehrteste Kurs im Saint Martins College of Art and Design in London, wo etliche der wichtigsten britischen Künstlerinnen und Künstler ihre Ausbildung genossen, sei der Mathematikkurs, sagt du Sautoy. Er selbst war erst vergangene Woche an der Purcell School, einer Musikschule für britische Jugendliche, um dort über Mathematik und Komposition zu sprechen. Und in einem Video für den großartigen Youtube-Kanal Numberphile stellte er kürzlich nicht nur ein verblüffendes Rätsel mit einem Tetraeder und einer Pyramide vor, sondern gleich auch einige Arbeiten des befreundeten Bildhauers Conrad Shawcross, der damit arbeitet:

Numberphile

Von all diesen vielfältigen mathematischen Vermittlungsaktivitäten haben nicht nur Theaterbesucher, angehende Künstlerinnen und die Gesellschaft als Ganzes etwas. "Natürlich profitiert auch meine Universität davon", sagt du Sautoy nicht ganz unbescheiden: "Bei Mathematik denken viele Leute in Großbritannien auch wegen meiner Aktivitäten zunächst einmal an die Uni Oxford. Und einige Mathematikstudierende sind deshalb hier an der Uni, weil sie meine Bücher gelesen haben." (Klaus Taschwer, 14.3.2022)