Der Diplomat war zuletzt in die Kritik geraten wegen Äußerungen über den ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera. Melnyk wurde vorgeworfen, den Holocaust zu verharmlosen.

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Kiew – Der umstrittene ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ist von Präsident Wolodymyr Selenskyj abberufen worden. Der Diplomat war zuletzt in die Kritik geraten wegen Äußerungen über den ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera. Melnyk wurde vorgeworfen, den Holocaust zu verharmlosen. Selenskyj sprach am Samstagabend in seiner täglichen Videorede von einer "Rotation, die ein normaler Teil der diplomatischen Praxis ist".

Wie aus einem von Selenskyj am Samstag unterzeichneten Dekret hervor geht, werden neben Melnyk auch die Botschafter in Tschechien, Ungarn, Norwegen und Indien abberufen. Beobachter werteten die gleichzeitige Bekanntgabe als Versuch, den Routinecharakter der Abberufung Melnyks hervorzustreichen. Die Liste der Nachfolger werde nun vom Außenministerium ausgearbeitet, so Selenskyj am Abend nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform.

Holocaust-Verharmlosung

Melnyk hatte in den vergangenen Monaten immer wieder scharfe Kritik an der deutschen Politik geübt. Ihm wurde auch eine Mitverantwortung am Eklat rund um die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch Kiew Anfang April gegeben. Bundeskanzler Olaf Scholz warf er daraufhin vor, eine "beleidigte Leberwurst" zu sein, weil er seinerseits nicht die Ukraine besuchen wollte. Für diese Aussage musste sich Melnyk im Nachhinein entschuldigen.

Über Bandera hatte Melnyk gesagt, dieser sei "kein Massenmörder von Juden und Polen" gewesen. Dafür gab es scharfe Kritik aus Polen und Israel, und auch das ukrainische Außenministerium distanzierte sich von der Aussage des Diplomaten. Die von Bandera angeführten ukrainischen Partisanen waren im Jahr 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen verantwortlich, bei denen Zehntausende polnische und jüdische Zivilisten ermordet wurden. Bandera floh nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland und wurde dort im Jahr 1959 von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB ermordet.

Wie die Nachrichtenagentur Ukrinform meldet, wurden neben Melnyk auch die Botschafter Ljubow Nepop (Ungarn), Wjatscheslaw Jatsjuk (Norwegen), Jewhen Perebjinis (Tschechien) sowie Igor Policha (Indien) abberufen. Gründe für die Abberufungen wurden in dem Dekret nicht genannt. Ob Melnyk nach seiner Entlassung als Botschafter für ein anderes hochrangiges Amt in Kiew oder anderswo vorgesehen ist, blieb zunächst offen. Die ukrainische Botschaft in Berlin wollte das Dekret nicht kommentieren. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, die Abberufung sei bisher noch nicht offiziell mitgeteilt worden.

Abberufung bekannt

Die "Bild" und die "Süddeutsche Zeitung" hatten vor wenigen Tagen unter Berufung auf ukrainische Quellen berichtet, Melnyk solle abberufen werden und ins Außenministerium nach Kiew wechseln. Noch im Herbst könnte er stellvertretender Außenminister werden, schrieb die "Bild". Melnyk war seit Jänner 2015 Botschafter in Deutschland – eine außergewöhnlich lange Zeit für einen Diplomaten auf einem Posten. Auch Kommentatoren in Kiew sagten am Samstag, dass dies etwa das Doppelte der üblichen Entsendungszeit gewesen sei.

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zollte Melnyk nach Bekanntwerden seiner Abberufung Respekt. "Andrij Melnyk hat sich mit voller Kraft für sein Land eingesetzt. Er ist eine unüberhörbare und unermüdliche Stimme für eine freie Ukraine", erklärte die Grünen-Politikerin, betonte aber, dass sie sich mit Blick auf die Person Bandera nicht einig mit Melnyk sei. "Unabhängig davon wünsche ich ihm alles Beste für ihn persönlich, für seinen künftigen Dienst und vor allem für sein Land."

Melnyk hatte zuletzt Fehler in seiner Kommunikation eingeräumt. Er könne Kritik an seiner Person verstehen, sagte er der "Schwäbischen Zeitung". "Wir sind alle Menschen und man macht Fehler. Man versucht auch, diese Fehler zu korrigieren und aus ihnen zu lernen. Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein.". Das Interview veröffentlichte die ukrainische Botschaft in Berlin am Freitag auf ihrer Homepage. Mit Blick auf den russischen Angriff auf sein Land sagte Melnyk: "Mein Beruf hier in Deutschland als Diplomat wird politisch. (...) Auch wenn ich das nicht möchte." Seine Aufgabe sei es, "dass man hier in Deutschland versteht, was der blutigste Krieg auf unserem Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg bedeutet." (APA, 9.7.2022)