Zum ersten Mal seit 137 Tagen, als am 24. Februar der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, hat die Zahl der Einreisen aus der Ukraine den EU-Behörden zufolge wieder das Niveau vor Kriegsbeginn erreicht. Im Moment kämen fast genauso viele Menschen in die EU wie in die Ukraine zurückkehrten, erklärte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Montag.

Ein Wohnhaus in Charkiw wurde von einer Rakete getroffen.
Foto: Reuters / Nacho Doce

Von den insgesamt sechs Millionen Geflüchteten sei etwa die Hälfte wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Dennoch müsse sich die EU auf mögliche weitere Flüchtlinge aus der Ukraine vorbereiten. "Wir alle hoffen, dass die Situation besser wird, aber das Ende des Krieges sehen wir noch nicht", sagte der tschechische Innenminister und derzeitige Ratsvorsitzende Vít Rakušan am Montag am Rande von Beratungen mit EU-Kollegen in Prag. Man müsse auf nächste Wellen von Ankünften vorbereitet sein.

Dutzende Vermisste

Schon deshalb, weil sich das Kampfgeschehen am Wochenende noch einmal intensiviert hat: In der 14.000-Einwohner-Stadt Tschassiw Jar am Siwerskyj-Donez-Donbass-Kanal in der ostukrainischen Oblast Donezk starben am Samstagabend vermutlich dutzende Menschen, als eine russische Rakete ein fünfstöckiges Wohnhaus traf. Bis Montagnachmittag konnten 24 Menschen nurmehr tot aus den Trümmern des Gebäudes geborgen werden. Etwa zwei Dutzend weitere Menschen wurden zu diesem Zeitpunkt noch vermisst.

Auch Charkiw, nach Kiew die zweitgrößte Stadt der Ukraine, wurde am Montag von russischer Artillerie massiv angegriffen, wie der ukrainische Generalstab mitteilte. Auch Raketenwerfer und Panzer stünden im Einsatz. Es habe eine regelrechte Bombardierungswelle begonnen, die bereits mehrere Städte im Osten des Landes getroffen habe. Dies diene der Vorbereitung einer neuen russischen Großoffensive. In der Nacht auf Montag sei in Charkiw ein Wohnhaus getroffen worden. Nach Angaben des regionalen Gouverneurs seien drei Menschen getötet und 22 weitere verletzt worden.

Munitionsdepots mit Raketen getroffen

Russland hat eigenen Angaben zufolge zudem in der zentralukrainischen Großstadt Dnipro mehrere Munitionsdepots mit Raketen getroffen. Die Depots dienten zur Lagerung von Raketenwerfern und Artilleriewaffen, teilt das russische Verteidigungsministerium mit.

Im Süden des Landes bereiten die ukrainischen Streitkräfte unterdessen offenbar eine Gegenoffensive vor. Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk rief am Sonntag die Zivilbevölkerung in der von Russland besetzten Region Cherson auf, diese zu verlassen. "Ich weiß mit Sicherheit, dass dort keine Frauen und Kinder sein sollten und dass sie nicht zu menschlichen Schutzschilden werden sollten", sagte Wereschtschuk am Sonntag im Fernsehen. Wann die Gegenoffensive beginnen könnte, ließ sie offen.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat indes ein Dekret erlassen, das allen Ukrainerinnen und Ukrainern einen erleichterten Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft gibt. Bisher hatte dies nur für Bewohnerinnen und Bewohner der Separatistengebiete im Donbass sowie der besetzten Regionen Cherson und Saporischschja gegolten.

Außerdem will der Staatschef sich laut Angaben aus Ankara in den kommenden Wochen mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan treffen. Thema soll die von Russland bisher fast vollständig blockierte Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine sein. (Florian Niederndorfer, 11.7.2022)