Bisher waren sie lange verschont geblieben. Nun mehren sich Berichte über Männer im wehrfähigen Alter aus Moskau und St. Petersburg, die in wilden, wahllos anmutenden Razzien aus dem Lebensalltag gerissen und in Rekrutierungsbüros gezerrt werden.

300.000 frische Soldaten wollte Russlands Präsident Wladimir Putin für die Front, bei 220.000 aktivierten Reservisten soll er aktuell stehen, und schon in zwei Wochen will er das Ziel der Teilmobilmachung erreicht haben.

In sozialen Medien mehrt sich allmählich aber der Protest, auch weil neben offensichtlich nicht wehrfähigen Männern die ersten teilmobilisierten Russen bereits in Särgen in die Heimat zurückgekehrt sind. Keine drei Wochen lagen zwischen der Einberufung und dem Tod eines 29-jährigen Abteilungsleiters der Moskauer Stadtverwaltung, Alexej Martynow. Ein Nachruf auf ihn soll zu Panik und einem Massenexodus in Regierungsbüros geführt haben.

Einberufene Männer in Moskau verabschieden sich von ihren Familien.
Foto: : IMAGO/Artyom Geodakyan

Ob das angebliche Attentat zweier mutmaßlich tadschikischstämmiger Männer auf einem Militärübungsplatz im Südwesten Russlands in Verbindung zu russischen Kriegsverweigerern steht, war zunächst unklar. Mindestens elf für den Einsatz in der Ukraine bestimmte Soldaten sollen bei der Schießerei auf einem russischen Militärübungsplatz getötet worden sein. Auch Gerüchte über religiöse Streitigkeiten machten die Runde. Die mutmaßlichen Attentäter seien jedenfalls getötet worden.

Munitionskauf im Iran?

Im Süden und Osten der Ukraine setzten sich indes die schweren Kämpfe übers Wochenende fort. Während im südlichen Cherson die ukrainische Gegenoffensive weiter Fortschritte machte, sollen in Nikopol mehr als 30 von prorussischen Separatisten abgefeuerte Geschoße eingeschlagen sein.

In Donezk im Osten, das bereits seit 2014 von prorussischen Kräften besetzt ist, zog der Krieg erstmals ins Stadtzentrum ein. Die russische Seite beschuldigte die Ukraine des Beschusses des Verwaltungsgebäudes. Bürgermeister Alexej Kulemsin sprach von schwersten Sachschäden, getötet worden sei aber niemand. Im östlichen Bachmut wird besonders hart gekämpft.

Viel Sachschaden, aber keine Toten nach Beschuss in Donezk.
Foto: Reuters / Alexander Ermochenko

Die mehr als 80 Raketenangriffe auf mehrere ukrainische Städte zu Beginn der vergangenen Woche bedeuteten laut britischen Geheimdienstinformationen jedenfalls eine weitere Verschlechterung der russischen Bestände an Langstreckenraketen. Vielleicht auch deshalb soll sich der Kreml vermehrt in Teheran nach neuen Waffen umsehen. Aus dem Iran sollen laut Informationen der "Washington Post" aber vor allem Drohnen und ballistische Kurzstreckenraketen eingekauft werden. Wenngleich Teheran die angeblichen Waffenlieferungen weiter vehement verneint, wollen sich die Außenministerinnen und Außenminister der EU bei einem Treffen am Montag vor allem dem Iran widmen. Auch Belarus dürfte wieder Thema werden.

Kriegseintritt von Belarus?

Das Land diente Putins Truppen zu Kriegsbeginn als Aufmarschgebiet für die Invasion. Seit Freitagabend treffen laufend russische Soldaten ein, die meisten offenbar per Zug. 9.000 sollen es bisher sein, heißt es aus Minsk. Es gehe um einen gemeinsamen Einsatz an der Grenze zur Ukraine, wegen angeblicher "Terrorgefahr", so das belarussische Narrativ. Unklar ist noch, worauf der Truppenaufmarsch hinausläuft. Seit Wochen wird über den offiziellen Kriegseintritt von Belarus spekuliert. (Fabian Sommavilla, 16.10.2022)