Sunak verfolgte eine klassische Karriere der großbürgerlichen Oberschicht.

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"Ready for Rishi", lautete sein Slogan im vergangenen Sommer: Die Zeit sei reif für Ex-Finanzminister Rishi Sunak. Das konservative Parteivolk war anderer Meinung, machte Liz Truss zur Parteichefin und Premierministerin. Nach deren desaströser, sechswöchiger Amtszeit steht nun der 42-Jährige auf der Schwelle der Downing Street 10 – der erste Premier, der vom neuen König Charles III. berufen wird, und der erste Nichtweiße im Amt.

  • Mitglied der erfolgreichsten Minderheit In allen britischen Bildungsstatistiken sind indischstämmige Einwanderer ganz vorn. Viele kamen wie Sunaks Großeltern aus dem Punjab. Anders als bei den überwiegend armen, kaum gebildeten ländlichen Migranten aus Pakistan, Bangladesch und der Karibik gehörten die indischen Hindus häufig der gebildeten Mittelschicht an. Sunak ist der älteste Sohn eines Arztes und einer Apothekerin, sein Bruder arbeitet als klinischer Psychologe, seine Schwester ist in New York für die Uno tätig. "Wenn sie sich mal geistig richtig unterlegen fühlen wollen", erzählte ein Jugendfreund der "Times", dann "sollten sie einen Abend mit den Sunaks verbringen."
    Nach dem Besuch teurer Privatschulen und der Elite-Uni Oxford arbeitete Sunak für die Investmentbank Goldman Sachs und Hedgefonds, ehe er in die Politik ging – also die klassische Karriere der großbürgerlichen Oberschicht.
  • Sein Glaube ist Sunak wichtig Ein "Rishi" ist im Hinduismus ein Weissager, Prophet. Dem Glauben seiner Eltern ist der 42-Jährige treu geblieben: "Er gibt mir Stärke und Bestimmung." Als der Abstinenzler – statt Alkohol trinkt er lieber Cola – 2015 erstmals ins Unterhaus gewählt wurde, legte er seinen Amtseid auf eine Schrift des Hinduismus ab. Zu den schönsten Momenten seiner Zeit als Schatzkanzler zählt er ein Lichterfest (Diwali), an dem er auf der Schwelle seines damaligen Amtssitzes in der Downing Street 11 eine Öllampe (Diya) entzündete. Dem schottischen Labour-Premier Gordon Brown verdanken alle Nichtanglikaner wie Sunak, dass ihnen eine Peinlichkeit erspart bleibt: Bis der Sohn eines protestantischen Pfarrers ins Amt kam, durften Premierminister über die Besetzung der Bischofsposten in der anglikanischen Staatskirche von England mitbestimmen.
    Brown übergab diese Aufgabe einem kirchlichen Gremium, um den Abstand zwischen säkularer Regierung und den Kirchen zu verdeutlichen. Ohnehin bilden auf der Insel Christen, Muslime, Hindus und Vertreter anderer Glaubensrichtungen zunehmend die Minderheit gegenüber Nichtgläubigen und Atheisten.
  • Nicht aufs Premiersgehalt angewiesen Sunak könnte auf das ihm zustehende Gehalt von rund 181.000 Euro problemlos verzichten: Er ist nicht nur Multimillionär, sondern auch mit einer Milliardenerbin verheiratet, mit der er zwei Töchter hat. Der Modedesignerin Akshata Murty gehören 0,93 Prozent des von ihrem Vater mitgegründeten IT-Giganten Infosys. Allein 2021 erhielt sie Dividendenzahlungen in Millionenhöhe. Gemeinsam verfügt das Paar laut Sunday Times über 838 Millionen Euro.
    Fehlt Sunak daher ein wenig die Bodenhaftung? Im Frühjahr kamen Steuerakten ans Licht, denen zufolge Murthy den umstrittenen Status als Steuer-Ausländerin nutze und dem Fiskus hohe Summen vorenthalte. Zudem wurde bekannt, dass Sunak selbst noch immer eine Green Card für die USA besaß. Der Rufschaden war enorm. Der neue Premier hat auch keine breite Erfahrung in anderen Ressorts – nur Finanzen.
  • Fingerspitzengefühl gefragt Im Vorfeld von Sunaks Kür waren Zweifel an seiner Amtseignung auch wegen der Nähe seines Schwiegervaters zu Indiens Populistenpremier Narendra Modi laut geworden. In der Politik gegenüber dem indischen Subkontinent wird der neue Premier also besondere Vorsicht walten lassen müssen. (Sebastian Borger aus London, 25.10.2022)