Selbst beim Verdacht einer schweren Straftat gelten in Zukunft die gleich strengen Prüfregeln wie bei allen anderen Delikten.

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Wien – Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat mit sofortiger Wirkung eine Bestimmung aufgehoben, die zwingend Untersuchungshaft vorschreibt, wenn es um ein Verbrechen mit mindestens zehn Jahren Strafdrohung geht. Wie in allen anderen Fällen muss auch hier individuell geprüft werden, ob Haftgründe vorliegen. In entsprechenden Fällen muss das nun nachgeholt werden. Eine automatische Freilassung bedeutet die Entscheidung also nicht.

Jener Terrorverdächtige, der die Causa vor das Höchstgericht gebracht hat, ist davon nicht betroffen, hieß auf Anfrage im VfGH. Er befand sich schon vor der Entscheidung nicht mehr in U-Haft und stehe derzeit vor Gericht.

Norm verstieß gegen Verfassungsgesetz

Wie es in einer Aussendung des VfGH am Montag hieß, verstößt die entsprechende Bestimmung der Strafprozessordnung gegen das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG) und ist daher verfassungswidrig. Die aufgehobene Bestimmung sah vor, dass zwingend Untersuchungshaft zu verhängen ist, wenn es um ein Verbrechen geht, das mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird, außer wenn alle Haftgründe (Fluchtgefahr, Tatbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, Verdunkelungsgefahr) ausgeschlossen werden können.

Nun gilt wie auch in Fällen mit geringerer Strafdrohung: Untersuchungshaft darf nur dann verhängt werden, wenn (neben anderen Voraussetzungen wie dringendem Tatverdacht) Flucht-, Tatbegehungs- oder Wiederholungsgefahr bzw. Verdunkelungsgefahr vorliegen.

Zukünftig genauere Einzelfallprüfung

Diese sogenannte "bedingt obligatorische Untersuchungshaft" bei schweren Straftaten hat der Gerichtshof nun aufgehoben, weil die persönliche Freiheit Menschen nur unter ganz bestimmten Bedingungen entzogen werden darf. "Das PersFrSchG bindet den Entzug der persönlichen Freiheit als einen der gravierendsten Eingriffe in Grundrechte des Einzelnen an detaillierte Haftgründe und die Notwendigkeit eines auf einen spezifischen Haftgrund gestützten Freiheitsentzuges im Einzelfall", ist in der Entscheidung zu lesen. Diesen Anforderungen an die gesetzliche Regelung der Untersuchungshaft trage die angefochtene Bestimmung des Paragraf 173 Absatz 6 der Strafprozessordnung nicht adäquat Rechnung.

Die bedingt obligatorische Untersuchungshaft war "systemwidrig" sagt Strafverteidiger David Jodlbauer, der die Entscheidung vor dem Höchstgericht erwirkt hat, gegenüber dem STANDARD. "Nun ist sichergestellt, dass die Untersuchungshaft auch bei einer schweren Straftat nur dann verhängt wird, wenn sie auch wirklich notwendig ist", sagt Jodlbauer. Für die Zukunft erwartet er daher, dass es zu einer stärker einzelfallbezogenen Entscheidung und einer genaueren Prüfung der Notwendigkeit der U-Haft kommen wird. Dass Beschuldigte monatelang in Haft sind, ohne dass ein konkreter Haftgrund vorliegt, werde somit verhindert. (APA, lew, 9.1.2023)