Die Grünen haben im Mai 2021 ein Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer eingeleitet. Dieses ruhte zuletzt. Nun ist Palmer von sich aus ausgetreten und will professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

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"Auszeit" – dieses eine Wort prangt nun fett am Facebook-Account von Boris Palmer. Der Oberbürgermeister der baden-württembergischen Stadt Tübingen hat sich krankgemeldet und ist abgetaucht. Zuvor aber tat er noch einen Schritt, der nicht nur bei Spitzengrünen Erleichterung auslöste: Er trat aus der Partei aus, der er seit 1996 angehört hatte. Nach seinem Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen will Palmer eine einmonatige Pause im Juni einlegen. In dieser Zeit will er professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

"Auch wenn dieser Zeitraum sicher nicht ausreichen wird, um die vor mir stehende Aufgabe vollauf zu lösen, bin ich doch zuversichtlich, dass es mir gelingen wird, sie anzugehen, genug Abstand zu gewinnen und Kraft zu schöpfen."

"Ich wünsche ihm ein gutes Leben", sagte Grünen-Chef Omid Nouripour lapidar. Bedauern äußerte er nicht. Weil: "Es gab ja Gründe, warum wir viele Diskussionen alle miteinander hatten."

"Nazis raus"-Rufe

Deutlicher wurde die Berliner Grünen-Politikerin Antje Kapek. "Endlich", twitterte sie. Und: "Seine letzte Entgleisung war das Übelste, was ein deutscher Politiker von sich geben konnte."

Palmer hatte am Freitag in Frankfurt am Main an der Uni an einer Konferenz über Migration teilgenommen. Am Rande der Tagung wurde er lautstark und kritisch darauf angesprochen, dass er immer wieder das herabwürdigende "N-Wort" für Schwarze verwende.

Daraufhin sprach Palmer das Wort wieder aus und apostrophierte einen anwesenden Schwarzen. Es folgten "Nazis raus"-Rufe, die der Politiker mit folgendem Satz quittierte: "Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach."

Eine Frage des Kontextes

Bei der Konferenz wenig später rechtfertigte sich der 50-Jährige so: "Ja, ich benutze das Wort. Weil der simple Sprechakt keinerlei Auskunft darüber gibt, ob die Person ein Nazi ist. Die Frage ist die des Kontextes."

Die Empörung war groß, viele Grüne gingen erneut auf Distanz. Palmers langjähriger Freund und Rechtsanwalt, das Grüne "Urgestein" Rezzo Schlauch, erklärte, er würde Palmer künftig nicht mehr juristisch vertreten. Die Freundschaft kündigte er ihm auch auf.

Denn keine noch so harte Provokation rechtfertige es, "eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen".

Palmer entschuldigte sich und erklärte, er hätte "niemals so reden dürfen". Es tue ihm "unsagbar leid", wenn der Eindruck entstanden sei, er würde den Holocaust relativieren.

Professionelle Hilfe

Zudem kündigte er an, sich professionelle Hilfe suchen zu wollen. Denn: "Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht."

Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister von Tübingen (rund 90.000 Einwohner). Es gibt viele Aussagen von ihm, die die Grünen entsetzt haben. So schlug er 2015 vor, die EU-Außengrenzen "notfalls bewaffnet" zu schließen. Den Lockdown während der Corona-Pandemie kritisierte er so: "Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen."

Nachdem er 2021 dem ehemaligen Nationalkicker Dennis Aogo – angeblich ironisch – ein besonders großes Geschlechtsteil (unter Verwendung des N-Wortes) attestiert hatte, leiteten die Grünen ein Ausschlussverfahren gegen Palmer ein. Zuletzt hatte man sich darauf geeinigt, dieses bis Ende 2023 ruhen zu lassen. Nun hat sich der Fall erledigt. (Birgit Baumann aus Berlin, red, 2.5.2023)