Drei junge Frauen vor beeindruckender Bergkulisse
Die Berge, ein Sehnsuchtsort: Toni, Kaddi und Katharina wollen mehr Frauen für den Bergsport begeistern.
Jens Scheibe

Das erste Mal im Sattel Richtung Gipfel strampeln. Das erste Mal mit pochendem Herzen einen Naturtrail runterfahren. Das erste Mal Steine und Wurzeln unter den Rädern und den Fahrtwind im Gesicht spüren. Das wünschte sich Toni schon lange.

Toni, das ist Antonia Schlosser. Die Berge begleiten die Allgäuerin seit ihrer Kindheit. Sie erklimmt leidenschaftlich gern Gipfel, im Normalfall bewegt sie sich dabei aber innerhalb ihrer Komfortzone. Diese erste Mountainbiketour sollte ein bewusster Schritt hinaus aus dieser Wohlfühlzone sein. Ein Neuanfang, der sie über ihre eigenen Grenzen hinauswachsen lässt. Nach umfangreicher Vorbereitung, viel Training, Angst und Selbstüberwindung hat Toni es geschafft: Am Ende ihrer ersten Abfahrt überrollt sie eine Welle an Glücksgefühlen. Sie hat viel über ihren Körper und seine Fähigkeiten gelernt, neue starke Seiten an sich entdeckt, und sie weiß: Diese Erfahrungen kann ihr niemand mehr nehmen.

Solche Erlebnisse sind Teil des Faszinosums Berg. Und genau darüber berichten Toni und ihre "Bergfreundinnen" Katharina "Kaddi" Kestler und Katharina Heudorfer, alle drei aus Bayern, in ihrem gleichnamigen Buch. Im begleitenden Podcast ist auch noch Catharina Schauer mit an Bord. Die Idee hinter beidem: andere Frauen dazu motivieren, selbst loszugehen, egal ob sie Anfängerinnen sind, Fortgeschrittene oder womöglich schon Profis.

Eigeninitiative gesucht

Doch braucht es einen dezidiert weiblichen Zugang zum Bergsport überhaupt? Ja, der kommt sogar ziemlich gut an. Die Berge sind für viele Menschen ein Sehnsuchtsort. Um sie ranken sich Mythen und Geschichten, sie sind herausfordernd, bieten Abenteuer und die Möglichkeit, sich selbst und die eigenen Grenzen kennenzulernen. Der Bergsport und seine Geschichte sind aber immer noch stark männlich geprägt, Frauen haben beim Erklimmen von Gipfeln lange eine Nebenrolle gespielt. Dabei besteigen sie Berge beinahe schon so lang wie Männer – nur machen sie deutlich weniger Wirbel darum.

Sie ergreifen aber auch deutlich seltener die Eigeninitiative, stellt Toni immer wieder fest: "Ich höre oft: 'Ich verlasse mich da auf meinen Mann, der sagt mir, was ich einpacken soll, und kennt sich aus.' Genau da wollen wir ansetzen." Buch und Podcast sollen dazu motivieren, selbst aktiv zu werden.

"Tatsächlich treibt uns aber nicht die Frage um, ob Frauen am Berg noch etwas Besonderes sind", sagt Katharina "Kaddi" Kestler. Das ist ja schon lange nicht mehr der Fall. "Wir reden einfach über die Dinge, die uns am Berg bewegen, und wir sind halt Frauen." Damit füllen sie aber eine Lücke. Denn immer noch reden in erster Linie Männer über das Thema, Männer werden medial inszeniert und als Helden dargestellt. Kaddi betont: "Die klassische Abenteurergeschichte ist immer noch keine Abenteurerinnengeschichte. Insofern hat der weibliche Fokus einfach Berechtigung."

Tatsächlich sind weibliche Vorbilder rar. Spitzenleistungen wie etwa jene der österreichischen Profibergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner liegen auch – bei großem Respekt für die Leistung – so weit außerhalb der eigenen Lebensrealität, dass die Nachahmungswirkung gering ist.

Weibliche Vorbilder

"Frau stellt sich viel eher die Frage, wie sie denn neben Job, Kindern und womöglich Pflege eines Familienmitglieds noch die Zeit findet, in die Berge zu gehen", sagt Toni. Gerade deshalb zeigen die drei viele unterschiedliche Frauen mit ganz verschiedenen Lebensrealitäten. Diese Identifikationsfläche gibt Sicherheit und Selbstbewusstsein – und das Gefühl, man ist nicht so allein mit seinen Themen oder Ängsten. Gerade beim Bergsport ist das wichtig, immerhin existieren dort einige sehr reale Gefahren.

Ganz abgesehen davon gibt es tatsächlich ein paar spezifisch weibliche Themen beim Bergsport. Wie geht man etwa damit um, wenn man die Regel hat? Der weibliche Zyklus wirkt sich bei vielen auf die Leistungsfähigkeit aus. Das hat Kaddi zum Beispiel bei ihrer Rennradtour über die Großglocknerhochalpenstraße gespürt.

Mentales Tief

"Ich bin während meiner Tage vor allem mental nicht immer auf der Höhe und schaffe es dann schwer, mich allein aus emotionalen Löchern rauszuziehen." Bei einer Tour mit 36 Kehren und 2000 Höhenmetern, bei der es wirklich an die körperlichen Grenzen geht, muss man aber genau das tun.

Kaddi entschied sich dazu, den lang geplanten Trip trotz Periode nicht zu verschieben, mit dem Bewusstsein, dass es ihr auch zu viel werden könnte. War es schlussendlich nicht: "Es war wirklich anstrengend und hat sich sehr gezogen. Aber die Euphorie, es geschafft zu haben, war riesig. Meine Freundin, die mich unglaublich unterstützt hat, und ich sind uns danach in die Arme gefallen und haben auch ein bisschen geweint."

Mit einem ganz anderen Thema sieht sich Katharina Heudorfer konfrontiert, Grenzerfahrungen am Berg sind für sie aktuell überhaupt kein Thema. Denn sie ist vor zwei Jahren Mutter geworden: "Für mich war das Schönste immer, wenn ich auf dem Gipfel war und nur noch ein Meer an Bergen um mich gesehen habe. Je höher oben ich war, desto besser. Das ist so unfassbar schön, da könnte ich fast heulen. Und genau dafür bin ich auf den Berg gegangen." Mit einem Zweijährigen klappt das einfach nicht: "Es macht mir aber gerade auch total Spaß, wenn ich mit meinem Kleinen und meinem Parnter auf eine Hütte gehe. Früher hätte ich gesagt: '300 Höhenmeter, das zahlt sich doch gar nicht aus.' Aber jetzt genieße ich halt den guten Kaiserschmarrn."

Echte Bergmenschen

Eine Frage, die sich viele stellen, vor allem Frauen, lautet: Was macht einen eigentlich zum Bergmenschen? Die Antwort darauf ist recht simpel, sind sich die drei einig: Dass man gern in die Berge geht. Trotzdem werden Kaddi, Toni und Katharina immer wieder darauf angesprochen, was sie denn bergsteigerisch dazu befähige, so einen Podcast zu machen. "Man will wissen, was ich eigentlich geleistet habe. Und ich denke mir dann: gar nichts. Und ich will auch gar nichts leisten. Ich will einfach nur in die Berge gehen und Spaß haben dabei", sagt Kaddi. Die Vorstellung, man sei erst ab einer bestimmten Leistung ein Bergmensch, findet sie absurd.

Das ist auch für Katharina ein Knackpunkt: "Man kann drei Jahre alt sein oder 70, man kann um einen Bergsee gehen oder auf fünf Gipfel. Es geht einfach nur um dieses unglaublich schöne Gefühl." (Pia Kruckenhauser, 24.6.2023)