Das Bild zeigt einen NPC aus dem Videospiel
Bunte Magie allein reicht nicht: Die Unreal Engine 5 muss erst richtig in die Gänge kommen.
Ascendant Studios/Electronic Arts

Seien wir uns ehrlich, der Begriff "Spiel-Engine" an sich ist nicht sonderlich attraktiv. Sehr wohl entscheidet die dahinterliegende Software aber über die Attraktivität von Videospielen, ist sie doch für den technischen Spielablauf und nicht zuletzt seine visuelle Umsetzung zuständig. Nutzen die meisten Videospiel-Veröffentlichungen heutzutage immer noch Unity als solche Engine, ist bei den ganz aufwendigen Produktionen immer häufiger die Unreal Engine von Entwickler und Publisher Epic Games involviert.

Tatsächlich sollen laut dem Unternehmen fast die Hälfte aller Spieleentwickler Unreal für die Realisierung ihrer Next-Gen-Projekte verwenden. Neben dem Shooter "Fortnite", der von Epic selbst stammt, ist die Zahl der bereits veröffentlichten Spiele, die auf die neueste Version der Unreal Engine setzen, aber noch überschaubar. Nach der großen Präsentation der Unreal Engine 5 im Frühjahr 2022 hatten sich Spielerinnen und Spieler möglicherweise mehr erwartet.

Vollmundige Ankündigung

Viele werden sich noch an die Grafikdemo zu "The Matrix Awakens" erinnern, die man für PC und Konsole herunterladen konnte, um sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Nach einer kurzen Actioneinlage sollte die Stadtumgebung mit zahlreichen visuellen Wow-Effekten nicht nur Spielerinnen und Spieler von der neuen Technologie überzeugen. Auch Entwicklern selbst sollte es schmackhaft gemacht werden, dass sie sich künftig getrost auf Gameplay und Story ihres Projekts fokussieren können. Mit einem umfangreich ausgestatteten Baukasten der Version 5 habe man eine technisch noch bessere Grundlage, als sie zuvor schon für populäre TV-Serien zum Einsatz gekommen sei, so das Versprechen.

Auf weitere Demos von Epic folgten dann tatsächlich prominente Ankündigungen, die keinen Zweifel aufkommen ließen, dass die Unreal Engine künftig eine noch größere Bedeutung für die Gamingindustrie haben würde. Um nur ein Beispiel zu nennen, ist mit dem polnischen Entwickler CD Projekt Red ein Schwergewicht an Bord, das nicht nur für künftige "The Witcher"-Titel, sondern auch für die baldige "Cyberpunk 2077"-Erweiterung die eigene Engine über Bord werfen wird, um auf die Unreal Engine 5 umzusteigen. Auch "Tomb Raider"-Entwickler Crystal Dynamics bekundete von Anfang an, dass die neue Engine für sein nächstes Abenteuer gebraucht werde.

Der Grund, weshalb immer mehr Entwickler auf eine Drittanbieter-Lösung zurückgreifen, ist offensichtlich: Die Entwicklung einer eigenen Engine ist nicht nur zeit-, sondern auch sehr ressourcenintensiv. Besonders die Unreal Engine hat sich dabei als sehr populäre Wahl etabliert, da sie für alle frei zugänglich ist und nur einen geringen Anteil der Einnahmen von erfolgreichen Projekten verlangt. Epic Games investiert zudem kontinuierlich in die Weiterentwicklung dieser Engine, was ihre Beliebtheit und Leistungsfähigkeit weiter steigert.

Viel Potenzial …

Tatsächlich könnte die Unreal Engine 5 auch einen großen Sprung in der Welt der Spielentwicklung und – generell – der digitalen Inhalte schaffen. Im Mittelpunkt dieser Fortschritte stehen zwei vielversprechende Technologien namens "Nanite" und "Lumen". "Nanite" ist ein virtuelles Polygonsystem, das es Entwicklern ermöglicht, hochauflösende 3D-Modelle in Echtzeit zu nutzen, ohne dass die Systemleistung darunter leidet. Dies führt zu atemberaubend detaillierten Texturen und Oberflächen, insbesondere bei natürlichen Elementen wie Gestein, Wasser und Haut. Ein Anwendungsfall dafür sind die sogenannten "MetaHumans", computergenerierte 3D-Modelle, die von der Hauttextur bis zu den feinsten Härchen bemerkenswert lebensecht wirken.

Während "Nanite" für die Details der Modelle und Texturen verantwortlich ist, kümmert sich die "Lumen"-Technologie um die Beleuchtung der Spielwelten. "Lumen" ist ein globales Beleuchtungssystem, das realistische Lichteffekte und -umgebungen in Echtzeit ermöglicht. Damit geht es über die Möglichkeiten des traditionellen Raytracing hinaus und bietet komplexe Lichtsimulationen. Diese hochentwickelte Beleuchtungstechnologie erhöht offensichtlich nicht nur die visuelle Qualität, sondern soll auch ein immersiveres Spielerlebnis bieten, wenn es nach dem Erfinder geht.

Abgesehen von diesen beiden Kerntechnologien wartet die Unreal Engine 5 aber noch mit weiteren Funktionen auf, die die Qualität der Spiele weiter steigern sollen. Das sogenannte "Virtual Shadow Mapping" sorgt für besser aufgelöste und konsistente Schatten, die das Gesamtbild realistischer machen, ohne die Performance zu beeinträchtigen. Ebenso will das "World Partition Tool" die Gestaltung großer Spielwelten verbessern: Anstatt auf versteckte Sub-Levels oder Ladezeiten zurückzugreifen, unterteilt dieses Tool die Spielwelt in ein Gittersystem und lädt nur die für den Spieler relevanten Teile, was nahtlose Übergänge zwischen verschiedenen Spielabschnitten ermöglicht.

… das leider noch auf sich warten lässt

So weit die grobe Theorie, wie die Unreal Engine 5 ein neues Kapitel für die visuelle Aufbereitung von Videospielen aufschlagen soll. Eineinhalb Jahre später ist nur leider noch nicht viel vorhanden, was Spielerinnen und Spielern so schmackhaft gemacht worden ist. Abgesehen von Epics eigenem Vorzeigeshooter gibt es knapp eineinhalb Jahre später gerade einmal eine Handvoll Spiele, die das Potenzial der neuen Engine andeuten. Zwei aktuelle Beispiele legen zudem nahe, dass nicht nur Konsolen, sondern auch durchaus hochwertige PC-Konfigurationen möglicherweise (noch?) Mühe damit haben, die Muskeln der neuen Unreal Engine spielen zu lassen.

Zum einen wäre da der Koop-Shooter "Remnant II" von Entwickler Gunfire Games. Neben seltenen Abstürzen der Engine sind drei Dinge schon bemerkenswert: Von den beiden Kerntechnologien "Nanite" und "Lumen" findet nur Erstere im Spiel Anwendung. Mit dem Fehlen des globalen Beleuchtungssystems kann man also fast schon von einer Light-Version der Engine sprechen.

Zum anderen wäre da die Tatsache, dass das Spiel in hoher Auflösung selbst auf leistungsstarken PCs nur mit Upsamplern flüssig zu betreiben ist, was die Entwickler offenbar bewusst in Kauf genommen haben. Selbst eine RTX 4090 von Nvidia benötigt bei 4K und maximaler Detailstufe DLSS-Unterstützung, um über 60 Bilder pro Sekunde zu kommen. Das ist schon beachtlich, wenn man drittens bedenkt, dass nicht einmal ressourcenintensive Raytracing-Optionen zur Verfügung stehen und somit auch nicht angezeigt werden.

"Immortals of Aveum", der untypische Magie-Shooter aus dem Hause Electronic Arts, macht von beiden Kernelementen der Unreal Engine 5 Gebrauch, wirkt von Entwickler Ascendant Studios aber auch noch nicht recht optimiert. Neben regelmäßigen Abstürzen der Engine ringen hier selbst die stärksten Grafikkarten damit, eine angemessene Framerate bei nativer 4K-Auflösung hinzubekommen.

Obwohl die Upsampling-Methoden DLSS und FSR auch im Fall von "Immortals of Aveum" zur Leistungssteigerung genutzt werden können, wirkt ihre Anwendung dennoch ein wenig wie eine Notlösung für die schlechte Optimierung des Spiels. Bei den Konsolenversionen für PS5 und Xbox Series X setzt der Entwickler gar auf eine Auflösung von 720p (1.280 x 780 Bildpunkte) und AMDs Upsampling FSR, um eine "hohe" Bildrate zu halten – für 60 Bilder pro Sekunde reicht es dennoch selten. Hinzu kommt, dass die Grafik fast schon enttäuschend wirkt, wenn man sie mit den beeindruckenden visuellen Darstellungen aus der ursprünglichen Matrix-Demo oder mit denen von "MetaHumans" vergleicht.

Bitte warten

So wie es aussieht, bleibt Spielerinnen und Spielern nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben und abzuwarten. Ungewöhnlich ist es nicht, dass Entwickler und neue Engines gerade am Anfang Zeit zur Eingewöhnung brauchen. Es ist davon auszugehen, dass künftige Spiele mit dieser Engine nicht nur weniger anfällig für Abstürze, sondern auch performanter sein werden. Eine nächste gute Gelegenheit könnte sich schon Mitte Oktober mit "Lords of the Fallen" auftun.

Die Zeiten, in denen man Upsampler nur spaßhalber zugeschaltet hat, scheinen mit der Unreal Engine 5 jedenfalls endgültig vorbei zu sein. Nicht zuletzt deutet momentan aber auch vieles noch darauf hin, dass die Game-Engine erst in den nächsten Hardware-Generationen voll ausgereizt werden kann, ohne den Power-Regler bei einer Skala von eins bis zehn auf elf stellen zu müssen. (bbr, 2.9.2023)