Die Firmenzentrale von Moswodokanal ist leicht zu erkennen: Ein riesiges goldenes Absperrventil schmückt das Bürogebäude des größten russischen Wasserversorgers, der mehr als 15 Millionen Kunden im Großraum Moskau serviciert. Ein Datenleck wirft nun viele Fragen nach dem Geschäftsgebaren von dessen Chef Alexander M. Ponomarenko auf. Seine Lebensgefährtin, sein Sohn, seine Tochter, sein Schwiegersohn und sein Stiefsohn scheinen ein weitläufiges Firmennetz aufgebaut zu haben, das auch in Deutschland hochaktiv ist.

Moswodokanal ist der größte russische Wasserversorger. Die Familie seines Chefs ist an Bauprojekten in Deutschland beteiligt.
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Beispielsweise in Berlin: Mitten in der deutschen Hauptstadt, zwanzig Minuten vom Kanzleramt entfernt, entstehen im Bauprojekt "Riverside Square" hochwertige Eigentumswohnungen. Errichten ließ den Bau eine Firma, die zum Netzwerk der Evanka Invest GmbH gehört, in der vor allem eine russische Familie das Sagen hat: die Ponomarenkos. Auch in Immobilien in Leipzig und Ludwigsfelde, einer Stadt in Brandenburg, floss Geld aus den Firmen des Abwasserclans. Die Zahlen gehen aus Berechnungen hervor, die von der Antikorruptionsdatenbank Rupep zur Verfügung gestellt wurden.

Gerät für "unsere Jungs in den Schützengraben"

Seit Kriegsbeginn rückt noch etwas anderes in den Fokus: Offenbar hilft Moswodokanal, Putins Krieg am Laufen zu halten. In einem Video, das Anfang Mai auf einer Social-Media-Seite von Moswodokanal veröffentlicht wurde, erklären Soldaten in Tarnuniform und mit Kampfnamen wie "Elefant" oder "Lenin" tatsächlich, dass sie eigentlich bei Moswodokanal arbeiten, nun aber "dem Vaterland dienen". Das Unternehmen wiederum verspricht Lohnfortzahlung sowie "aufmerksame Begleitung jedes Mobilisierten bis zum siegreichen Ende". Außerdem, so eine Stimme im Video, unterstütze die Moswodokanal-Führung – zu der zuvorderst ja Ponomarenko gehört – "unsere Jungs in den Schützengräben" mit nützlichem Werkzeug: "Zielfernrohre für Scharfschützengewehre, Wärmebildkameras, Nachtsichtgeräte und andere Ausrüstung". Auf einer anderen VKontakte-Seite findet sich ein Anwerbeflyer, laut dem Moswodokanal Teile des Gehalts der Soldaten übernimmt.

Obwohl Ponomarenko mit Moswodokanal also offen den russischen Angriffskrieg unterstützt und sein Familienclan in der deutschen Hauptstadt an Millionenimmobilien verdient, scheint er den deutschen Behörden bislang kaum aufgefallen zu sein. Wie kann das sein? Möglicherweise liegt das auch daran, dass die Familie lautlose Unterstützung aus der Schweiz erhielt, von einer bisher weitgehend unbekannten Schweizer Vermögensverwaltung namens Finaport mit Sitz in Zürich.

Das geht aus geleakten Unterlagen hervor, die im Februar 2023 von einer Hackergruppe für kurze Zeit ins Darknet gestellt wurden und dem STANDARD vorliegen, nachdem der Schweizer Fernsehsender RTS sie gesichert hatte. Die Dokumente – mehr als 500.000 Dateien – wurden in Kooperation mit RTS, dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), "Le Monde" aus Frankreich sowie der Schweizer Tamedia-Gruppe, dem "Spiegel" und dem ZDF in den vergangenen Monaten ausgewertet.

Finaport teilt auf Anfrage mit, bei den geleakten Daten handle es sich um eine "willkürliche, nicht aktuelle und unvollständige Auswahl", und warnt vor "falschen oder irreführenden Unterstellungen". Den Unterlagen zufolge war Finaport bei der Auswahl der Kundschaft nicht wählerisch. Die Firma bediente demnach problematische russische Kunden – nach der russischen Annexion der Krim 2014 und selbst nach dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022.

Auffälligkeiten bei Prüfung

Die Schlüsselrolle in diesem Fall kommt einer Frau namens Liubov K. zu. Am 4. Oktober 2022 meldete sich die Schweizer Reyl Bank bei Finaport: Bei der Prüfung einer Kontoeröffnung für K. seien der Compliance-Abteilung einige Sachen aufgefallen. Liubov K. sei die Lebenspartnerin von Alexander Ponomarenko, dem in mehreren russischen Medienberichten vorgeworfen werde, ihr Aufträge zuzuschieben. Außerdem sei die Herkunft von K.s Einkünften nicht geklärt. Vorsichtig ausgedrückt also: eher schwierige Umstände. Ob Liubov K. das Konto trotzdem eröffnen konnte, ist unklar. Finaport-Kundin blieb sie offenbar, zumindest bis Anfang 2023, so lange ist dies aus dem Leak ersichtlich.

Mindestens seit 2014 erhalten Unternehmen von Liubov K., die sie teilweise zusammen mit Ponomarenkos Sohn besitzt, laut einem öffentlichen russischen Vergaberegister Aufträge von Moswodokanal und von städtischen Behörden, die von einem langjährigen Freund der Familie kontrolliert werden. Aufträge, deren Wert sich laut Berechnungen von Rupep inzwischen auf etwa 166 Millionen Euro summiert. Zusammen mit weiteren Staatsaufträgen erhalten die Firmen der Familie von der öffentlichen Hand demnach sogar mehr als 207 Millionen Euro. Weder Moswodokanal noch Alexander Ponomarenko haben auf Anfragen des SPIEGEL reagiert.

Insgesamt unterhält die Familie aktuell mindestens 30 Unternehmen weltweit. Die Immobilienfirma, der das Projekt in Berlin zuzurechnen ist, betont allerdings, dass Evanka-Gesellschafterin Liubov K. den Großteil ihres Vermögens nicht durch Staatsaufträge, sondern durch Bauträgerprojekte verdient habe und sie persönlich nur etwa 300.000 Euro aus dem Unternehmen erhalten habe, das die Aufträge von Moswodokanal bekommen hat.

Sowohl ihre Gesellschafterin Liubov K. als auch ihr Geschäftsführer, Ponomarenkos Schwiegersohn, hätten "unabhängig voneinander und unabhängig von Ponomarenko ihr Vermögen aufgebaut" – drei Viertel der Finanzierungen ihrer Projekte stammten aus Bankdarlehen.

Durch die Veröffentlichungen dürfte der Druck auf die Schweiz, die es dubiosen Geschäftsleuten bei Geldanlagen nach Ansicht von Experten immer noch viel zu einfach macht, wieder steigen. Erst jüngst hatten US-Politiker das Land eine "Schwachstelle westlicher Sanktionen gegen Russland" genannt. Schon lange gelten Schweizer Banken als moralisch außerordentlich flexibel, wenn es ums Geldverdienen geht.

"Lächerlich ängstliche Compliance"

Vermögensverwalter wie Finaport, das nach eigenen Angaben im Jahr 2019 etwa zwei Milliarden Dollar Kapital betreute, aber keine Einlagen seiner Kunden hält, konnten lange weitgehend unter dem Radar arbeiten. Die internen Dokumente und E-Mails aus dem Unternehmen zeigen nun in seltener Detailtiefe, nach welchen moralischen Standards dort gearbeitet wird.

So ärgerte sich ein Finaport-Angestellter im Jahr 2016 in einer E-Mail über die "lächerlich ängstliche Compliance" einer Partnerbank, die genauere Informationen über die Herkunft des Vermögens eines schwerreichen Finaport-Kunden wollte, und fragte, was aus den "guten alten Können-wir-machen-Zeiten geworden" sei. In einer anderen hausinternen E-Mail behauptet Finaports damaliger CEO, der Compliance-Chef würde nur 15 bis 20 Minuten brauchen, um Kunden aus der Kategorie "erhöhtes Risiko" zu überprüfen – wenn die Unterlagen der Kundenberater vollständig seien. Auf Anfrage nimmt Finaport zu diesen Vorgängen nicht Stellung, betont jedoch, einen umfassenden Compliance-Ansatz zu praktizieren. Auf Anfrage bedauert Finaport, zu den Vorgängen keine Stellung nehmen zu können, und verweist auf das strafrechtlich geschützte Berufsgeheimnis. Das Unternehmen betont jedoch, einen umfassenden Compliance-Ansatz zu praktizieren und alle gesetzlichen Vorschriften stets einzuhalten.

Möglicherweise geht inzwischen ein Riss durch die Familie Ponomarenko. Von der deutschen Immobiliengesellschaft heißt es jedenfalls, bei einem Großteil ihrer Gesellschafter und Mitarbeiter handle es sich um gebürtige Ukrainer, das Team würde stark unter den Folgen des "grausamen Angriffskrieges" leiden, man habe sogar ukrainischen Flüchtlingen Wohnraum zur Verfügung gestellt. Liubov K. wiederum lässt erklären, sie sei seit einiger Zeit nicht mehr Ponomarenkos Lebensgefährtin und habe Russland im Februar 2022 verlassen. Allerdings sei sie noch an "diversen noch nicht abgeschlossenen Immobilienprojekten" beteiligt. (Corinna Cerruti, Carina Huppertz, Bastian Obermayer, Ruben Schaar, 13.9.2023)