Eine mit Union Jacks geschmückte Straße in London.
Der Krönungsfeiertag hat den privaten Konsum der Briten zusätzlich gedämpft.
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Mangelnde Kauflust aufgrund schlechten Wetters, dazu Beeinträchtigungen durch Streiks bei der Eisenbahn, in Schulen und im Gesundheitswesen haben in der britischen Wirtschaft Spuren hinterlassen. Laut den Zahlen des Statistikamtes ONS hat die britische Wirtschaft im Juli einen überraschend hohen Rückgang um 0,5 Prozent verzeichnet. Die unerfreuliche Nachricht setzt die Zentralbank unter Druck, den Zinssatz in diesem Monat nicht wie zuletzt noch weiter zu erhöhen. Der konservative Finanzminister Jeremy Hunt zog einen Vergleich mit den ebenfalls schlingernden Volkswirtschaften auf dem Kontinent und beschwor "viele Gründe, für die Zukunft zuversichtlich zu sein".

Das britische BIP hängt zu mehr als 80 Prozent vom Wohlergehen der Dienstleister ab. Dieser Sektor schrumpfte ebenso wie die Baubranche um 0,5 Prozent, bei der verarbeitenden Industrie waren es sogar 0.7 Prozent. Das dritte Quartal beginnt somit deutlich schwächer, als das zweite geendet hatte. Allerdings betrug das Wachstum zwischen April und Juni auch nur 0,2 Prozent, beeinträchtigt durch den Krönungsfeiertag im Mai.

Besser als ihr Ruf

Die Statistiken für eine komplizierte Volkswirtschaft sind freilich stets mit Vorsicht zu genießen. Erst zu Monatsbeginn hatte sich herausgestellt, dass die Insel deutlich besser durch den schweren wirtschaftlichen Einbruch durch die Covid-Pandemie der Jahre 2020 und 2021 gekommen war. Statt wie zuvor angenommen erst rund sechs Monate später hatte Großbritannien dem Statistikamt ONS zufolge bereits im Spätsommer 2021 wieder das Bruttoinlandsprodukt von Anfang 2020 erreicht.

Die nächste Zinsentscheidung der Bank of England (BoE) steht kommende Woche an. Während die Fachleute eine weitere Anhebung um 25 Basispunkte auf 5,5 Prozent erwarten, deutete BoE-Gouverneur Andrew Bailey vergangene Woche im Unterhaus eine Abschwächung seiner Politik des Schraubenanziehens mit zuletzt 14 Erhöhungen an. Man befinde sich "viel näher" an der optimalen Zinsmarke als vor den Parlamentsferien. Im Juni hatte der zuständige Monetärausschuss unter Baileys Leitung den Leitzins noch um 50 Basispunkte angehoben.

Auf Höhe mit Italien

Bei einer auf zwei Jahre festgeschriebenen Hypothek – die Briten sind an häufige Wechsel ihrer Finanzprodukte gewohnt – fallen der Website Moneyfacts zufolge im Durchschnitt derzeit 6,66 Prozent Zinsen an. Das stellt eine kleine Erleichterung dar gegenüber August, als neue Hypotheken im Durchschnitt nur gegen 6,85 Prozent Zinsen zu haben waren, dem Höchstwert der letzten fünfzehn Jahre. Dennoch geraten immer mehr Haus- und Wohnungsbesitzer mit ihren Zahlungen in Rückstand. Im zweiten Quartal gerieten dadurch Hypotheken im Gesamtwert von 16,9 Milliarden Pfund in Gefahr, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 28,8 Prozent.

Die Inflation verharrt noch immer bei hohen 6,8 Prozent. Damit schneidet die Brexit-Insel bei der Teuerungsrate deutlich schlechter ab als die vergleichbar großen Volkswirtschaften in der Eurozone, was zur Skepsis der Finanzmärkte beiträgt. Wer derzeit britische Zehnjahresanleihen kauft, wird mit einem Zinssatz von 4,42 Prozent belohnt, nur knapp weniger als für die Schuldscheine Italiens (4,46). London Geld zu leihen gilt also als deutlich risikoreicher als beispielsweise Berlin (2,68) oder Paris (3,23). (Sebastian Borger, 14.9.2023)