Wie lange und wie oft Rainer Maria Rilke vor dem Panther stand, dessen geschmeidige, graziöse Bewegungen studierte, sich in das Tier im Käfig hineinzudenken versuchte, ist nicht bekannt. Aber er fühlte offensichtlich eine Seelenverwandtschaft mit dem Raubtier, das hinter Gitterstäben seine Kreise zog, und dichtete so fasziniert wie melancholisch: "Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht."

Der Panther und Cartier gehören bis in die Gegenwart untrennbar zusammen.
Der Panther und Cartier gehören bis in die Gegenwart untrennbar zusammen.
Cartier

1902 war der österreichische Lyriker nach Paris gezogen und schien sich in der Metropole anfangs nicht recht wohlgefühlt zu haben. Er besuchte noch im selben Jahr den Jardin des Plantes, einen botanischen Garten in Paris, wo auch exotische Tiere gezeigt wurden. Darauf verweist der Untertitel seines berühmten Gedichts Der Panther.

Gut möglich, dass sich ein Zeitgenosse Rilkes von einem Besuch im Jardin des Plantes zu einer anderen künstlerischen Interpretation der majestätischen Großkatze inspirieren ließ. 1914 zeichnete der Maler George Barbier eine "Frau mit Panther" im Stil des Art déco. Es war eine Auftragsarbeit für Louis Cartier, Geschäftsführer der gleichnamigen Luxusmaison. Und der Beginn eines gemeinsamen Weges – der Panther und Cartier gehören bis in die Gegenwart untrennbar zusammen.

Das Tier, eigentlich ein schwarzer Leopard, aus seinem Käfig und von der Rilke’schen Melancholie befreit, zierte erstmals 1914 eine Armbanduhr mit Onyx und Diamanten in einer Schwarz-Weiß-Pavé-Fassung. Und erinnert solcher Art an das gefleckte Fell des Leoparden, den der Zoologe Alfred Brehm in seinem Tierleben als "vollendetste aller Katzen auf dem Erdenrund" bezeichnet. Seinen Durchbruch im Schmuckdesign verdankt das "Raubtier der höchsten Stufe" (Brehm) einer für ihre Zeit außergewöhnlichen Frau, die Louis Cartier 1933 zu seiner Kreativdirektorin machte: Jeanne Toussaint.

Wappentier mit Wiedererkennungswert

Die Belgierin aus einfachsten Verhältnissen, Freundin von Coco Chanel und Geliebte von Louis Cartier – er nannte sie "La panthère" –, brachte Schwung in die Bude. Sie entstaubte die Kollektion, setzte das Panthermotiv als Zentralgestirn in den Fokus ihrer Entwürfe. Cartier, heute Teil des Luxusgüterkonzerns Richemont, hat in der Schmuck- und Uhrenwelt seither quasi das Monopol auf die elegante Raubkatze.

Kein anderer Hersteller wagt es, sich dem Tier auch nur anzunähern. Dabei verwendet das Unternehmen den Panther nicht einmal als Logo im strengen Sinn. Es ist vielmehr ein Maskottchen, ein Wappentier mit hohem Wiedererkennungswert. Es erfüllt als solches jedenfalls den Zweck eines Logos, das als eine Art stark reduziertes "Leistungsversprechen", die Kommunikation zwischen dem Produktanbieter und seinem Kunden erleichtert.

Der "König der Tiere" findet sich daher nicht von ungefähr im Logo des Nutzfahrzeugherstellers MAN. Dessen Trucks ziert ein stilisierter Löwe. Die Botschaft an die Kundschaft ist klar: Unsere Fahrzeuge sind robust, stark, majestätisch. Eigenschaften, die bekanntlich auch dem Löwen zugesprochen werden. Vermutlich will man mit der Wahl des Logos auch unterstreichen, woher man kommt. Immerhin ist die Großkatze auch im Wappen von Bayern präsent, der Heimat der Firma. Die im vollen Sprint abgebildete Raubkatze wiederum, die die Sportwagen des Luxusautoherstellers Jaguar ziert, verkörpert die Attribute, die die britische Nobelmarke transportieren möchte: Kraft und Eleganz.

Vom "Leaper" zum Puma

Das Logo gab sich die Marke 1945, als sich der traditionsreiche Autobauer Swallow Sidecars in Jaguar umbenannte. Passenderweise hatte man mit dem S.S. Jaguar von 1935 schon ein Modell in petto, konnte also nahtlos an die eigene Geschichte anknüpfen. Heute ist der vom englischen Illustrator F. Gordon Crosby geschaffene "Leaper", wie das Logo auch genannt wird, fast so ikonisch wie das sich aufbäumende Pferd von Ferrari.

Kraft und Eleganz symbolisiert das als
Kraft und Eleganz symbolisiert das als "Leaper" bezeichnete Logo des für seine Luxussportwagen bekannten britischen Autoherstellers Jaguar.
Jaguar

Oder der springende Puma, der auf tausenden Produkten des gleichnamigen Sportartikelherstellers prangt. Die Raubkatzensilhouette entsprang der Feder des deutschen Karikaturisten Lutz Backes, feiert heuer ihr 55-Jahr-Jubiläum und markiert die Anfänge des modernen Firmenlogos in Deutschland. Designexperten sehen in dem Logo bis heute ein Musterbeispiel für erfolgreiches Corporate Design. Logo und Produkt passen auch hier perfekt zusammen.

Noch einmal zurück zum König der Tiere: Der Löwe im Logo des französischen Autoherstellers Peugeot, immerhin der zweitälteste der Welt, ist zwar nicht unbedingt ikonisch, hat aber einen interessanten Ursprung. Denn anfangs stellte die Stahlmanufaktur Peugeot Sägen her. Von deren scharfen Zähnen ließ sich der Justin Blazer 1874 zum Entwurf des Logos inspirieren. Der Peugeot-Löwe mag sein Aussehen zwar im Lauf der Zeit verändert haben, steht aber immer noch unverrückbar im Zentrum der Markenidentität.

All diese Beispiele beweisen schließlich eines: Die Raubkatze hat als Logo eine steile Karriere hingelegt. Diese ist noch lange nicht vorbei. (RONDO, Markus Böhm, 6.10.2023)