The Lost King
Die schrullige Hobbyhistorikerin Philippa (Sally Hawkins) hält gern Zwiesprache mit ihrem Lieblingskönig Richard III.
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Stephen Frears ist so etwas wie ein Chronist des very Britischen. Wie Ken Loach, Peter Greenaway oder Derek Jarman zählt er zu den Initiatoren des New British Cinema der 1980er- und 1990er-Jahre, erreichte indes nie deren ikonischen Status. Seine Filme sind doch etwas zu wechselhaft und gefällig, die Handschrift ist nicht klar. Er hat Kultfilme wie High Fidelity (2000), Kostümklassiker wie Gefährliche Liebschaften (1988) oder die Königinnenbiografie Die Queen (2006) gemacht, die ihm eine Oscar-Nominierung bescherte.

Für die Angelegenheiten der Upper Class und des britischen Königshauses interessiert er sich seither besonders. Wie sich Letzteres in Form von Fantasien und handfestem historischem Interesse in das Leben der Mittelklasse einschleicht, zeigt er in seinem neuen Film The Lost King. Die wunderbar expressive und oft kindlich wirkende Sally Hawkins spielt darin nach einem wahren Vorbild Philippa Langley, eine Hobbyhistorikerin, die in einer einzigartigen Suchaktion – man kann es auch einen Archäologiekrimi nennen – die Gebeine von Richard III. fand. Der von 1452 bis 1485 lebende englische Herrscher war der letzte aus der Dynastie der Plantagenet, bevor die Tudors den Thron bestiegen.

THE LOST KING | Offizieller Trailer | Ab 05. Oktober im Kino
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Einer, der nichts Gutes über Richard III. zu sagen hatte, war bekanntlich William Shakespeare. Als buckligen, intriganten Mörder bezeichnete er ihn, vor dem selbst die Hunde zurückschreckten und der sich am Ende seines Lebens nichts mehr als ein Pferd wünschte.

Was der Abschreckung dienen sollte, berührt Philippa nach einem Theaterabend so sehr, dass sie eine tiefe Empathie für den Schreckensherrscher entwickelt. Sie stellt Nachforschungen an, trifft auf einen Richard-Fanclub und sucht nach Indizien für ihr Gefühl, dass Shakespeare etwas übertrieben haben muss. Bei etablierten Historikern trifft sie hingegen auf naserümpfendes Desinteresse.

Ein Gespür für den König

Tatsächlich ist Philippa ein komischer Vogel. Da sie unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom leidet, zieht sie sich mehr und mehr aus ihrem frustrierenden Arbeitsalltag und von ihrer Familie zurück. Schade eigentlich, denn die Szenen mit Steve Coogan, der Philippas Ex-Ehemann spielt und auch am Drehbuch mitwirkte, gehören zu den witzigsten und wärmsten Momenten des etwas richtungslosen Films. Stattdessen führt Philippa mit dem imaginären Richard III. Gespräche auf der Parkbank und vergräbt sich in die Recherche. Bald ist sie überzeugt davon, dass das Bild Richards, der immerhin die Unschuldsvermutung in die Rechtssprechung einführte, durch die Tudor-Propaganda übel zugerichtet worden sei. Sogar den Buckel bezweifelt sie.

Dass es diesen tatsächlich gab, bezeugt aber schließlich der Grabfund des Königs, der Philippa nach einem Spießrutenlauf bei potenziellen Fördergebern gelingt. Dabei kommen die Universitäten gar nicht gut weg. Frears zeigt sie als profitorientierte Unternehmen, die wenig tun, sich aber am Ende die Lorbeeren einheimsen, die Philippa vorerst versagt bleiben. 2015 hat’s die Queen dann gerichtet: Sie verlieh Philippa Langley einen Orden. (Valerie Dirk, 6.10.2023)