Der Wind fegt in lebhafter Herbstlaune durch die Bäume, doch noch hält das Blätterdach des Wiener Stadtparks stand. Mit Blick auf seine Baumkronen wohnen die Anwältin Alina Regal und der Architekt Rupert Zallmann in einem Haus, das in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut wurde. Angeblich hat es der berühmte Heinrich Ferstel entworfen. Sicher ist es nicht. Steigt man die Stufen des Treppenhauses empor, fühlt es sich auf jeden Fall nach Historismus an. Die Wohnungstür von Zallmann und Regal steht offen, Windhündin Nala tut die Ankunft des Besuchs kund. Es dauert ein Weilchen, ehe das "Italienische Windspiel" husch, husch im Körbchen verschwindet.
Sieht man von der Stuckdecke und der beachtlichen Raumhöhe von 4,46 Metern ab, ist schnell Schluss mit Historismus. Schön tät er schauen, der Heinrich Ferstel, ob der eingezogenen gläsernen Zwischendecken oder der von Zallmann entworfenen Bodenfliesen, zu denen ihn der Architekt und Designer Gio Ponti inspiriert hat. Auch der Wald, der im Wohnzimmer aus Blumentöpfen emporwächst, hätte vor 150 Jahren wohl kaum Gefallen gefunden.
Eingezogen ist Zallmann 2004, sodann dienten die Räume der Mietwohnung mit 130 Quadratmetern als WG mit typischem Kommen und Gehen und allem, was dazugehört, inklusive Partyzone. 2015 wurde dem Architekten, der bei Wolf D. Prix an der Wiener Angewandten studierte und sieben Jahre in Diensten des Entwerfers Gregor Eichinger stand, klar, dass er hier definitiv auf keinen Fall mehr wegziehen wolle. Mit diesem Entschluss im Kopf schmiedete der Architekt Pläne zum Umbau. In Gedanken, im Computer und in Form von Modellen. Teppiche wurden rausgerissen, Schiffsböden freigelegt, eine Wand wurde entfernt, eine andere versetzt, Fliesen wurden im Keller gegossen, Pflanzen gekauft, Kunst geliehen und getauscht. Der Architekt nahm es sehr ernst mit dem Umbau. Und zwar vom Scheitel bis zur Sohle.
Bereits beim Eintreten in die Wohnung lässt eine eingezogene Glasdecke staunen, die unter Aufsicht eines Statikers an den tragenden Wänden befestigt wurde, was, so der Architekt, an einem einzigen Tag mithilfe von Flaschenzügen geschafft war. Nimmt man am geräumigen Küchentisch Platz und neigt den Kopf zurück, fällt der Blick durch Glas in einen Raum empor, der zu schweben scheint. "Stauraum und freie Sicht", sagt Zallmann. Der Architekt stapelt tief, denn dort oben liegt ebenso eine Bibliothek wie eine kleine Galerie mit Kunst von vielen befreundeten Künstlern und Künstlerinnen wie Ana Popescu, Marco Dessi oder Constantin Luser.
Auch Wäsche werde dort oben regelmäßig über die "Reling" gehängt. Stante pede verspürt man den Wunsch, hinaufzusteigen, um all die Bilder, Fotos und Grafiken genauer unter die Lupe zu nehmen. Oder einfach nur die Aussicht auf eine ganz besondere Bleibe zu genießen, zum Beispiel in ein salonartiges Wohnzimmer, wo doch tatsächlich ein kleiner Urwald aus allerlei Sukkulenten wuchert. Ein Sofa kann man dort lange suchen, Zallmann und Regal ziehen es vor, auf einem großen Teppich zu knotzen, unter welchem sich weiche Unterlagen verstecken, ein Matratzenlager de luxe sozusagen. "Der ganze Boden mit seinen Teppichen ist als Möbel zu sehen", erklärt Zallmann einen ungewöhnlichen, aber sympathisch ungestylten Zugang der hier gelebten Wohnphilosophie, zu deren Nachahmung je nach Gefallen durchaus angeraten sein darf.
Disco und Rückzugsort
An der Decke des Wohnzimmers baumelt über einer Glasskulptur von Zallmann eine Discokugel, die nicht nur zum Einsatz kommt, wenn das Tanzbein geschwungen wird. Die kleinen Lichtsterne, die der verspiegelte Ball an die Wände wirft, erinnert das Paar an den Weltraum. Auch ein Regenbogen kann an die Wand projiziert werden. Es muss nicht immer Disco sein. Die beiden sehen ihr Wohnzimmer als Oase, in der sie den Sternenhimmel ebenso genießen wie die Nachmittagssonne.
Bei all der geerdeten und sehr individuellen Pracht unter der alten Stuckdecke ist es den Bewohnern dieses besonderen Stücks Altbaukultur wichtig, den Blick auf freie Flächen und weiße Wände nicht zu verlieren. Wohnen stehe für einen Rückzugsort, für Zeit mit seinen Lieben. Es sei ein Gefühl, sagt Alina Regal. "Manchmal sag ich im Büro, ich gehe nach Hause wohnen", setzt Zallmann nach und erwähnt, dass sich eine Wohnung auch verändern und wachsen solle.
Ob Architekten anders wohnen, will man während der Wohnungsführung wissen. Die beiden sind sich einig, dass viele Angehörige dieser Zunft mitunter über eine besondere Fähigkeit verfügen, Design und Funktion zu kombinieren, Raummutationen zu hinterfragen, die Wohnung als eine Art Labor zu empfinden und das Bedürfnis zu verspüren, besondere Orte mit Charakter zu schaffen.
Bis auf das Bett haben sie kaum ein Möbel neu gekauft, es handelt sich um Prototypen und Fundstücke verschiedener Herkunft. Selbst der fette Teppich im Arbeitszimmer, dessen Farben an die Gebäude des Jardin Majorelle in Marrakesch erinnert, ist eine eigene Arbeit, die in Marokko umgesetzt wurde.
Von der Küche, welche die beiden "Wohnmaschine" und "Kommandozentrale" nennen, führt der Weg weiter durch einen Gang in ein kleines Bad, davor zweigt man in eine Art zweiten Vorraum zu einem weiteren Flügel der Wohnung ab, wo ein Arbeitszimmer und das Schlafzimmer des Paares untergebracht sind. Dieser Vorraum wird mittels äußerst gefinkelter Türsysteme gleichermaßen zum Stauraum wie zum Ankleidezimmer. Auch in diesem Bereich hat Zallmann eine Glasdecke eingebaut, über die sich ein gut versteckter Lagerraum erreichen lässt. Insgesamt, so der Architekt, habe man an die 25 Quadratmeter zusätzliche Wohnfläche gewonnen. Als Material sei einzig und allein Glas infrage gekommen. Jedes andere Material hätte die Wohnung verdunkelt. Leuchtet ein. "An die Decke gehen" hat hier definitiv eine andere Bedeutung.
Apropos Licht: Ob sie nicht gern einen kleinen Balkon oder eine Terrasse hätten, fragt man Regal und Zallmann am Ende des Besuches. "Wozu?" lautet die Gegenfrage. "Wir haben ja den Stadtpark vor der Nase. Der ist unser Garten." So wie der kleine Dschungel in der guten Stube. (RONDO Exklusiv, Michael Hausenblas, 5.11.2023)