Frau arbeitet an Schreibtisch am Computer
Mit Copywriting soll ein hohes monatliches Einkommen ortsunabhängig möglich sein, versprechen Coaches.
Getty Images/annebaek

Sie hatte es sich so perfekt vorgestellt. ­Klara Schneider* sitzt in einem Haus auf den Philippinen an einem breiten Holzschreibtisch und blickt auf den Ozean hinaus. "Ich wollte es ja wirklich lernen", sagt die 55-jährige Deutsche, "aber ich schaffe es nicht." Schneiders Plan, sich als Copywriterin selbstständig zu machen, ging nicht auf. In einer Online-Akademie sollte sie für 4000 Euro in vier Monaten lernen, wie sie monatlich tausende Euro mit dem Schreiben von Werbetexten erzielt. Nun sitzt sie tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt und hat noch keinen Cent verdient. DER STANDARD spricht mit Schneider per Videocall. Sie fühlt sich betrogen, sagt sie.

Von überall aus ortsunabhängig zu arbeiten ist für viele ein Traum. Im Internet sprießen Coachingangebote für digitale Nomaden, etwa im Bereich Copywriting, aus dem Boden. 10.000 Euro im Monat mit Produkt- oder Verkaufstexten zu verdienen sei ganz einfach, behaupten Coaches auf Social-Media-Plattformen. Ein Youtube-Werbevideo zeigt etwa einen Mann auf einem Boot mit Kokosnuss in der Hand. Sein Name: Philipp Follmer. Heute sei er Deutschlands bekanntester Copywriter, reise durch die Welt und sei finanziell völlig unabhängig. Seine Expertise gibt er in seiner Freedom Writer Academy (FWA) weiter.

DER STANDARD will wissen, was hinter seinem Angebot steckt und bewirbt sich online. Nach einem ersten Telefonat mit einem heiteren Mitarbeiter folgt ein Bewerbungsgespräch mit dessen Kollegen, einem "Closer". Dieser fragt nach Gründen, warum man aus der starren Arbeitswelt ausbrechen wolle. Und welchen Preis man dafür bereit sei zu zahlen. In der FWA gehe es neben den Inhalten auch um das richtige "Mindset" als Teil einer motivierten "Community".

Überzeugt von der Bewerbung ist er aber letztlich nicht ganz: "Ich spüre da noch eine gewisse Zurückhaltung." Aber er versucht es weiter: Wer sich für die FWA entscheide, "fährt keinen Mitsubishi, sondern Mercedes E-Klasse". Wer sich bewährt, darf in den Videokursen von Philipp Follmer lernen. In einem Werbevideo auf seiner Homepage erzählt er, wie er vom Regale­einräumen im Supermarkt zu fünfstelligen Monatsumsätzen mit Copywriting kam. Nun würde er sich hauptsächlich auf seine Academy konzentrieren.

Selbstvermarktung lernen

Besonders angesprochen gefühlt hat sich durch sein Angebot die reisefreudige Klara Schneider. Außerdem habe sie schon ein Buch geschrieben. "Das Schreiben liegt mir", habe sie gedacht. Die Module der FWA sollten ihr zeigen, wie sie sich ein erfolgreiches Profil in den sozialen Medien mit vielen Followern aufbauen und eine Zielgruppe ansprechen könne. Sie werde Selbstvermarktung lernen, Verkaufspsychologie und Neuromarketing. Dann könnte sie für ihre Texte viel Geld verlangen.

Nach wenigen Tagen im Kurs folgte aber die Überforderung. Viele englische Begriffe prasselten auf sie ein, Fachjargon und eine Grund­voraussetzung, die sie nicht hatte. In zusätzlichen Coaching-Videomeetings sollte sie motiviert werden, über sich hinauszuwachsen. Als sie gegenüber Mitarbeiterinnen ihren Unmut geäußert habe, hätten diese ihr mitgeteilt, sie solle sich nicht unter Druck setzen und weiterüben.

"Ich saß am Ende da und war verzweifelt", sagt Schneider. "Für das Geld hätte ich auf den Philippinen locker acht Monate leben können. Ich habe investiert, aber für mich nichts bekommen." Kritik wie die von Schneider findet man online kaum. In der öffentlichen Facebook-Gruppe folgt eine Erfolgsgeschichte der anderen. Wie passt das zusammen, was steckt hinter dieser Akademie?

In den USA gemeldet

Eine Recherche des Internetauftritts zeigt: Die FWA gehört zu einer Firma namens PSF International LLC, einer in Oakland, Florida, ansässigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Für Unternehmerinnen und Unternehmer in Europa ist das Gründen einer Limited Liability Company, kurz LLC, in manchen Staaten der USA attraktiv. Sie gilt als Personengesellschaft, es braucht kein Startkapital, und man muss kein Staatsbürger sein.

Die Steuerlast ist geringer als in Deutschland oder Österreich. Dafür muss die Firma in den USA aber einen Geschäftsbetrieb haben. Ansonsten fallen dort Steuern an, wo die Firma hauptsächlich agiert. Ein freier Fotograf besucht für den STANDARD den Firmensitz in Florida. Er findet ein breites Gebäude mit mehreren Eingängen. Auf den Klingelschildern sind zahlreiche Namen von Unternehmen zu lesen. PSF International ist nicht zu finden. Eine weitere Recherche zeigt: Für dieselbe Adresse in Oakland sind hunderte Firmen gemeldet.

Klingelschild Oakland Park Florida mit vielen LLC und Incs
Auf dem Klingelschild an der Adresse in den USA war die Firma der Freedom Writer Academy nicht zu finden.
Diasgranados

Dem STANDARD wird kurz darauf ein Kaufvertrag der Academy für Copywriting-Interessierte zugespielt. Er zeigt, die Umsatzsteuer wird – wie für eine LLC üblich – mit null Prozent ausgewiesen. Die Summe von 3.950 Euro soll an ein Konto mit belgischer IBAN überwiesen werden. Sie führt zu einem Onlinekonto des Zahlungsanbieters Wise. Das Fintech-Unternehmen erklärt auf seiner Homepage, warum seine Bankkontos für amerikanische LLCs praktisch seien, und bietet günstige Überweisungen ins Ausland an. In Europa gibt es für sogenannte Fernunterrichtsleistungen klare Richtlinien: Sie müssen dort versteuert werden, wo sie in Anspruch genommen werden. Im Falle der FWA also zumeist in Deutschland und Österreich. Auf Nachfrage lässt sein Anwalt wissen: Philipp Follmer komme seinen rechtlichen Verpflichtungen gänzlich nach.

"Ich sehe, dass viele Coaches in die USA gehen, weil sie versuchen, sich der europäischen Rechtsverfolgung zu entziehen", sagt Reinhold Schranz, Leiter des Europäischen Verbraucherzentrums Österreich. Gerade seit der Pandemie und den Teuerungen hätten viele Personen nach Möglichkeiten für attraktive Nebenverdienste gesucht. Coachingangebote für unabhängiges Arbeiten würden seitdem boomen. Er berichtet aber gleichzeitig von 1.000 Beschwerden, die zu diversen Coachings beim Verein für Konsumenteninformation seit Juli 2021 eingegangen sind. "Vor Corona gab es solche Beschwerden nicht in dieser Masse." Es hätten sich bereits Personen bei ihm gemeldet, die fünfstellige Beträge für Coachings bezahlt hätten. Sie hätten beklagt, keinen Mehrwert gehabt zu haben und das Geld nicht mehr zurückbekommen zu haben.

Kein Widerrufsrecht?

Im Bezahlprozess der FWA müssen Teilnehmende außerdem ein Häkchen setzen: "Ich verzichte auf mein 14-tägiges Widerrufsrecht." Kundin Schneider etwa wusste von einem Widerrufsrecht gar nichts, sagt sie. Sie habe online überwiesen, aber keinen Vertrag erhalten. Vor einigen Wochen formulierte sie eine E-Mail an die Academy. In dieser schrieb sie, nicht sachgemäß über das Widerrufsrecht aufgeklärt worden zu sein, und verlangte den Betrag zurück. Ähnlich wie in Deutschland gilt auch in Österreich laut Ombudsstelle Internet: Es gibt keinen Verzicht auf das Widerrufsrecht, auch nicht mit einem Häkchen bei einer Checkbox.

Während der Recherche werden dem STANDARD weitere Fälle unzufriedener Teilnehmender bekannt. "Ich bin schon recht lange sehr unzufrieden (…) und finde, dass man Wissen bekommt, das veraltet ist (...) oder einfach nicht mehr reicht, um damit erfolgreich zu werden", schreibt eine Person. Das Befinden sei ernüchternd, weil es so lange dauere, als Copywriterin zahlende Kunden zu finden, schreibt eine andere. Sie hätte wieder in ein Angestelltenverhältnis gewechselt. Andere wiederum feiern Erfolge.

Ein älteres Werbevideo zeigt etwa Kai Gerrit Krause. Der Mann leitet mittlerweile als direkter Konkurrent seine eigene Akademie. Er gründete Copywriting MBA und verlangt rund 5.000 Euro für dreimonatige Kurse. Auch zwei weitere Testimonials der FWA wurden Coaches für Copywriting. Andere erzählen, wie sie die Inhalte als Weiterbildung für ihren Hauptberuf nutzen. Eine Person berichtet von einem Auftrag von 15.000 Euro. Eine andere, wie sie in drei Monaten 3.000 Euro verdient habe. Eine weitere junge Frau verdiene nun 5.000 Euro pro Monat.

Umsatzmarke überschritten

Die Erfahrungsberichte auf der eigenen Homepage handeln meist von einzelnen Aufträgen, aber nicht von langfristigen monatlichen Einnahmen. In einem Instagram-Posting von Philipp Follmer werden Bilder einer Feier in Barcelona gezeigt. Eingeladen wurden Mitglieder der FWA, welche die Marke von "10.000 Euro Umsatz geknackt" haben. Vor Ort zu sehen sind auf einem Foto zwölf Personen. Insgesamt haben nach eigenen Angaben der FWA bereits mehr als 1.400 Menschen die Ausbildung absolviert. Doch auch für jene, die keine 10.000 Euro verdienen, könne sich das Coaching-Angebot rechnen.

Etwa für Erich Schattauer aus der Steiermark. Er berichtet in einem Videocall über positive Erfahrungen. Nach Jahren als Volksschullehrer wollte er sich selbstständig machen und entdeckte das Angebot der FWA: "Für mich war das, was die Academy bietet, eine Idealvorstellung." In der Ausbildung habe er zwar selbst viel Verantwortung übernehmen müssen, hätte aber genügend Ansprechpartner gehabt. Trotzdem würden die Werbevideos den Job einfacher darstellen, als er dann sei, räumt er ein. Erste Kunden für die Werbetexte zu finden erfordere viel Aufwand und Geduld.

Einzelfälle prüfen

Nach einer Anfrage bei Follmer bezüglich der FWA antwortete sein Anwalt. Die Kundinnen und Kunden seines Mandanten seien hauptsächlich zufrieden. Kritik von unglücklichen Teilnehmenden nehme er ernst. Auf negatives Feedback würde er reagieren und in Einzelfällen auch prüfen, ob eine vorzeitige Vertragsbeendigung möglich ist. 10.000 Euro im Monat zu verdienen sei kein Versprechen, sondern wäre als Zielsetzung gedacht. Wie viele der Absolventen diese Umsätze erreicht hätten, könne er nicht bekanntgeben.

Nachdem Klara Schneider nach ihrer Beschwerde nichts von der FWA gehört hatte, trat sie einer Whatsapp-Gruppe mit unzufriedenen Teilnehmenden bei. Dann folgte plötzlich eine E-Mail vom Team der Academy. Sie werde so wie alle in der Whatsapp-Gruppe aus den Kursen entfernt und von einem Anwalt lesen. In der Beantwortung der Anfrage erklärt der Anwalt dazu, es gäbe Rückschlüsse auf Rufschädigung und Drohungen, weshalb nicht zumutbar sei, den Personen weiterhin Zugang zu Angeboten der FWA zu gewähren.

Copywriter Schattauer berichtet auch Monate nach Abschluss der Academy von regelmäßigen Aufträgen. Er habe seine Nische gefunden und schreibt für Firmen im Bereich Haus- und Garten. Er könne gut davon leben, wenn es so weitergehe. Das Gleiche gilt wohl auch für die Academy: Denn alle paar Wochen startet wieder eine neue Gruppe ins Copy­writing-Programm. (Melanie Raidl, 6.11.2023)