Siegfriedskopf
Die vorläufig letzte Ruhestätte des Siegfriedskopfs sowie seines Sockels unter einem mit Texten bedeckten Glassturz.
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Seit 2006 ruht er wie Schneewittchen in einem Glassarg, der im hinteren Arkadenhof der Universität Wien aufgestellt ist. Zwar ist der durchsichtige Sarkophag, der den "Siegfriedskopf" umgibt, mit einigen erklärenden Texten versehen. Unbedarfte Betrachter werden aber vermutlich nicht ganz schlau aus der mehrteiligen Installation, die nur einen Teil der genau 100-jährigen umstrittenen Geschichte dieses Denkmals erzählt.

Von November 1923 bis 2006 war dieses mehrdeutige Gefallenendenkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs sehr viel prominenter platziert: Es stand im hinteren Teil der Aula des Hauptgebäudes. Damit war der Charakterkopf, der mit Gesicht nach oben auf einem Marmorsockel ruhte, für alle Personen, die das Gebäude der Universität durch den Haupteingang betraten, unübersehbar.

Erstaunlich spät wurde das Denkmal zum Stein des Anstoßes. Erst im Jahr 1990 gestand der akademische Senat der Uni Wien ein, dass der Siegfriedskopf eine problematische Geschichte hatte. Was danach folgte, war eine heftige Debatte, die zu einem erheblichen Teil auch im STANDARD ausgetragen wurde und einige auch aus heutiger Sicht noch erstaunliche Diskussionsbeiträge lieferte, die dazu beitrugen, dass es, ehe es bis zur endgültigen Versetzung gekommen war, noch einmal 16 Jahre dauerte.

"Arische" Studentenvertreter

Aber alles der Reihe nach. Bereits unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurde noch 1914 an der kriegsbegeisterten Universität Wien beschlossen, die Namen jener Studenten und Lehrer, die als Soldaten sterben sollten, auf Marmortafeln zu verewigen. Die Idee, die sich angesichts der hohen Zahl der Opfer bald als schwer durchführbar erwies, wurde erst 1922 wieder ernsthaft aufgegriffen. Dabei nahm die 1919 gegründete Deutsche Studentenschaft, die nach dem "Arierprinzip" nur nichtjüdische Studentengruppen zuließ und im November 1922 einen zehnprozentigen Numerus clausus für jüdische Studierende und Lehrende forderte, das Heft in die Hand.

Diese "arischen" Studentenvertreter wollten das nötige Geld für das Denkmal auftreiben und hatten mit dem deutschnationalen Bildhauer Josef Müllner bereits einen Künstler gefunden. Der hatte praktischerweise eine geeignete Plastik fertiggestellt: das "Haupt des gefallenen Siegfried". (Drei Jahre später sollte Müllner dann für ein weiteres umstrittenes Denkmal verantwortlich zeichnen: das heute mit dem Wort "Schande" beschmierte auf dem Dr.-Karl-Lueger-Platz.)

Frühe Verschwörungstheorie

Der Heldenkopf aus matt geschliffenem Nummulit-Kalkstein spielte auf den Siegfried-Mythos der Nibelungensage und damit auf die sogenannte "Dolchstoßlegende" des Ersten Weltkriegs an. Laut dieser Verschwörungstheorie seien die deutschen und österreichischen Armeen von den Sozialisten und dem Judentum verraten und gleichsam von hinten erdolcht worden. Am Sockel unter dem Kopf wurden die Aufschriften "Ehre, Freiheit, Vaterland", "1914–1918", "Den in Ehren gefallenen Helden unserer Universität", "Errichtet von der Deutschen Studentenschaft und ihren Lehrern" angebracht.

Wie sehr die Deutsche Studentenschaft damals bereits von gewaltbereiten Rechtsradikalen unterwandert war, lässt sich in Zeitungsberichten nachlesen, in denen etwa vom "Hakenkreuzterror auf der Universität" zu lesen ist. Ende Oktober 1923, also unmittelbar vor Einweihung des Denkmals, kam es unter anderem zu heftigen antisemitischen Protesten gegen den neu berufenen Professor Alfred Kappelmacher, der jüdischer Herkunft war und dessen Vorlesungen "wiederholt gestört und unmöglich gemacht" wurden.

Gespenstische Zeremonie

Die Einweihung des Siegfriedskopfs, die am 9. November 1923 in der schwarz dekorierten Aula bei Kerzenlicht stattfand und zeitlich mit dem gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten in München zusammenfiel, wurde zu einer weiteren Machtdemonstration der Antisemiten. Bei der Eröffnungsfeier gaben laut einem Eigenbericht der Deutschen Studentenschaft nationalsozialistische Studierende den Ton an: Mit Stahlhelmen bewehrt, bildeten sie die Spitze des Festzugs, gefolgt von Vertretern der katholischen und deutschnationalen Verbindungen. Am Ende des Festakts sangen alle Anwesenden "Deutschland, Deutschland über alles".

Das war auch der Universitätsleitung etwas peinlich, die sich im Anschluss an die Feier genötigt sah, den Studenten das Tragen von Farben und Insignien auf universitärem Boden zu verbieten, was zu einer weiteren Eskalation führte: Am 19. November bahnten sich etwa 200 mit Totschlägern und Schlagringen bewaffnete Hakenkreuzler ihren Weg in verschiedene Gebäude und Lehrveranstaltungen, wo sie den Ausschluss jüdischer Studierender forderten. Neun Schwerverletzte waren die Folge. Solche "Zwischenfälle" sollten sich in den nächsten Jahren häufen.

Ort vieler akademischer Feiern

Der Verehrung des Siegfriedskopfs tat dies in den folgenden Jahrzehnten wenig Abbruch. Zahllose akademische Feiern fanden vor dem prominent platzierten Denkmal statt. Um nur drei Beispiele zu geben: Der kommissarisch eingesetzte austrofaschistische Studentenvertreter Heinrich Drimmel (der spätere ÖVP-Unterrichtsminister) nahm 1936 an einer "Heldenfeier" ebenso vor dem Siegfriedskopf teil wie der NS-Studentenbund im Dezember 1938 oder zwanzig Jahre später die Katholische Österreichische Hochschulverbindung Rugia zu ihrer 50-Jahr-Feier.

Der Heldenkopf ging im Laufe seiner Geschichte nicht nur einmal seiner Nase verlustig. Hier ist sie 1969 gerade wieder ergänzt worden.
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Erst im Gefolge des Gedenkjahres 1988 zum 50. Jahrestag der Ereignisse von 1938 wiesen die Österreichische Hochschülerschaft und die Zeithistorikerin Erika Weinzierl auf die bedenkliche Geschichte und Symbolik des Siegfriedskopfs hin. Vor allem auf Weinzierls Expertise stützte sich der akademische Senat, als er Ende Juni 1990 die Verlegung des Denkmals beschloss. Das sorgte vor allem in rechten und konservativen Kreisen für Aufregung.

Die Allianz der Verlegungsgegner reichte von Burschenschaftern über die FPÖ bis zu "Krone"-Herausgeber Hans Dichand oder dem Soziologen und Corps-Bruder Roland Girtler. Es handle sich doch um ein Gefallenendenkmal, lautete deren Hauptargument. Adam Wandruszka, emeritierter Professor für Geschichte sowie ehemaliges SA- und NSDAP-Mitglied, wollte sogar Hinweise gefunden haben, dass der jüdische Mediziner Georg Politzer für Müllner Modell gestanden habe.

Wehrschütz als Verteidiger

Eine der heftigeren Polemiken gegen Verlegungsbefürworter, die sich insbesondere im kurz zuvor gegründeten STANDARD zu Wort meldeten, kam damals vom heutigen ORF-Journalisten Christian Wehrschütz. Der damals 28-jährige Journalist hielt im FPÖ-Wochenblatt "Neue Freie Zeitung" die zustimmenden Reaktionen von Uniprofessoren wie Anton Pelinka oder des damaligen Wissenschaftsministers Erhard Busek (ÖVP) zur Verlegung des Denkmals ebenso für einen "Skandal wie die beabsichtigte Delogierung selbst". Dieser "Denkmalsturm" sei "heuchlerisch" und "abstoßend" – und Österreich eine "'Wert'-lose Noricum-Lucona-Kastraten-'Nation'".

Auf STANDARD-Nachfrage erklärt Wehrschütz zu seinem damaligen Text, dass "ein Autor mehr als dreißig Jahre vielfach andere Formulierungen wählen oder Personen anders beurteilen" würde. Dennoch halte er auch noch heute daran fest, dass "ein Staat, der sich insbesondere zur Neutralität nach Schweizer Muster bekennt, auch jene Soldaten ehren muss, die im Ersten Weltkrieg im Namen Österreichs gefallen sind".

Um Jahre verspätete Übersiedlung

Nach einigen Monaten der heftigeren öffentlichen Auseinandersetzung blieb der Siegfriedskopf für viele weitere Jahre unverrückt in der Aula stehen, was von seinen Gegnern unter anderem mit Beschmierungen und Nasenabschlagung quittiert wurde. 2006 fand dann die Übersiedlung inklusive künstlerischer Kontextualisierung durch das Künstlerpaar Bele Marx und Gilles Mussard statt.

Das Denkmal wurde zerlegt und erhielt einen Glassturz, auf dem unter anderem ein Text der jüdischen Studentin Minna Lachs über antisemitische Randale an der Uni Wien in den 1920er-Jahren zu lesen ist. Ihren Hauptzweck haben die Verlegung und die Installation in jedem Fall erfüllt: Um das umstrittene Denkmal, das vor genau 100 Jahren eingeweiht wurde, ist es ziemlich ruhig geworden. Möge es so bleiben. (Klaus Taschwer, 6.11.2023)