"Ich könnte die ganze Nacht damit verbringen, dir zu schreiben ... Ich bin deine ewig treue Frau. Gute Nacht, mein lieber Freund, es ist Mitternacht. Ich glaube, es wird Zeit für mich, zu Bett zu gehen." Diese Zeilen hat Marie Dubosc im Jahr 1758 niedergeschrieben. Sie waren an ihren Ehemann Louis Chambrelan gerichtet, einen Leutnant auf der Galatée, einem französischen Kriegsschiff. Doch der Brief erreichte nie sein Ziel, das Schiff des Gatten war von den Briten gekapert worden, und Marie sollte ihn nie wiedersehen. Sie starb im folgenden Jahr in Le Havre, ehe Louis Chambrelan aus der Kriegsgefangenschaft freigelassen wurde.

Während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763), in dem unter anderem Frankreich und Großbritannien um die Vorherrschaft in Nordamerika und Indien kämpften, verfügten die Franzosen zwar über einige der besten Schiffe der Welt, allerdings fehlte es ihnen an erfahrenen Seeleuten. London wusste diesen Personalmangel für sich zu nutzen: Die Briten inhaftierten für die Dauer des Krieges so viele französische Seeleute wie möglich. Bereits im Jahr 1758 war von 60.137 französischen Seeleuten ein gutes Drittel in Großbritannien inhaftiert. Während des gesamten Siebenjährigen Krieges gerieten insgesamt 64.373 französische Seeleute in britische Gefangenschaft.

Briefe, Siebenjähriger Krieg, 18. Jahrhundert.
Die drei mit Schleifen zusammengehaltenen Briefstapel, ehe sie von Renaud Morieux geöffnet wurden.
Foto: The National Archives / Renaud Morieux

Erstmals geöffnet

Einige der Männer starben an Krankheiten und Unterernährung, aber die meisten wurden am Ende wieder freigelassen. In der Zwischenzeit warteten ihre Familien daheim und versuchten immer wieder, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und Botschaften auszutauschen. Doch die Schreiben wurden von der Admiralität in London ungeöffnet einbehalten. Nun wurden über 100 Briefe, die von Verlobten, Ehefrauen, Eltern und Geschwistern an die französischen Seeleute geschickt, aber nie zugestellt worden waren, erstmals seit ihrer Abfassung in den Jahren 1757 und 1758 geöffnet und untersucht.

"Ich kann es kaum erwarten, dich zu besitzen", schrieb Anne Le Cerf in einem davon an ihren Ehemann Jean Topsent, der ebenfalls auf der Galatée als Unteroffizier diente. Was sie mit "besitzen" ausdrücken wollte, ist nicht ganz klar, vielleicht meinte sie "umarmen". Das Wort könnte aber auch Ausdruck des Wunsches nach sexueller Nähe sein. Anne unterschrieb den Brief mit "Deine gehorsame Frau Nanette", ein zärtlicher Spitzname.

Emotionaler Moment

Renaud Morieux von der Geschichtsfakultät der Universität Cambridge und dem Pembroke College hat Monate damit zugebracht, diesen und 102 weitere Briefe aus dem britischen Nationalarchiv in Kew, London, zu entziffern. Nicht nur die oft unleserliche Schrift selbst, mit der Angehörige und Geliebte das damals teure Papier manchmal bis auf den letzten Quadratzentimeter vollschrieben, erschwerte das Unterfangen. Auch die abenteuerliche Rechtschreibung, das Fehlen jeglicher Interpunktion oder Großschreibung plagten den Wissenschafter. Seine Ergebnisse hat er nun in der Fachzeitschrift "Annales. Histoire, Sciences Sociales" veröffentlicht.

"Ich hatte die Schachtel zunächst nur aus Neugierde bestellt", sagte Morieux. "Darin befanden sich drei Stapel von Briefen, die mit einem Band zusammengehalten wurden. Die Briefe waren sehr klein und versiegelt, also fragte ich den Archivar, ob sie geöffnet werden könnten." Die Mitarbeiter der National Archives entsprachen dem Wunsch, zur großen Freude des Forschers. "Mir wurde klar, dass ich der erste Mensch war, der diese sehr persönlichen Botschaften las, seit sie geschrieben wurden", so Morieux. "Die eigentlichen Empfänger hatten diese Chance nicht. Es war ein sehr emotionaler Moment."

Briefe, Siebenjähriger Krieg, 18. Jahrhundert.
"Ich kann es kaum erwarten, dich zu besitzen", schrieb Anne Le Cerf in diesem Brief an ihren Gatten Jean Topsent.
Foto: The National Archives / Renaud Morieux

In den Schreiben geht es um universelle menschliche Erfahrungen, erklärte der Wissenschafter: "Sie zeigen, wie wir alle mit den großen Herausforderungen des Lebens umgehen. Wenn wir durch Ereignisse, die sich unserer Kontrolle entziehen – etwa Pandemien oder Krieg – von geliebten Menschen getrennt werden, müssen wir eine Möglichkeit finden, in Kontakt zu bleiben, um unsere Lieben in der Ferne zu beruhigen und sie unserer Zuneigung zu versichern. Heute haben wir Zoom und Whatsapp. Im 18. Jahrhundert hatten die Menschen nur Briefe, aber das, worüber sie schrieben, fühlt sich sehr vertraut an."

Schwieriger Briefverkehr

Im 18. Jahrhundert war es äußerst schwierig, Briefe aus Frankreich an ein Schiff zu schicken, das sich ständig in Bewegung befand. Manchmal schickte man mehrere Kopien von Briefen an verschiedene Häfen in der Hoffnung, den Adressaten mit viel Glück irgendwo zu erreichen. Angehörige baten auch die Familien von Besatzungsmitgliedern, ihren Briefen Nachrichten an ihre Lieben beizufügen. Morieux fand zahlreiche Belege für diese Strategien in den Briefen an Seeleute auf der Galatée.

Die Galatée befand sich gerade auf dem Weg von Bordeaux nach Quebec, als sie 1758 von dem britischen Kriegsschiff Essex gekapert und nach Portsmouth gebracht wurde. Die Besatzung geriet in Gefangenschaft, das Schiff wurde verkauft. Die französische Postverwaltung hatte zuvor versucht, die Briefe an das Schiff zuzustellen, indem sie sie an mehrere Häfen in Frankreich schickte, leider vergeblich, denn sie kamen immer zu spät. Als die Postverwaltung erfuhr, dass die Galatée gekapert worden war, leitete sie die Briefe nach England weiter, wo sie der Admiralität in London übergeben wurden.

Morieux glaubt, dass die britischen Beamten nur zwei Briefe öffneten und lasen, um zu sehen, ob sich darin Informationen von militärischem Wert befanden. Als sie feststellten, dass man es hier nur mit "Familienkram" zu tun hatte, gaben sie wohl auf und lagerten die restliche Briefe ungeöffnet ein. Bei seinen Untersuchungen identifizierte der Forscher jedes Mitglied der 181-köpfigen Besatzung der Galatée, von einfachen Matrosen über Zimmerleute bis zu den höheren Offizieren. An ein Viertel von ihnen waren Briefe gerichtet.

Briefe, Siebenjähriger Krieg, 18. Jahrhundert
In diesem Brief vom 27. Jänner 1758 tadelt Marguerite ihren Sohn Nicolas Quesnel: "Ich denke mehr an dich als du an mich."
Foto: The National Archives / Renaud Morieux

Spannungen und Streitereien

Der Inhalt der Schreiben zeugt von romantischer Liebe, gewährt aber auch seltene Einblicke in familiäre Spannungen und Streitigkeiten in einer Zeit des Krieges und der langen Abwesenheit. Einige der bemerkenswertesten Briefe wurden am 27. Jänner 1758 an den jungen Matrosen Nicolas Quesnel aus der Normandie geschickt. Absender war seine 61-jährige Mutter Marguerite. Sie war höchstwahrscheinlich Analphabetin, weshalb eine unbekannte Person die Zeilen verfasst haben dürfte.

Marguerite tadelt darin ihren Sohn: "Am ersten Tag des Jahres [am 1. Jänner] hast du an deine Verlobte geschrieben [...]. Ich denke mehr an dich als du an mich. [...] Auf jeden Fall wünsche ich dir ein glückliches neues Jahr, erfüllt mit dem Segen des Herrn. Ich glaube, ich bin reif für die Gruft, ich war drei Wochen lang krank. Grüßt Varin [einen Schiffskameraden] von mir, es ist nur seine Frau, die mir eure Nachricht überbringt." Einige Wochen später schrieb Nicolas' Verlobte Marianne, um ihn dazu zu drängen, ein guter Sohn zu sein und endlich seiner Mutter zu schreiben.

Ungeliebter Stiefvater

Es scheint, als hätte Marguerite die Schwiegertocher in spe Marianne für das Schweigen von Nicolas verantwortlich gemacht. Zunächst schien sich alles in Wohlgefallen aufzulösen, denn Marianne schrieb: "Die schwarze Wolke hat sich verzogen, ein Brief, den deine Mutter von dir erhalten hat, erhellt die Atmosphäre." Doch am 7. März 1758 schrieb Mutter Marguerite an Nicolas und beschwerte sich erneut: "In deinen Briefen erwähnst du nie deinen Vater. Das schmerzt mich sehr. Wenn du mir das nächste Mal schreibst, vergiss bitte deinen Vater nicht."

Bei Morieux’ Untersuchungen stellte sich heraus, dass es sich bei diesem Mann offenbar um den Stiefvater von Nicolas Quesnel handelte. Sein biologischer Vater war gestorben, und seine Mutter hatte wieder geheiratet. "Hier haben wir einen Sohn, der seinen Stiefvater offenbar nicht mochte oder als Vater anerkannte", sagte Morieux. "Aber wenn deine Mutter wieder heiratet, wird ihr neuer Mann automatisch dein Vater. Ohne es ausdrücklich zu sagen, erinnert Marguerite ihren Sohn daran, dies zu respektieren." Nicolas Quesnel überlebte letztlich seine Gefangenschaft in England und schloss sich, wie Morieux herausfand, in den 1760er-Jahren der Besatzung eines transatlantischen Sklavenhandelsschiffes an – vielleicht um seinem ungeliebten Stiefvater zu entkommen. (Thomas Bergmayr, 7.11.2023)