Marschierende Soldaten mit Hakenkreuzfahne, Hitlergruß
Beeidigung des Reserve-Polizeibataillons Abschnitt West, 27. Juli 1940. Die Exekutive war zentraler Bestandteil der NS-Diktatur.
BMI/LPD Wien

Es ist ein klassisches Gruppenfoto, entstanden in der Alarmabteilung der Wiener Sicherheitswache am 15. Juni 1933. Viele Männer in festlichen Polizeiuniformen, ein paar Ehefrauen. Der Anlass ist die Verabschiedung des Oberinspektors Franz Hickl, der zu einem neuen Posten in Tirol aufbricht. Nichts deutet darauf hin, um welche "brisante Mischung" es sich handelt, wie der Historiker Kurt Bauer es formuliert. Die Abgebildeten werden bald komplett unterschiedliche Richtungen einschlagen.

Drei der Herren in der ersten Reihe, allesamt hochrangige Mitglieder der Exekutive, wälzen zum Zeitpunkt des Fotos Putschpläne gegen die Regierung Dollfuß, wie Kurt Bauer rekonstruiert hat. Sie werden wenig später verhaftet und verurteilt, kommen nach dem "Anschluss" frei und machen steile Karrieren im NS-Polizeiapparat. Zwischen ihnen sitzen Kollegen, denen es ganz anders ergehen wird. Zwei von ihnen, Heinrich Hüttl und Rudolf Manda, werden am 1. April 1938 im ersten Zug, dem sogenannten "Prominentenzug", nach Dachau deportiert. Sie wurden wie viele andere Polizeibeamte für die Verfolgung der illegalen Nationalsozialisten von 1933 bis 1938 verantwortlich gemacht. Beide überstanden die Nazi-Zeit. Nicht so Franz Hickl, der im Mittelpunkt des Fotos steht. Sein energisches Auftreten gegen Illegale in Tirol kam nicht gut an. 1934 wird er von einem SS-Anhänger auf offener Straße erschossen.

Gruppenfoto mit festlich gekleideten Polizeibeamten
Trügerische Idylle: Das Gruppenfoto veranschaulicht, wie sich die Wege von einstigen Kollegen bereits nach 1933 trennten.
Kurt Bauer/ÖNB

Frage nach Handlungsspielräumen

Details zu diesen und vielen weiteren Fällen fanden sich tief unter der Erde in den Kellern des Innenministeriums und der Landespolizeidirektionen. In den Archiven verstauben seit Jahrzehnten Polizeiakten aus der NS-Zeit. Vor zwei Jahren wurden sie im Rahmen des vom Innenministerium geförderten Forschungsprojekts "Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1939–1945" endlich geöffnet und zugänglich gemacht. Erste Ergebnisse der Aufarbeitung wurden vergangene Woche vorgestellt.

Sich diesen dunklen Flecken zu stellen sei eine mutige und wichtige politische Entscheidung gewesen, sagte Barbara Stelzl-Marx, wissenschaftliche Leiterin des Projekts der Universität Graz und des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung. Projektpartner waren die Gedenkstätte Mauthausen und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). "Die Polizei war Teil der totalitären Diktatur, deren Herrschaft auf extremer Gewalt beruhte", sagt Stelzl-Marx. Es gehe um die Aufarbeitung der Verbrechen, die Rolle der Gestapo und der Kriminalpolizei sowie um personelle Kontinuitäten, angefangen vom Ständestaat bis hin zur Nachkriegsjustiz. Bis heute relevant sei auch die Frage nach persönlichen Handlungsspielräumen in Extremsituationen.

Frühe Nazifizierung

Das eingangs erwähnte Gruppenfoto veranschaulicht das Spektrum dieser Handlungsoptionen, wie Kurt Bauer erläuterte: Verrat, Loyalität (zu diesem Zeitpunkt zu Dollfuß, der dabei war, einen autoritären Polizeistaat zu errichten) oder Sympathie für die Nationalsozialisten, die bereits vor 1933 die Exekutive unterwanderten. Quellenbasierten Schätzungen Bauers zufolge hielten sich vor 1938 die NS-Anhänger mit 20 bis 30 Prozent der Exekutive mit den dezidierten NS-Gegnern, die etwa 25 Prozent ausgemacht haben dürften, in etwa die Waage. Der Rest war gleichgültig, abwartend bis opportunistisch eingestellt.

"Schon vor Hitlers Machtergreifung, also vor 1931, gab es in der österreichischen Polizei und Gendarmerie beträchtliche Sympathien für die NS-Ideologie", sagt Bauer. Biografische Eckdaten aus den Akten lassen darauf schließen, dass gerade das Führungspersonal traditionell deutschnational eingestellt war. Mehrere Offiziere waren schon vor 1933 ganz legal NSDAP-Mitglieder und danach illegal aktiv – so wie zahlreiche gewöhnliche Beamte.

Auf diese frühe Nazifizierung des Polizeiapparats konnte sich das NS-Regime stützen, das sich unmittelbar nach dem "Anschluss" an den Umbau der Polizei machte und Gegner auch innerhalb der eigenen Reihen verhaftete und ermordete. "Die Polizei ist nach dem ,Anschluss‘ zentrale Instanz der Verfolgung geworden, noch bevor sie am Massenmord an Jüdinnen und Juden beteiligt war", sagte Andreas Kranebitter vom DÖW.

Säuberungen und Gewaltorgien

Dennoch, es gab wenige Beispiele des organisierten Widerstands innerhalb des NS-Polizeisystems, "rare Ausnahmeerscheinungen", wie Winfried Garscha vom DÖW bei der Konferenz berichtete. So waren unter den zwölf Mitgliedern der Patriotengruppe "Freies Österreich" sechs Polizeiangehörige. Sie wurden von der Gestapo aufgedeckt und im April 1945 hingerichtet. Andere Beamte waren Teil des kommunistischen Widerstandes, viele waren Einzelkämpfer oder hatten nur wenige Mitstreiter. Deren Verdienste würden bis heute weitgehend ignoriert, kritisierte Garscha.

"Weil die Polizei ein wesentlicher Bestandteil des Terrorapparats des NS-Regimes war, begannen die Nationalsozialisten bereits in den Märztagen, die Polizei von unzuverlässigen Elementen zu säubern", sagte Garscha. In einer überwiegenden Mehrheit der Personalakten der Gendarmen und Polizisten, die 1938 aus dem Dienst ausschieden, habe sich der Hinweis auf die Neuordnung gefunden. In den Ruhestand versetzt zu werden war jedenfalls die harmloseste Variante. In anderen Fällen wurden Mitglieder der Exekutive nach der Machtübernahme Opfer regelrechter Gewaltorgien, wie Garscha verdeutlichte.

Ausweisfoto von jungem Karl Silberbauer
Karl Silberbauer als Polizeischüler im Jahr 1935. 1944 war er an der Verhaftung von Anne Frank beteiligt. Bis zu seiner Pensionierung war er im Polizeidienst tätig.
Archiv der Landespolizeidirektio

Neue Blickwinkel boten die Polizeiakten insbesondere auf den Komplex der Entnazifizierung. Die Schwierigkeiten dabei veranschaulicht der Fall Karl Silberbauer – das war jener österreichische Gestapobeamte, der an der Verhaftung von Anne Frank beteiligt gewesen war. Er wurde nach Kriegsende mehrmals festgenommen und wieder freigelassen, 1947 als "belastet" aus dem öffentlichen Dienst entlassen, 1953 als unbelastet eingestuft und 1954 wieder in den Dienst als Kriminalbeamter aufgenommen. Als 1963 der als "Nazi-Jäger" bekannte Simon Wiesenthal Silberbauer als Beteiligten bei der Frank-Verhaftung identifizierte, wurde dieser suspendiert. Eine Anzeige wurde jedoch 1964 wieder zurückgelegt. Bis zu seiner Pensionierung war er im Dienst der Exekutive.

Ein anderer prominenter Fall ist jener von Gustav Schwarzenegger, dem Vater von Arnold Schwarzenegger. Trotz einer SA-Mitgliedschaft, die vor 20 Jahren ans Tageslicht kam, wurde er als "minderbelastet" eingestuft und war bis 1972 als Gendarm tätig. Wegen des Personalmangels sei nach Kriegsende insbesondere in der Gendarmerie auf minderbelastete Nationalsozialisten zurückgegriffen worden, während in den meisten Polizeidirektionen der Anteil der "Ehemaligen" im Jahr 1945 sehr gering gewesen sei, resümieren Kurt Bauer, Barbara Stelzl-Marx und Richard Wallerstorfer in ihrem Beitrag zur Entnazifizierung der Sicherheitsexekutive, der kommendes Jahr in einem Sammelband zum Projekt erscheinen wird. Es sei aber davon auszugehen, dass eine größere Anzahl nicht identifizierter NS-Täter weiter in der Exekutive ihren Dienst versah, heißt es weiter. Wie im Rest der Gesellschaft auch, ließ die anfängliche Energie bei der Aufarbeitung rasch nach, Urteile fielen milder aus oder wurden revidiert.

Porträtbild in S/W
Ein Foto aus dem Wehrstammakt von Gustav Schwarzenegger, dem Vater von Arnold Schwarzenegger.
Österreichisches Staatsarchiv

Nachdem mit dem Pilotprojekt ein erster Schritt gesetzt sei, bedürfe es einer weiteren quantitativen Analyse der Kontinuitäten nach 1945, sind sich die Forschenden einig. Es gebe noch viele offene Fragen, die in Folgeprojekten beantwortet werden müssten, unter anderen auch zur Rolle der Frauen als Täterinnen. Die Handlungsspielräume einzelner Personen aufzuzeigen wird ein Fokus einer Wanderausstellung sein, die Anfang nächsten Jahres im Innenministerium ihren Auftakt hat. Die Forschungsergebnisse sollen außerdem in die Polizeiausbildung einfließen. Barbara Glück, Leiterin der Gedenkstätte Mauthausen, fasste es so zusammen: "Menschen machen Geschichte, damals wie heute." (Karin Krichmayr, 17.11.2023)