"Zwei Mal haben meine Eltern einen Fotografen beauftragt, ihre Familie ins Bild zu setzen." So beginnt Ewald Frie sein Buch, und er verrät auch, wann das war: 1947 und 1960.

"Ich erzähle eine Geschichte, in die ich selbst verstrickt bin. Das ist schwierig", schreibt Frie. Aber man mag das beim Lesen gar nicht glauben.Mit diesen Zeilen saugt er seine Leserinnen und Leser in die Vergangenheit, in eine Welt, die so heute nicht mehr existiert. Der 60-jährige Historiker erzählt von seiner Kindheit in einer großen Bauernfamilie im Münsterland (Nordrhein-Westfalen).

Elf Geschwister gab es dort, die Eltern und Regeln, die einst gottgegeben schienen, sich dann aber im Fortschritt immer mehr auflösten. So berichtet Frie, der Professor an der Universität in Tübingen ist, dass die älteren Geschwister noch nicht Fußball spielen durften. Zeitverschwendung! Allenfalls auf Pferden zu sitzen war ihnen in ihrer Freizeit gestattet.Bauern, damals hoch angesehen, blieben eher unter sich. Der "Heiligenkalender" der Mutter gehörte zum Jahreskreis wie die Viehzucht und das Schlachten.

Ewald Frie, "Ein Hof und elf Geschwister". € 23,– / 191 S., C. H. Beck, München 2023
Ewald Frie, "Ein Hof und elf Geschwister". € 23,– / 191 S., C. H. Beck, München 2023
C.H. Beck

Denn leichtfüßig gelingt dem Autor der Wechsel zwischen verschiedenen Ebenen. Nüchtern, aber keineswegs langweilig berichtet er von "Melkbüchern" und vom Gestank beim Schweine-Verladen. Wenn er Familienszenen schildert, wird sein Ton warm.

"Mörderstolz" seien die Eltern gewesen, als er, der Autor, für seine Dissertation einen Preis erhielt, schreibt Frie. Die Landwirtschaft führt einer seiner Brüder weiter, die anderen zehn Geschwister verfolgten eigene Wege. "Unsere Eltern ließen uns gehen", heißt es im Buch, das mit dem deutschen Sachbuchpreis 2023 ausgezeichnet worden ist.

Ob er ein Aufsteiger sei, fragt sich Frie irgendwann. Er habe zwar einen Professorentitel, aber besitze kein Land, kein Haus und keine Tiere. Früher galt am Hof: "Um ins Dorf zu fahren, muss es Gründe geben." Heute reist man in alle Welt. Dieses Buch ermuntert dazu, dabei seine Wurzeln nicht zu vergessen. (Birgit Baumann, 1.2.2023)