Wenn man Nutella kauft, kauft man nicht nur die Nuss-Nougat-Creme, die zweifelsfrei ein kulinarischer Klassiker ist. Nein, man kauft damit auch das Nutellaglas. Sind die letzten Reste der schokobraunen Paste von den Rändern gekratzt, entwickeln die Gebinde nicht immer, aber doch sehr häufig, ein Nachleben: als Aufbewahrungsgefäß für Nüsse oder Zuckerln, als Trinkglas oder als Windschutz für Teelichter in lauen Sommernächten. Nutella scheint zu vereinen, was nicht zusammenpasst: Dick aufs Brot geschmiert ist der Aufstrich die pure Sünde. Ausgewaschen und in der Küche verstaut, verkörpert das Glas Vernunft und Nachhaltigkeit.

Seit 1965 füllt Ferrero den süßen Brotaufstrich in dem bauchigen Kultglas ab.
Reuters/Stefano Rellandini

Das bauchige Glas mit dem praktischen Schraubverschluss kam 1965 auf den Markt und prägt bis heute das Erscheinungsbild der Marke. Ferrero füllte sein Produkt aber immer schon in verschiedensten Gläsern ab: hoch und schlank, niedrig und breit und sogar mit Henkel. Als ob der süße Inhalt nicht schon Versuchung genug wäre, ließen Aufdrucke mit bunten Comicfiguren – etwa Asterix und Obelix, Scooby-Doo oder den Simpsons – Kinder- und Sammlerherzen noch höherschlagen. Heute werden diese limitierten Sondereditionen auf Instagram und Co zur Schau gestellt oder für Liebhaberpreise zum Verkauf angeboten.

Einfach zweckmäßig

Mein Küchenkastl beherbergt schon seit vielen Jahren zwei sehr schlichte Gläser von Nutella. Sie schließen nach unten hin gerade ab und kommen ganz ohne Aufdruck aus. Manchmal wundere ich mich, dass ich sie bis jetzt aufgehoben habe. Selbst den letzten Frühjahrsputz, der bewusst radikal angelegt war, haben sie überstanden. Benutze ich die Gläser, hege ich keine nostalgischen Gefühle, sondern schätze deren Zweckmäßigkeit. Aus ihnen kann getrunken werden, und sie sind billig genug, um darin Saucen oder Mozzarella für den nächsten Tag kaltzustellen. Mundgeblasenes Zafferano-Glas würde ich für derart niedere Dienste nicht missbrauchen.

Als sehr praktisch erweist sich die weiße Abdeckkappe, die bei den kleineren Gläsern Teil der Nutella-Verpackung ist. Dass dieser Deckel nicht nur auf das Nutellaglas passt, sondern millimetergenau auf handelsübliche Konservendosen, steigert für mich den Nutzwert ins Unermessliche. Hersteller Ferrero lässt auf seiner Website solche Livehacks hochleben. In Bastelanleitungen erklären das Unternehmen, wie sich aus den bauchigen Gläsern mit Farben, Kastanien und Blumen dekorative Hingucker basteln lassen. Das ist mir dann zu viel des Guten.

Ab und an, wenn ich mir einen Schluck 14-jährigen Whisky in das Nutellaglas einschenke und auf Youtube ein gemütliches Kaminfeuer streame, komme ich ins Sinnieren. Passt das zusammen, frage ich mich. Ein derart edler Tropfen, getrunken aus einem derart billigen Behältnis? Ich drehe das Glas in meinen Fingern und sehe dem warmen Bildschirmflackern zu, wie es sich sanft an der Kannelierung bricht. Richtig edel eigentlich. Ich hebe an, nippe vom Drink und denke mir: ein Hoch auf das Nutellaglas! (Gerald Zagler, 17.12.2023)