Skythe
Skythischer Bogenschütze, dargestellt vom griechischen Vasenmaler Epiktetos vor gut 2.500 Jahren. Einige der Köcher der Skythen dürften aus menschlicher Haut gefertigt worden sein.
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Vieles, was wir heute über die antiken Reiterkrieger aus dem Osten wissen, geht auf den griechischen Historiker und Ethnografen Herodot zurück. Die Skythen selbst hinterließen nämlich keine bekannten schriftlichen Aufzeichnungen. Entsprechend beruht alles, was man über sie weiß, auf archäologischen Funden und antiken Quellen wie ebenjener des "Vaters der Geschichtsschreibung", der im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebte.

Herodot verfasste eine mehrbändige Universalgeschichte, die den Aufstieg und Fall des Perserreichs schilderte und in der auch die Skythen ausführlich vorkommen. Dabei verließ sich der antike Gelehrte nicht nur aufs Hörensagen: Er begab sich auch selbst nach Skythien, also in das Herrschaftsgebiet der Skythen, das nördlich des Schwarzen Meeres in der Gegend der heutigen Ukraine und Südrusslands lag.

Herodot und die Archäologie

Womöglich auch deshalb, weil es die Skythen bereits rund 400 Jahre vor Herodot gab und sie auf der Krim vermutlich bis zum dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung existierten, mehrten sich zuletzt Widersprüche zwischen den Schilderungen des antiken Ethnografen und heutigen archäologischen Analysen. Im Lauf von fast einem Jahrtausend veränderten sich klarerweise auch die Sitten und Gebräuche des kriegerischen Reitervolks.

So stellte im Jahr 2021 eine Studie aufgrund von Grabanalysen infrage, dass die Skythen die ganze Zeit über eine homogene und nomadische Gruppe gewesen seien. Wenig Handfestes gibt es aber auch über das Alltagsleben der gefürchteten Reiterkrieger – jenseits dessen, was Herodot über sie schrieb. Aus den Fürstengräbern, den sogenannten Kurganen, konnten immerhin einige spektakuläre Goldobjekte geborgen werden. Und gut dokumentiert ist auch, dass sich die verstorbenen Herrscher mit ihren Pferden und den erwürgten Bediensteten begraben ließen. Und wenn ein Nahestehender starb, war es anscheinend üblich, sich Schnittwunden im Gesicht zuzufügen.

Laut Herodot ging es bei den Skythen auch sonst eher grausam zu, insbesondere im Umgang mit den Feinden, deren Blut getrunken wurde. Zudem seien deren Häute zu Köcherhüllen verarbeitet worden. Konkret heißt es dazu bei Herodot: "Viele Skythen entfernen ihren toten Feinden die Haut ihrer rechten Hand, mitsamt Nägeln und allem, und machen daraus Hüllen für ihre Köcher."

Schauergeschichten oder Fakt?

Ist das denkbar? Oder hat Herodot ein ethnografisches Schauermärchen verfasst? Offensichtlich ist, dass Pfeil, Bogen und Köcher für das kriegerische Volk wichtig waren, wie ein Team um Luise Ørsted Brandt (Uni Kopenhagen) berichtet, das dieser Fragen nachging: "Skythische Krieger sind fast immer mit einem Köcher am Gürtel abgebildet, und fast jedes Skythengrab enthält einen ganzen Köchersatz aus Leder, obwohl davon oft nur die metallenen Pfeilspitzen überdauert haben."

Das Problem ist allerdings, das Leder zwar zäh ist, über die Jahrhunderte letztlich aber doch zerfällt. Dennoch machten Ørsted Brandt und ihr internationales Team die Probe aufs Exempel: Sie untersuchten 45 Lederproben von Köchern aus 18 Skythengräbern in der Südukraine. Die Gräber sind rund 2.400 Jahre alt, stammten also in etwa aus der Zeit Herodots. Mithilfe einer speziellen Massenspektrometrie-Methode konnten sie die alten Lederreste tatsächlich auf die enthaltenen Peptide analysieren. Diese wiederum lassen Rückschlüsse auf die Tierart zu, deren Häute verarbeitet worden waren.

Wie die Analysen zeigten, war ein Großteil der Köcher aus den Häuten von Schafen und Ziegen hergestellt worden, die von den Skythen auch als Nutztiere gehalten wurden.

Verteilung der Lederproben nach Herkunft
Verteilung der skythischen Lederproben nach Herkunft.
Luise Ørsted Brandt et al. PLoS One 2023

Doch zwei Lederproben deuteten laut der neuen Studie im Fachblatt "PLoS One" auf menschlichen Ursprung hin. Diese zwei Pfeilköcher aus zwei verschiedenen Kurganen dürften also auch aus menschlicher Haut gefertigt worden sein. Insgesamt waren vier Prozent der Lederproben menschlichen Ursprungs.

Lederproben
Einige der analysierten Lederproben von Köchern. Der rote Fleck bei Köcher fünf dürfte menschlichen Ursprungs gewesen sein.
Luise Ørsted Brandt et al. PLoS One 2023

Zwei Hypothesen

Herodots Schilderungen, die immer wieder als Schauergeschichten kritisiert wurden, dürften also doch nicht so ganz falsch gewesen sein – auch wenn es "nur" einige wenige Köcher, vermutlich die von Fürsten, gewesen sind, die aus Menschenhaut angefertigt wurden. Bleibt die Frage, warum die Skythen auf "menschliches Leder" zurückgegriffen haben.

Die Forschenden formulieren dazu zwei Vermutungen: Einerseits könnte es sich bei diesen Köcherhüllen um eine Art Trophäe gehandelt haben, ähnlich den Skalps bei den nordamerikanischen Ureinwohnern. Und womöglich sollten Kraft und Mut der getöteten Feinde auf den Träger des Köchers übergehen. Wie die Forschenden hoffen, könnten weitere Analysen diesbezüglich neue Aufschlüsse bringen. (tasch, 6.1.2024)