BMW erfindet das Stammwerk in München neu: Werksleiter Peter Weber, Mike Reichelt, Baureihenleiter Neue Klasse, und Konzern-Produktionsvorstand Milan Nedeljković vor dem Prototyp der Limousine.
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Wir befinden uns in der legendären Halle 140 im BMW-Stammwerk in München und zugleich in den 1960er-Jahren. "Am anderen Ende stehen schon die Baumaschinen, wird schon umgebaut, aber keine Sorge, die sind jetzt nicht im Einsatz", wird in wenigen Minuten Sprecher Alexander Bilgeri kundtun. Aber erst einmal schwelgt man und staunt über die Ewiggültigkeit manchen Designwurfes. Denn bitteschön, wie stimmig steht die Neue Klasse, in den 1960er-Jahren der Garant für den Wiederaufstieg (nachdem der von Wolfgang Denzel angeregte 700 die Pleite des Unternehmens verhindert hatte) und hier im Veranstaltungsareal in Form eines hellblauen 1500ers und eines knallroten 2000 tii leibhaftig präsent, heute noch da.

1960er-Jahre: BMW 2000 tii der einstigen Neuen Klasse, Ausstellungsobjekt bei der Neuerfindungsveranstaltung in München.
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Die Veranstaltung: BMW lud Medienschaffende aus gar mancher Herren Länder, um über die Neu(er)findung des Stammwerks zu berichten und darüber, was man als wissens- und berichtenswert für gut und richtig hielt, kurz gesagt und in Eigeninterpretation: aus BMW wird BEW, aus den Bayerischen Motoren Werken die Bayerischen Elektro Werke (zu EMW wurde BMW nach dem Krieg ja schon, 1951, in Eisenach, DDR: Eisenacher Motoren Werke).

Diesmal ein BMW 1500, ebenfalls in der in Umbau befindlichen Halle 140.
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Denn, wie nach Muntermach-Espresso, Kipferl und Ausstellungsrundgang durch den insgesamt im Wirtschaftswunderbarock gehaltenen Veranstaltungsbereich, vom Mobiliar bis zum TV-Gerät und Tischtuch, Konzern-Produktionsvorstand Milan Nedeljković präzisierte: "Ab 2027 werden hier nur mehr batterieelektrisch angetriebene BMWs vom Band laufen."

Erster Schritt sei der Umbau des genannten Bereichs – Halle 140 –, wo eben all die Zeit vorher die legendären Verbrennungsmotoren der Weißblauen gebaut und bekanntlich allesamt zuletzt nach Steyr und Hams Hall (England) umgelagert worden waren, sei der Aufbau der Produktionslinien für die neue Neue Klasse. Die wird hier schon 2026 vom Band laufen, in der Branche ist das praktisch morgen.

Noch einmal Wirtschaftswunderatmosphäre.
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Und wenn Bilgeri vorher festgestellt hatte, die 2023 gefeierten 100 Jahre Stammwerk hätten gelehrt, nichts sei so beständig wie der Wandel, nun werde erneut Konzerngeschichte geschrieben wie einst mit der (heute alten) Neuen Klasse, werde der Umbau zügig bei laufender weiterer Produktion – täglich verlassen 1.000 Fahrzeuge die Bänder – vorangetrieben, ergänzte Nedeljković: "Transformation in der Autoindustrie, bei BMW und am Standort: In Zeiten wie diesen sind Agilität und Fortschritt wichtiger denn je. Wir treiben den Wandel bewusst aus Deutschland heraus voran, wichtig ist aber ein stabiles Umfeld – wir jedenfalls leisten unseren Anteil."

Rekord, Rekord, Rekord

Auf die Fahrzeugpalette bezogen bedeutet dies: Der deutsche Konzern hat im Vorjahr mit 2.555.341 ausgelieferten Fahrzeugen (plus 6,5 Prozent) einen neuen Absatzrekord eingefahren. Jedes siebente davon war ein BEV (batterieelektrisches Fahrzeug). Schon 2025 werde es jedes fünfte sein, so der Vorstand, 2030 dann jedes zweite. Schon jetzt verfügt man unter den Marken BMW, Mini und Rolls-Royce über ein Dutzend BEVs im Portfolio.

Wenn der Umbau abgeschlossen ist, wird sich das Stammwerk so präsentieren. Digital ist das schon alles fertig.
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Dann wurde es finster, es zuckte auf wie bei Schweißrobotern, ward wieder Licht, so viel Show muss sein, und eine fertige Limousine der beschriebenen nächsten Generation stand vor ein paar Arbeit simulierenden Kuka-Robotern am Kopfende des Veranstaltungsraums. Rundum drapierten sich Werksleiter Peter Weber, Mike Reichelt, Baureihenleiter Neue Klasse, und eben der Herr Bilgeri. Und damit kurz ein paar Worte zur "Neuen Klasse".

Welche Kennung diese Fahrzeuge tatsächlich bekommen, will BMW erst zu einem späteren Zeitpunkt verraten. Die jetzige Bezeichnung nimmt, wie eingangs angedeutet, Anleihe bei der höchst erfolgreichen Baureihe aus den 1960er-Jahren.

Die Windschutzscheibe wird zum Informationsträger, die gesamte Breite wird unten zum Einspielen von Informationen genutzt.
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Anders als die meisten derzeitigen Elektro-BMWs (Ausnahmen waren der i3 und ist der iX) ist das keine Mischplattform, sondern eine technische Architektur ausschließlich für Elektromobile. Wobei der offensiv für Technologieoffenheit plädierende Hersteller nicht ausschließlich Batterieelektrik meint, sondern die Plattform auch für Wasserstoff-Brennstoffzelle ausgelegt hat; fällt ja ebenfalls unter das Kapitel Elektromobilität.

Wenn die Neue Klasse loslegt, werden es praktisch mit einem Fingerschnippser sechs Derivate sein, man werden den Fortschritt "von der Spitze her mitgestalten", mit den Schwerpunkten elektrisch, digital und zirkulär, sprich: nachhaltig, führte Nedeljković weiter im Marketing-Stakkato aus.

In der Neuen Klasse kommen Batteriezellen im Rundformat zum Einsatz, natürlich made in China.
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Baureihenleiter Reichelt ergänzte mit Fingerzeig auf die Limousine: "Das hier wird das neue BMW-Gesicht" – die ganze Front ist Niere, sozusagen, diesmal aber stimmig proportioniert –, "und aus Chrom wird Licht" – ein branchenüblicher Trend.

Mit "iDrive next" wird noch mehr Information, auch für die jeweilige Person auf dem Beifahrerinnensitz, fast direkt in Sichtachse eingespielt, nämlich im unteren Bereich der gesamten Windschutzscheibe, maximales HUD sozusagen, und zum Einsatz kommen zunächst 30 Prozent rezyklierte Materialien, sehr rasch aber noch viel mehr.

Damit es immer weitergeht

Ohne noch größere und damit teurere Batterien zum Einsatz zu bringen, werde die neue Klasse 25, 30 Prozent mehr Reichweite erzielen als vergleichbares Gerät heute und dank 800-Volt-Technik reduziere sich die Ladedauer ebenfalls entsprechend. Der Verbrauch sinkt adäquat, nämlich um 20 bis 25 Prozent.

25 Prozent geringere Produktionskosten strebt BMWNedeljković zufolge in München an.
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Wenn wir schon beim Hochprozentigen sind: Ziel im dann ganz neuen alten Werk in München seien "25 Prozent Einsparung bei den Produktionskosten, in Relation zu 2019 als letztem Jahr vor der Halbleiterkrise", verriet Nedeljković, was auch an der deutlichen Reduktion der Komplexität der Neuen Klasse liege. Die Autos würden trotzdem nicht billiger, weil Komponenten wie vor allem die Batterie eben so teuer wären: "Die Elektromobilität bleibt kostenintensiv."

Der Umbau, für den BMW 650 Millionen Euro in die Hände nimmt, sei eine dreifache Investition – in die Zukunft, in das Werk München und den Standort Deutschland. Man setze dabei die Grundsätze der hauseigenen iFactory um, "unseren Masterplan" (Nedeljković), was auf ein hochflexibles, effizientes Produktionssystem hinausläuft. Man könne alles auf einer Linie fertigen, vom Presswerk über den Karosseriebau bis zur Lackiererei.

Bei der Suche nach Effizienz und schnellstmöglicher Umsetzung setzt BMW massiv auf KI, bei der Schulung des Personals auch auf Virtualisierung und AR.
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Eine Voraussetzung dafür, das alles weitgehend reibungslos hinzubekommen, sei Peter Weber zufolge der "Schulterschluss zwischen Entwicklung und Produktion". Die iFactory stehe dabei auf den Säulen schlank, sauber und digital, und apropos digital: Dies sei "ein Hauptkapitel zur Optimierung von Prozessen", wobei auch massiv KI zum Einsatz komme um zum Beispiel die Frage nach schnellstmöglicher Umsetzung zu beantworten. Eine Art Kaizen-Philosophie mit Nullen und Einsen.

Bei der Schulung des Personals kommen ferner Virtualisierung und AR (Augmented Reality) in Anwendung, das habe sich als höchst effizient für den Lernprozess herausgestellt. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch sogenannte Kompetenzmannschaften, "damit wir so schnell wie möglich sind".

Schöne neue Welt

Natürlich ist die ganze neue Fabrik virtuell viel früher fertig als real, man kann jetzt schon durch die Hallen schlendern und die schöne neue Welt mit der schönen Neuen Klasse auf sich wirken lassen. Ja, und was BMW mit der iFactory in München lernt, wird auch gleich direkt an die anderen Werke weltweit weitergereicht. Schon jetzt virtuell – und bald auch real. Die analoge Welt wird also doch noch gebraucht.

So, und jetzt überlege ich, mir noch rasch einen hübschen Grundig-Röhrenfernseher aus der Zeit der ersten Neuen Klasse einpacken zu lassen, ehe die das Ganze wieder abbauen und die Baumaschinen ranlassen. (Andreas Stockinger, 11.1.2024)