Florian Weber zieht nach 15 Jahren Arbeit auf zwei Rädern bittere Bilanz. "Logistik ist ein kaputter Markt." Amazon habe die Konsumenten gelehrt, dass Zustellung gratis sei. Die Bedingungen, unter denen bei jedem Wetter geliefert werde, seien vielen egal. Ökologische Parameter seien nett, nur die wenigsten aber seien bereit, dafür zu zahlen.

Tausende Botinnen und Boten kämpfen in Österreich bei jedem Wetter um Aufträge. Der Mindestlohn von zehn Euro die Stunde gilt nur für Angestellte.
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Weber gründete in Wien den Lastenfahrradbotendienst Heavy Pedals. Alle Mitarbeitenden sind fix angestellt, ihre Räder stellt der Betrieb zur Verfügung. "Wir müssen profitabel arbeiten, anders als große internationale Konzerne", sagt Weber. Investitionen zu verbrennen, bis alle Konkurrenz vom Markt verdrängt sei, könnten sich inhabergeführte Unternehmen wie das seine nicht leisten.

Der Mitbewerb bediene sich überwiegend freier Dienstnehmer. Geld gibt es für diese nur für absolvierte Fahrten. "Fehlen bei uns Aufträge, kann ich meine Leute nicht einfach auf die Straße stellen und warten lassen."

Restriktionen infolge von Corona brachten der Branche lediglich einen kurzen Boom, erzählt Weber. Seither schlittere man von einer Krise in die nächste. Das Volumen an Aufträgen sinke. Viele Kunden drehten jeden Euro dreimal um und sattelten von einem Tag auf den anderen auf günstigere Lösungen um.

Anbieter wie Foodora und Wolt steigen in immer neue Geschäftsbereiche ein, bis hin zu Apotheken, mit dem Ziel, kleine, alteingesessene Dienstleister mit ihrem Modell der freien Dienstverträge preislich zu unterbieten.

Grenzen der Belastbarkeit

Heavy Pedals bezahlte seine Mitarbeitenden bis vor zwei Jahren über dem Kollektivvertrag. Mittlerweile sei das finanziell nicht mehr drinnen, sagt Weber, auch wenn das bedeute, gute Leute schwer halten zu können. "Ich bin selber lange gefahren. Ich weiß, wie hart der Job ist." Von einem Produktivitätszuwachs sei bei kleinen Betrieben, die viel in Digitalisierung investierten, keine Rede. Noch mehr Last aufs Rad zu packen sei ebenso wenig möglich, wie noch schneller zu fahren.

46 Beschäftigte zählte Weber in guten Jahren. 24 sind es mittlerweile. Ende Jänner werden es nur noch 20 sein. Mehr gebe die schwache Auftragslage nicht her. Kollegen in anderen Städten ergehe es nicht besser, resümiert Weber. Etliche würden ihren Personalstand heuer halbieren. Lust, das 15-Jahr-Jubiläum seines Unternehmens groß zu feiern, habe er keine mehr. "Ich weiß nicht, wie lange wir das noch durchhalten."

Gut 5000 Kuriere strampeln sich auf Österreichs Straßen auf zwei Rädern auf der letzten Meile zu Konsumenten und Geschäftskunden ab. 2000 arbeiten wie Webers Fahrer auf Basis eines Kollektivvertrags. Der Rest besteht aus einer Armada von Einzelkämpfern. Anders als Lieferando stellen Foodora und Wolt Boten stark eingeschränkt bis gar nicht an.

"Ohne Auftrag keine Bezahlung. Krankenstände bezahlt die Allgemeinheit. Rechtliche Vertretung gibt es keine. Formell sind diese Leute nicht Teil des Betriebs", umreißt Robert Walasinski vom Riders Collective die Arbeitswelt der Freien und Selbstständigen.

Frage der Fairness

An ihr spießen sich die laufenden Lohnverhandlungen für Fahrradkuriere. Zu welchen Lösungen sich die Sozialpartner auch immer durchringen – große Konzerne können diese mit freien Dienstnehmern aushebeln. So wie sie Freie bei widrigster Witterung fahren ließen, was Arbeitsschutz bei Angestellten verhindere, wie Gewerkschafter betonen. Oder sie an Sonntagen einsetzten, wo Angestellte Anrecht auf finanzielle Zuschläge haben.

Die Gefahr sei groß, dass auch Unternehmen, die bisher mit Anstellungen arbeiteten, zusehends auf freie Dienstnehmer umstellten, sagt Michael Damisch, Chef und Eigentümer von Veloblitz. Der Markt wachse nicht, größter Kostenblock sei das Personal. Er selbst stelle seine rund 50 Beschäftigten nach wie vor an. Allein schon um Qualität zu sichern und gute Leute ans Unternehmen zu binden. Damisch konzentriert sich auf Geschäftskunden, aus der Essenszustellung stieg er aus. "Es ist kein profitables Geschäftsmodell."

Eine Inflationsabgeltung von 8,7 Prozent plus einen Anteil am Produktivitätszuwachs fordern Arbeitnehmervertreter. Ein Plus von 2,5 Prozent boten die Arbeitgeber, ehe sie auf 5,2 Prozent aufbesserten. Ein Fairnessfonds, der Boten ohne Anstellung unterstützt, stößt bei ihnen auf keine Gegenliebe. Protestaktionen flankierten die Verhandlungen. Am Freitag tagen die Betriebsräte. Am Montag startet der dritte Anlauf für eine Einigung.

An Geld fürs Personal sieht es Toni Pravdic bei internationalen Anbietern nicht mangeln. Der Chefverhandler der Arbeitnehmer erinnert an Milliardenzukäufe etwa in den USA. Und da sich viele Konzerne bei ihren Ridern Geld für Krankenstände und Urlaube sparten, sei im Budget viel Luft nach oben.

Verzerrter Markt

Der Weg aus prekären Arbeitsverhältnissen führt aber nur bedingt über höhere Kollektivverträge. Vielmehr verzerrten freie Dienstverträge und Scheinselbstständigkeit den Markt, sagt Weber, der auch in der Auftraggeberhaftung wichtige Hebel sieht. "Es gehört gesetzlich nachgeschärft und stärker kontrolliert."

Dass es jedem Rider freistehe, Missstände einzuklagen, hält Walasinski für realitätsfern. Das Gros der Fahrer seien Migranten aus Drittstaaten, die auf Staatsbürgerschaft hofften.

Kaum einer lasse sich auf jahrelange Verfahren ein. Auch wenn diese oft zugunsten der Arbeitnehmer ausgingen, ändere dies nichts für ihre tausenden Mitstreiter. Die Plattformökonomie halte an ihren Geschäftsmodellen fest. "Strafzahlungen sind einkalkuliert." (Verena Kainrath, 18.1.2024)