Tiktoktrend, Bookshelf Wealth,
Nichts Neues, aber doch ein Trend: das Ensemble aus Büchern, Nippes und Möbeln.
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Es gibt offenbar Trends, die bereits Trends waren, bevor man wusste, dass sie Trends sind. Klingt etwas kryptisch, wird aber in Zeiten, in denen Tiktok die Welt mit mehr oder weniger Sinnvollem flutet, immer präsenter. Nicht selten auch fragwürdiger.

Die Interpretationshoheit bei allerlei Phänomenen wie dem Zukleben des Mundes beim Schlafen (Mouth Taping) oder gehäkelten Nasenwärmern (Nose Scarfs) liegt freilich im Auge der Betrachter. Apropos: 1,7 Millionen Menschen sahen sich im vergangenen Monat das Video der Interieur-Designerin Kailee Blalock aus San Diego an. In diesem liegt offensichtlich der Ursprung dessen, warum Bücher und ihr Surrounding auf einmal ein Hype sein sollen, der unter dem Begriff "Bookshelf Wealth" die Runde durch das Internet macht. Man könnte auch einfach sagen: Das Aufstellen von Büchern und Nippes in einer cosy Atmosphäre hat jetzt eine Benamsung.

Was einen schon ein wenig mit den Achseln zucken lässt, ist die Tatsache, dass die Aufbewahrung von Büchern und Schnickschnack nun wirklich keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist. Ferner dient das Bücherregal längst und überhaupt nicht mehr lediglich dazu, den angeblichen Wissensschatz des Bildungsbürgertums mithilfe der Werke von Joyce, Musil, Proust und de Beauvoir zur Schau zu stellen. Das Regal wurde in mannigfaltiger Ausformung zu einer Art Schaufenster des bewussten Wohnens, das sich samt seinem Inhalt in den Stil eines Daheims eingliedert, egal ob es sich um ein Billy-Regal von Ikea, ein paar leere Weinkisten oder das geschwungene ikonische Regal Bookworm des Designers Ron Arad handelt.

Surft man über die einschlägigen Lifestyle-Interieur-Seiten zu mehr Infos über den Trend, wird nicht so ganz klar, wo dieser anfängt und aufhört. Der Social-Media-Community scheint dieser, wie die Follower-Zahlen zeigen, zu gefallen, auch wenn er polarisiert und manche die Frage stellen, ob Bücher nun gar zum Deko-Objekt verkommen.

Man könnte sich auch fragen, warum nicht zum Trend erklärt wird, dass Bücherregale überhaupt aus der Wohnung fliegen und Bücher sich den Sesselleisten entlang durch die Wohnung schlängeln à la "Bookfloor Wealth". Auch wenig sinnvoll, aber zumindest neu: Literatur aller Art wird mit dem Buchrücken zur Wand in die Regale geschlichtet. Das hieße dann vielleicht "Bookspine Wealth".

Kramuri und Literatur

Doch zurück auf den Boden der Trend-Tatsachen: Regale, Tische, auch Treppen, Nischen und andere Ablageflächen für Bücher samt ausgewähltem Kramuri sollen also durch "Bookshelf Wealth" offensichtlich verstärkt zum Werkzeug eines Verwandten einer Art des Hygge-Lifestyles werden. Zur Erinnerung: Hygge bezeichnet einen gemütlichen, herzlichen Lebensstil mit der Konzentration auf die schönen Dinge des Lebens. Es geht also auch um Atmosphäre jenseits eines sterilen Ambientes.

Ein Ursprung dieser verstärkten emotionalen Aufladung von eigentlich immer schon dagewesenen Möbeln dürfte auch in der Pandemie liegen, als sich viele Menschen während Zoom-Besprechungen vor ihren Bücherwänden präsentierten und diesen eine neue Rolle zukam.

Keine Staubfänger

Dabei, so viel Seriosität wird von den Trendsetterinnen verlangt, sollten die Bücher schon auch gelesen werden. Als bloße Staubfänger, die was hermachen, will man die Werke von H. C. Artmann bis Juli Zeh nicht verstanden wissen. Aber Hand aufs Herz! Wer hat schon alle Bücher gelesen, die man im Laufe der Jahre nach Hause schleppt? Und noch was: Attrappen kommen der Community der wahren "Bookshelf Wealth"-Glaubensgemeinde natürlich nicht über die Schwelle. Ehrensache.

Es gehe bei dieser Bewegung jedoch nicht um Interieur-Diktate wie etwa die Ordnung der Bücher nach Farben oder Themen. "Bookshelf Wealth", zu Deutsch vielleicht "Bücherregal-Schatz", sollte gewachsen, abgestimmt und keinesfalls überladen wirken. Fans dieses Trends, heißt es, lieben es auch, zu sammeln und sich mit Dingen zu umgeben, die ihnen am Herzen liegen. Kailee Blalock erwähnt in diesem Zusammenhang auch textile Muster und die Anordnung von Bildern.

Auf der Website von "Architectural Digest" meint eine Kollegin Blalocks, die Designerin und Künstlerin Justina Blakeney, es gehe bei dem Thema um Authentizität und weniger um Styling eines speziellen Looks. Gut, wissen wir das auch.

Zu guter Letzt sei in dieser Causa der US-amerikanische Filmregisseur und Schauspieler John Waters zitiert, der meinte: "Wenn du mit jemandem nach Hause gehst, und es gibt dort keine Bücher, dann geh nicht mit dieser Person ins Bett." Regale hat er offenbar keine erwähnt. (Michael Hausenblas, 23.1.2024)