Arthur Arbesser ist Österreichs derzeit bedeutendster Modemacher. Seit kurzem ist er auch als Kreativkopf des Traditionshauses Wittmann Möbelwerkstätten im Amt. Er sieht den Einfluss des Möbel­designs auf die Mode wachsen.
Arthur Arbesser ist Österreichs derzeit bedeutendster Modemacher. Er sieht den Einfluss des Möbel­designs auf die Mode wachsen.
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Arthur Arbesser wurde 1983 in Wien geboren. Seine Eltern hätten sich gewünscht, dass er Diplomat oder Jurist geworden wäre. Stattdessen absolvierte er ein Modedesign-Studium am renommierten St. Martin’s College in London und arbeitete sieben Jahre für Giorgio Armani, der ihn angeblich "Ballerino" (Tänzer) nannte. 2012 machte er sich in Mailand selbstständig. Er arbeitete außerdem u. a. für Iceberg, Silhouette, Fay, Max Mara und realisierte zahlreiche Entwürfe für die Bühne, zum Beispiel für die Balletteinlagen des Neujahrskonzerts. Vor kurzem kam die Rolle des Creative Council der Wittmann Möbelwerkstätten hinzu. Hier bringt er unter anderem seine Leidenschaft für geometrische und grafische Designs in Form von Teppichen und Stoffentwürfen ein.

STANDARD: Herr Arbesser, Sie sind neben Ihrer Tätigkeit als Modedesigner seit kurzem auch als Kreativberater für die Wittmann Möbelwerkstätten tätig. Worin liegt der Unterschied zwischen dem Einkleiden eines Menschen und eines Möbels?

Arbesser: Der einzige Unterschied liegt darin, dass der Mensch in Bewegung ist und das Möbelstück nicht. Es geht in beiden Fällen um Proportionen, eine Art von Harmonie, um Qualität und in ­meinem Fall auch um etwas Langlebiges.

STANDARD: Aber ein Mensch kann im Gegensatz zum Möbel auf die Kleider, die er anzieht, reagieren. Und zeigt diese auch nach außen.

Arbesser: Nun, das Möbelstück reagiert nicht mit seinem Wesen. Aber es reagiert auf seine Umwelt. Natürlich wird diese Reaktion von der Person bestimmt, die es platziert. Mir geht es in beiden Bereichen um die Gestaltung einer spannenden, kreativen Oberfläche. Und die fällt mitunter sehr intensiv und farbenfroh aus.

Arbesser, Mode, Mailand
Floral, ornamental, geometrisch, farbenfroh und grafisch. Die Entwürfe von Arthur Arbesser sind in der Regel alles andere denn reduziert und monochrom.
Arthur Arbesser

STANDARD: Es muss ja niemand kaufen.

Arbesser: Richtig. Ich zwinge niemanden. (lacht)

STANDARD: Sie sagten einmal, bei Ihren Modeentwürfen hätten Sie die künftige Trägerin im Sinn. Wie verhält sich das in Sachen Interieur?

Arbesser: Ich habe eine gewisse Gruppe von Damen und Freunden um mich herum, die mich inspirieren und die mir beim Entwerfen durch den Kopf gehen. Beim Interieurdesign denke ich daran, was macht ein Objekt aus einem Zimmer, was gibt es einem Raum, wie fügt es sich ein? Macht es Freude oder kämpft es gegen andere Dinge an?

2012 machte sich Arbesser in Mailand selbstständig. Er arbeitete außerdem u. a. für Iceberg, Silhouette, Fay, Max Mara. Zuvor auch für Giorgio Armani.
Arthur Arbesser

STANDARD: Wie sind Sie eingerichtet?

Arbesser: Sagen wir, sehr eklektisch und durchgemischt. ­Zudem relativ wienerisch, auch wenn das nie geplant war. So etwas wächst einfach. Es gibt Dinge von Josef Hoffmann, Jugendstil, gemischt mit viel moderner Kunst und Büchern. Unordentlich, aber sehr bunt. Ich bin kein Freund von durch­gestyltem Wohnen. Wohnen muss wachsen.

STANDARD: Was genau ist Ihr Job bei Wittmann?

Arbesser: Ich bilde mit Alice Wittmann von den Möbelwerkstätten ein Zweigespann. Ich berate in Sachen Kampagnen, Showroom, Kataloge, Messestände und Farben für Fundstücke aus dem großartigen Archiv. Ich entwerfe auch Textilien und Gegenstände. Sagen wir, ich schau über alles drüber.

Teppich­entwurf von Arthur Arbesser für die Wittmann Möbelwerkstätten. Den Sessel hat Sebastian Herkner für das Haus entworfen.
Wittmann

STANDARD: Wittmann ist ein sehr traditionsreiches Haus und bald 130 Jahre alt. Empfinden Sie das als Bürde, oder ist es gar hilfreich?

Arbesser: Ich liebe alte Dinge. Insofern ist das super und sehr inspirierend. Wie soll ich sagen? Ich empfinde es als Ehre, dass ich Teil dieser langen Geschichte sein und dieser ein bisschen meinen Stempel aufdrücken darf. Ich tue das mit sehr viel Respekt. Und Spaß.

STANDARD: Wie beeinflusst die Mode Trends im Möbel­design?

Arbesser: In den letzten Jahren immer weniger, da die Mode in einem ziemlichen Dilemma steckt, sagen wir, sie befindet sich ein Stück weit in einer Identitätskrise. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass in der nächsten Zeit Interieur-, Möbeldesign und Architektur verstärkt auf die Mode einwirken. Ich spüre, dass viel mehr Kreative und Modedesigner ein großes Interesse, mehr noch eine Passion dafür entwickelt haben, als dies früher der Fall war.

STANDARD: Wie definieren Sie denn diese Identitätskrise?

Arbesser: Als eine Art Wirrwarr. Jeder hat ein bisschen Angst vor dem Verkaufen. Es geht nur um Produkte. Man möchte auf Nummer sicher gehen. Sagen wir, die Mode steckt nicht gerade in ihrem brillantesten Moment.

STANDARD: Ein Kleidungsstück ist kein Möbel, dennoch hat sich die Möbelbranche den Zyklen der Mode längst angenähert. Auf den großen Messen wie in Mailand müssen jedes Jahr neue Entwürfe gezeigt werden. Wie stehen Sie dazu?

Arbesser: Was die Entwicklung von Wittmann betrifft, kann ich nur sagen, dass wir beschlossen haben, uns viel intensiver im Archiv umzuschauen. Davon ­abgesehen brauchen Möbelentwürfe meiner Meinung nach auch länger, bis sie in den Köpfen von Menschen angekommen sind. Diesen Rhythmus, der für Möbel gilt, empfinde ich auch als menschlicher und logischer.

Arbesser, Wittmann
Ein weiterer Teppichentwurf für die Wittmann aus der Kollektion "Forme".
Wittmann

STANDARD: Lassen Sie uns einen Blick in die Kristallkugel werfen. Wie geht es mit der Mode weiter?

Arbesser: Eine schwierige Frage. Meine Hoffnung wäre, dass die Menschen die ganze Sache mehr durchschauen und nicht nur auf die Dinge reinfallen, die geboten werden.

STANDARD: Zum Beispiel?

Arbesser: Zum Beispiel riesige "Fast Fashion"-Kollaborationen, für welche Menschenschlangen vor Geschäften anstehen, um wahllos einzukaufen. Mich bedrücken die Masse und die Größe. Viele Marken mit wechselnden Kreativdirektoren wollen zu schnell zu viel. Das funktioniert auch in der Mode nicht. Damit die Sprache und das Konzept eines Designers verstanden werden, benötigt man einfach manchmal ein paar Jahre. Wenn wir auf die alten, großen Namen im Business schauen, hatten die alle Zeit, um sich zu entwickeln, zu entfalten und die Persönlichkeiten zu werden, die wir jetzt bewundern. Diese Zeit wird heute niemandem mehr wirklich gegeben.

STANDARD: Was also tun?

Arbesser: Darauf schauen, dass es nicht das Maß aller Dinge ist, möglichst viel Umsatz zu machen. Meine Hoffnung wäre also, dass die ganz großen CEOs verstehen, dass sie nicht nur groß sind, wenn sie viel Umsatz machen, sondern sich dazu entschließen, das Ganze etwas qualitätvoller angehen.

STANDARD: Apropos groß: Kommt die Sprache auf österreichische Mode, gibt es an Helmut Lang kein Vorbeikommen. Für viele ist er der mit Abstand größte internationale Modestar, den das Land je hervorbrachte. Wie sehen Sie das?

Arbesser: In diesen Chor kann ich nur einstimmen. Bei ihm hat einfach alles gestimmt: der Zeitpunkt, die Ästhetik. Auch ich hab mein ganzes Taschengeld und geliehenes Geld von Klassenkollegen für Dinge von ihm ausgegeben, die ich mir leisten konnte. Was in seinem Fall auch passte, war, dass das Ganze einen Beginn und ein Ende hatte.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Arbesser: Es ist wie mit Prinzessin Diana. Die wird in den Köpfen der Menschen auch immer schön und jung bleiben. Und Helmut Lang wird immer cool bleiben. Schauen Sie sich nur die alten Fotos der Shows an. Da passt einfach alles. Es wurde nie weniger heiß. Bevor es so weit kommen konnte, hat er aufgehört. Ein goldenes Rezept, wie ich meine.

STANDARD: Glauben Sie, er hat dieses Rezept bewusst eingesetzt?

Arbesser: Nein, sicher nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass er so intelligent ist, erkannt zu haben, dass ihm das Ganze auf diese Art und Weise nicht mehr denselben Spaß machte. Das bedarf irrsinnigen Mutes und Größe.

STANDARD: Zurück zu den Möbeln: Auf der Mailänder Möbelmesse, die sich ja über einige Viertel der Stadt erstreckt, fällt auf, dass mittlerweile eine Vielzahl von Modeunternehmen die Veranstaltungen als Bühne nutzt. Warum setzen sich diese Firmen auf die Möbelszene?

Arbesser: Wenn etwas gut ist, hat es Berechtigung, präsent zu sein, egal ob es von Dior oder Fendi präsentiert wird. In den meisten Fällen trifft das aber nicht zu, und ich sehe diese Entwicklung als Marketingstrategie, die Massen von Menschen, die während der Messewoche in Mailand sind, zu ködern – für irgendwelche Instagram-Storys, um den Namen der Marke weiter rauszutragen. Das ist nervig, weil es vom Eigentlichen ablenkt.

Arbesser, Wittmann
Seit kurzem ist Arbesser auch als Kreativkopf des Traditionshauses Wittmann Möbelwerkstätten im Amt.
Stefano Galuzzi

STANDARD: Eine Frage, an der wir mittlerweile kaum mehr vorbeikommen: Welchen Stellenwert räumen Sie der künstlichen Intelligenz in Ihrem Metier ein?

Arbesser: Dafür bin ich die völlig falsche Person. Ich bin ein alter Mann im Körper eines gar nicht mehr so ­jungen Menschen. Ich gehöre gerade noch zu der Generation, die zwischen Computer und Telefon groß geworden ist. In Sachen Technologie habe ich nie besonders in die Zukunft geschaut, bin eher in der Vergangenheit hängen geblieben.

STANDARD: Aber KI ist ein Riesenthema.

Arbesser: Das stimmt schon. Ich habe Freunde, vor allem Grafik- und Produktdesigner, die haben eine Riesenangst davor. Wie gesagt, mich rührt das Ganze noch nicht so richtig an.

STANDARD: Das kann sich ändern.

Arbesser: Natürlich, aber ich denke, das Wichtigste für einen kreativen Menschen ist, weiterhin seine Ideen umzusetzen. Wenn ich beginne, mir zu
große Sorgen zu machen, dann verblocke ich mich selbst, und mein kreativer Fluss würde ­veröden. (RONDO, Michael Hausenblas, 25.1.2024)