Blick auf eine Kompressorstation für eine Gaspipeline in Russland
Im Dezember stammten 98 Prozent der österreichischen Gasimporte aus Russland. Energieministerin Leonore Gewessler will nun gesetzlich dagegen vorgehen. Sie braucht dafür eine breite Zustimmung.
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Österreichs Abhängigkeit von Gas aus Russland ist zuletzt gestiegen statt gesunken. Mit 98 Prozent war der Anteil von russischem Gas an den Gesamtimportmengen im Dezember so hoch wie in keinem Monat vorher. Weil Appelle nicht gefruchtet hätten und man von einem Marktversagen sprechen müsse, sei es Aufgabe des Staates, lenkend einzugreifen, sagt Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne).

Video: Gewessler will Ausstieg aus OMV-Verträgen mit Gazprom vorbereiten.
APA

Frage: War das im Dezember ein Ausreißer, oder ist eine Tendenz zu erkennen?

Antwort: Letzteres ist richtig, seit vorigem September nimmt der Anteil russischen Gases an den Gasimporten Österreichs tendenziell zu. 80 Prozent waren es im September, 90 Prozent im Oktober, 76 Prozent im November und dann besagte 98 Prozent im Dezember, die Energieministerin Gewessler offenbar zu ihrem Vorstoß bewogen haben.

Frage: Im Herbst 2022 gab es noch allenthalben Jubel, man befinde sich auf dem richtigen Weg, der Anteil von russischem Gas sei auf 20 Prozent gesunken. War das ein Fake?

Antwort: Im September 2022 hat der Anteil russischer Gaslieferungen an Österreichs Gesamtimporten tatsächlich nur mehr 21 Prozent betragen. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 war die Panik groß, wie man die Energieversorgung über den Winter sicherstellen kann, zumal die Gasspeicher ziemlich leer waren und Russland deutlich weniger Gas lieferte, zum Teil nur 20 Prozent der vereinbarten Liefermengen. In der Not wurde Gas zugekauft, wo immer man konnte. Die Preise schossen in die Höhe und bewirkten, dass Haushalte wie Industrie und Gewerbebetriebe den Gasverbrauch deutlich gedrosselt haben. Deshalb ist nicht nur der Gasverbrauch insgesamt gesunken; auch der relative Anteil von russischem Gas ist in der Folge auf ein zuvor nie gesehenes Niveau zurückgegangen.

Frage: Was ist dann passiert?

Antwort: Die Speicher waren voll, Russland beziehungsweise Gazprom hat wieder vollumfänglich Gas durch die Ukraine und die Slowakei nach Österreich geleitet, die Nachfrage blieb aber gedämpft. Es brauchte schlicht weniger Gas aus anderen Quellen, weil genug da war. So ist der Anteil von russischem Gas wieder gestiegen und konterkariert das von der EU ausgegebene und von der Bundesregierung bekräftigte Ziel, bis 2027 den Ausstieg aus russischem Gas zu schaffen.

Frage: Ministerin Gewessler will in Österreich tätige Energieversorger per Gesetz zwingen, russisches Gas schrittweise aus ihrem Portfolio zu drängen, auf dass 2028 das erste Jahr sei, in dem in Österreich kein Gas aus Russland mehr verkauft werden darf. Realistisch?

Antwort: Es ist möglich, wenn auch wenig wahrscheinlich. Dazu wäre eine Änderung des Gaswirtschaftsgesetzes notwendig, und das bedarf einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die Zustimmung der SPÖ ist ungewiss, sie drängt auf eine lange Begutachtung und wird sich die Zustimmung gerade im Wahljahr 2024 teuer abkaufen lassen wollen, etwa mit der Zusicherung, dass Gasverbraucher und -verbraucherinnen nicht ungebührlich durch höhere Preise belastet werden dürfen. Die FPÖ findet die Idee, auf russisches Gas zu verzichten, von Haus aus schlecht.

Frage: Die Neos sagen, man könne den Ausstieg im nächsten Nationalratsplenum beschließen.

Antwort: Das geht sich schon rein zeitlich nicht aus. Zunächst müssen sich Grüne und ÖVP zu einem gemeinsamen Vorschlag zusammenraufen, dann die Begutachtung, dann die Suche nach einer Verfassungsmehrheit. Wenn alles rundläuft, könnte die Diversifizierungsverpflichtung noch vor den Wahlen beschlossen werden. Betonung auf: Wenn alles rundläuft.

Frage: Auch soll geprüft werden, ob die OMV aus ihren Langfristverträgen mit Gazprom aussteigen kann. Gäbe es einen Hebel?

Antwort: Es handelt sich im konkreten Fall um sogenannte Take-or-pay-Verträge, will heißen, dass OMV die bestellten Mengen jedenfalls bezahlen muss, auch wenn sie das Gas nicht mehr haben will. Das ist nicht unüblich. Die Krux ist aber, dass die OMV die Verträge 2018, in Zeiten einer anderen geopolitischen Situation, bis 2040 verlängert hat. Ein Hebel könnte sein, den Klagsweg einzuschreiten und vor ein internationales Schiedsgericht zu ziehen mit dem Argument, dass Gazprom 2022 seine Verpflichtungen nicht erfüllt und im Jahresschnitt deutlich weniger Gas geliefert hat – Ausgang ungewiss.

Frage: Wäre der Ausstieg mit Kosten verbunden?

Antwort: Auf jeden Fall. Fehlt russisches Gas am Markt, und sinnvollerweise müssten auch Lieferungen von verflüssigtem Erdgas (LNG) unter den Bann fallen, treibt das die Preise in die Höhe. Für Österreich soll das Wirtschaftsforschungsinstitut bis Sommer die möglichen Kosten berechnen inklusive der Risiken, die bei einem Fortschreiben der großen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen bestehen.

Frage: Warum landete Gas nie auf der Sanktionsliste der EU? Rohöl, Diesel und Diamanten dürfen ja auch nicht mehr aus Russland bezogen werden.

Antwort: Die Diskussion gab es in Brüssel, insbesondere Länder wie Polen und die baltischen Staaten haben sich dafür starkgemacht. Es waren aber ausgerechnet Deutschland und Österreich, die sich dagegen gewehrt haben, mit dem Hinweis auf die große Abhängigkeit von Gasbezügen aus Russland.

Frage: Und wenn es neuerlich einen Vorstoß in diese Richtung gäbe?

Antwort: Dann wäre die Wahrscheinlichkeit deutlich größer, dass das durchgeht, zumal Deutschland seit der Sprengung der Ostseepipeline Nord Stream kein Pipelinegas aus Russland mehr geliefert bekommt. (Günther Strobl, 13.2.2024)