Der Tod des russischen Putin-Gegners Alexej Nawalny in einem sibirischen Straflager und des von Russland desertierten Hubschrauberpiloten Maxim Kusminow in Spanien zeigt erneut, dass die Gegner des russischen Diktators Wladimir Putin und seiner Machtelite oft eines überraschenden und unnatürlichen Todes sterben. Die Hintergründe der Opfer sind so vielfältig wie die Todesursachen. Insbesondere seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die Zahl verdächtiger Todesfälle unter russischen Wirtschaftsgrößen drastisch erhöht. Nachfolgend eine Liste ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit.

Wladimir Putin war selbst Offizier des KGB und des FSB. Er stützt seine Macht unter anderem auf die Geheimdienste.
AFP/POOL/ALEXANDER KAZAKOV

17. April 2003: Sergei Nikolajewitsch Juschenkow

Sergei Juschenkow wurde vor seinem Haus erschossen, kurz zuvor hatte er die Registrierung seiner Partei für die Parlamentswahl abgeschlossen. Er hatte offen die Macht des Inlandsgeheimdienstes und der Behörden kritisiert und untersuchte die Hintergründe einer Serie von Bombenanschlägen aus dem Jahr 1999, die dem FSB zugeschrieben werden.

3. Juli 2003: Juri Petrowitsch Schtschekotschichin

Der Duma-Abgeordnete und Menschenrechtsaktivist Juri Schtschekotschichin erkrankt am 16. Juni 2003 plötzlich. Er stirbt Anfang Juli vermutlich an den Folgen einer Vergiftung – offiziell ist die Todesursache jedoch eine "allergische Reaktion". Er setzte sich gegen Korruption und organisiertes Verbrechen ein und kritisierte den Zweiten Tschetschenienkrieg.

13. Februar 2004: Selimchan Abdumuslimowitsch Jandarbijew

Der ehemalige tschetschenische Präsident Selimchan Jandarbijew wird in Doha mit einem Bombenanschlag ermordet. Zwei russische Geheimdienstagenten werden für den Mord in Katar verurteilt.

8. März 2005: Aslan Alijewitsch Maschadow

Der ehemalige tschetschenische Präsident Aslan Maschadow wird im Zweiten Tschetschenienkrieg von einem Kommando des Inlandsgeheimdienstes FSB in Tolstoi-Jurt getötet. Seine Leiche wird im russischen Fernsehen gezeigt, sein Tod ist ein Erfolg für Putin.

7. Oktober 2006: Anna Stepanowna Politkowskaja

Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Anna Politkowskaja wird im Aufzug ihres Wohnhauses in Moskau erschossen. Ihr Tod ist wohl ein "Geschenk" des Geheimdienstes zum 54. Geburtstag Putins. Sie war bereits zuvor Ziel von Anschlägen und Morddrohungen, 2004 scheiterte ein Giftanschlag.

Anna Politkowskaja wurde in ihrem Haus erschossen.
Sergei Chirikov / EPA / pictured

1. November 2006: Alexander Walterowitsch Litwinenko

Alexander Litwinenko erkrankt in London, nachdem ihm von einem russischen Agenten mit Polonium-210 versetzter Tee gereicht wurde. Der ehemalige KGB-Offizier Litwinenko stirbt am 23. November an den Folgen der Strahlenkrankheit. Noch vor seinem Tod gibt er direkt Putin die Schuld.

Alexander Litwinenko wurde mit Polonium ermordet.
AP/Alistair Fuller

13. Jänner 2009: Umar Israilow

Umar Israilow wird in Wien auf offener Straße erschossen. Israilow kämpfte im Ersten Tschetschenienkrieg gegen die Russen und flüchtete 2004 vor dem von Putin in Tschetschenien installierten Kadyrow-Regime in den Westen. Die Ermittlungen sehen den tschetschenischen Machthaber Ramzan Kadyrow als direkten Auftraggeber des Mordes.

29. März 2009: Sulim Bekmirsajewitsch Jamadajew

Sulim Jamadajew wird in Dubai niedergeschossen und stirbt einen Tag später. Jamadajew hatte wie der Kadyrow-Clan im Zweiten Tschetschenienkrieg die Seiten zu den Russen gewechselt, sich jedoch später mit Ramzan Kadyrow überworfen. Die Ermittlungsbehörden sahen den Kadyrow-Clan hinter dem Anschlag.

16. Juli 2009: Natalia Chusainowna Estemirowa

Die Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa wird in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny verschleppt und kurz darauf in Inguschetien erschossen aufgefunden. Sie hatte für die Organisation Memorial hunderte Menschenrechtsverbrechen in Tschetschenien untersucht.

16. November 2009: Sergei Leonidowitsch Magnitski

Der Wirtschaftsprüfer Sergei Magnitski stirbt, nachdem er ein Jahr lang in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis inhaftiert war. Zuvor hatte er Informationen über Steuerbetrug in Millionenhöhe öffentlich gemacht.

23. März 2013: Boris Abramowitsch Beresowski

Boris Beresowski wird mit einem Kaschmirschal erhängt in seinem Badezimmer in Ascot aufgefunden. Der Oligarch hatte Russland wegen eines Konflikts mit Putin verlassen. Es konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob Fremdverschulden vorliegt. Schon zuvor waren Mordversuche gescheitert.

Boris Beresowksi wurde erhängt aufgefunden.
Reuters/Olivia Harris

27. Februar 2015: Boris Jefimowitsch Nemzow

Auf dem Heimweg wird Boris Nemzow auf der großen Moskwa-Brücke in der Nähe des Kremls mit vier Schüssen ermordet. Wenige Stunden vor seinem Tod hatte der Putin-Gegner erklärt, dass Putin Russland mit seiner Kriegspolitik gegen die Ukraine in die Krise gestürzt und eine Elite um Putin Macht und Geld an sich gerissen habe.

Boris Nemzow wurde mitten in Moskau erschossen.
AP/Misha Japaridze

28. April 2015: Emilian Gebrew

Emilian Gebrew wird in Sofia vergiftet. Der bulgarische Waffenhändler überlebt den Anschlag, der vermutlich mit Nowitschok durchgeführt wurde. Einer der späteren mutmaßlichen Skripal-Attentäter befand sich zum Zeitpunkt des Anschlags in Sofia.

Mai 2015: Wladimir Wladimirowitsch Kara-Mursa

Der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa fällt nach einer Vergiftung für eine Woche ins Koma. Im Februar 2017 zeigt er erneut Vergiftungssymptome. Seither leidet er an einer Erkrankung des Nervensystems. Nach seiner Kritik an dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wird er inhaftiert und schließlich nach Sibirien in Einzelhaft verlegt. Nach Nawalnys Tod herrscht nun große Besorgnis über den Gesundheitszustand Kara-Mursas.

Wladimir Kara-Mursa ist wie der nun verstorbene Alexej Nawalny in Sibirien inhaftiert.
AP

30. Oktober 2017: Amina Wiktorowna Okujewa

Die tschetschenischstämmige Ärztin und Euromaidan-Aktivistin Amina Okujewa wird in Hlewacha in der Ukraine ermordet. Der Anschlag galt ihrem Mann Adam Osmajew, einem Kommandanten eines tschetschenischen Freiwilligenbataillons in der Ukraine. Kiew vermutet den Geheimdienst FSB hinter dem Anschlag.

4. März 2018: Sergei Wiktorowitsch Skripal

Am 4. März 2018 wurde der zum britischen Geheimdienst übergelaufene ehemalige GRU-Agent Sergei Skripal in seinem Haus in Salisbury gemeinsam mit seiner Tochter Julija mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet. Beide überlebten knapp und trugen Langzeitschäden davon. Pech hatte ein Paar aus dem benachbarten Amesbury. Die beiden durchsuchten häufig Abfall nach Verwertbarem. Dabei fanden sie Ende Juni in Salisbury ein Parfumfläschchen, das Nowitschok enthielt. Die 44-jährige Dawn Sturgess starb am 8. Juli, ihr Partner Charlie Rowley überlebte mit Folgeschäden. Als für den Anschlag Verantwortliche wurden drei GRU-Mitarbeiter identifiziert.

Nach dem Anschlag auf Sergei Skripal waren umfangreiche Maßnahmen zur Dekontaminierung nötig.
AP/Frank Augstein

12. März 2018: Nikolai Alexejewitsch Gluschkow

Nikolai Gluschkow wird tot in seiner Londoner Wohnung aufgefunden, er zeigt Strangulationsspuren. Am selben Tag hätte der Oppositionsunterstützer und Freund Beresowskis bei einem Aeroflot-Korruptionsverfahren erscheinen sollen. Schon zuvor war auf ihn ein Giftanschlag ausgeführt worden. Der Mord konnte nie geklärt werden.

12. September 2018: Pjotr Werzilow

Der Pussy-Riot-Aktivist Pjotr Werzilow wird mit Vergiftungserscheinungen in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert und nach drei Tagen nach Berlin überstellt. Er überlebt den Vorfall und gibt der russischen Regierung die Schuld.

Pjotr Werzilow wurde möglicherweise vergiftet.
AP/Alexander Zemlianichenko

23. August 2019: Selimchan Changoschwili

Der aus der tschetschenischen Minderheit in Georgien stammende Selimchan Changoschwili kämpfte im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland und lebte später als Asylwerber in Deutschland. Er wurde am 23. August 2019 von einem russischen Geheimdienstmitarbeiter im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen. Schon zuvor wurden mehrere Anschläge auf Changoschwili durchgeführt.

1. September 2022: Rawil Ulfatowitsch Maganow

Der Lukoil-Manager Rawil Maganow starb in Moskau, er wurde vor dem Fenster eines Krankenhauses gefunden. Er ist hier beispielhaft angeführt – als nur einer von mindestens vier Dutzend Fällen des plötzlichen Ablebens russischer Milliardäre, Unternehmer oder hochrangiger Politiker seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Die Toten sind aus dem Fenster gefallen, über eine Treppe gestürzt, ertrunken, erstickt, überfahren oder starben trotz vorheriger bester gesundheitlicher Verfassung plötzlich an schweren Krankheiten oder wurden erschossen, erstochen oder erhängt aufgefunden.

23. August 2023: Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin

Jewgeni Prigoschin trug den Spitznamen "Putins Koch" und war als Chef der Söldnergruppe Wagner ein wichtiger Helfer des Kremls bei den Kriegen in Syrien und der Ukraine. Doch er überwarf sich mit der Armeeführung und startete im Juni einen Marsch auf Moskau. Zwei Monate später starb er gemeinsam mit den Wagner-Anführern Dmitri Utkin und Waleri Tschekalow bei einem Flugzeugabsturz in Russland, das Flugzeug wurde vermutlich abgeschossen.

Jewgeni Prigoschin meuterte gegen die russische Armeeführung.
AP

13. Februar 2024: Maxim Germanowitsch Kusminow

Maxim Kusminow war Hubschrauberpilot der russischen Armee. Er setzte sich mit seinem Fluggerät im August 2023 in die Ukraine ab. Fortan lebte er im spanischen Exil, wo ihn offenbar aufgrund von sorglosem Verhalten russische Auftragsmörder aufspüren konnten. Er wurde in seinem Haus in Villajoyosa erschossen.

Maxim Kusminow desertierte mit seinem Hubschrauber.
AP/Vladyslav Musiienko

16. Februar 2024: Alexej Anatoljewitsch Nawalny

Der Oppositionelle Alexej Nawalny stirbt unter ungeklärten Umständen im sibirischen Straflager. Er war das Ziel jahrelanger Verfolgung durch die russische Politjustiz und bereits mehrerer Anschläge. Einen Giftanschlag am 20. August 2020 überlebte Nawalny mit Folgeschäden.

Alexej Nawalny ist das jüngste einer langen Serie von Opfern der Machtelite im Kreml.
AP/Kirsty Wigglesworth

(Michael Vosatka, 23.2.2024)