Sommer 1977: An der Wand in meinem Kinderzimmer hingen die Poster aller Formel-1-Autos: McLaren! Tyrrell! Lotus! Ferrari! Ich betete an Rennsonntagen um schlechtes Wetter, denn dann durfte ich den Grand Prix auf FS2 schauen, statt draußen spielen zu müssen. Nur alle heiligen Zeiten gab es tags darauf eine kurze Zusammenfassung in Sport am Montag – die war jedes Mal für mich Zehnjährigen ein Hochamt mit den Hohepriestern der Coolness und Verwegenheit: Lauda! Hunt! Andretti!

Randerscheinungen bei Formel-1-Rennen
Willkommen im Formel-1-Zirkus: Staffel 6 von "Drive to Survive" bei Netflix
Dan Vojtech/Netflix

Spätwinter 2024: Längst ist die Formel 1 zum medial omnipräsenten Milliardenbusiness geworden. Einen gewissen Anteil daran hat auch der Streaming-Anbieter Netflix, der dieser Tage die bereits sechste Staffel der Dokuserie Drive to Survive auf seine Server geladen hat. Das Strickmuster: In zehn dramaturgisch perfekt inszenierten Episoden blicken wir auf die vergangene Saison zurück. Hier geht es nicht nur um Punkte, Zeiten und Ergebnisse: Hier werden Geschichten erzählt. Triumphe, Tragödien.

Und da jede und jeder Underdogs liebt und mit ihnen mitfiebert, sind folglich sie die Protagonisten. Wir erleben den unerwarteten Aufstieg des Aston-Martin-Teams bis fast ganz an die Spitze; wir sehen, wie Nyck de Vries dem enormen Erfolgsdruck nicht standhält – im Gegensatz zu einem anderen Rookie, Oscar Piastri. Und immer wieder: Ferrari, die tragische Göttin – ohne sie wäre es nicht die Formel 1. Ach ja: Weltmeister wird (kein Spoiler-Alarm) Max Verstappen. Wieder einmal. Aber darum geht’s nicht, wenn das Motto "Fahr um dein Leben!" lautet.

Doch halt! Motorsport ist doch schon lange nicht mehr zeitgemäß! Und es geht ja doch nur ums Geld! Ja, stimmt eh ... trotzdem eine sehr, sehr coole Serie. (Gianluca Wallisch, 26.2.2024)