IKEA-Kataloge, von den 1970ern bis ins Jahr 2021. Der erste Katalog erschien 1950, allerdings noch (nur) auf schwedisch.
Used with the permission of Inter IKEA Systems B.V.“

Obacht! Durch die Lektüre dieses Artikels könnten Sie zu Geld kommen. Zwar nicht zu Millionen, aber vielleicht doch zum einen oder anderen Tausender. Und wie? Ganz einfach: Sie sollten es sich gut überlegen, ob Sie Ihre altgedienten und vielleicht altersschwachen Ikea-Möbel und Accessoires tatsächlich zum Mistplatz führen wollen, dem Nachwuchs vererben oder vielleicht doch einmal einschlägige Online-Auktionshäuser besuchen. Die Dinger können nämlich zu Barem werden. Sie lesen richtig.

Immer wieder tauchen Berichte auf, in denen es heißt, dass sich bestimmte Ikea-Objekte zu begehrten Sammlerstücken gemausert haben und durchaus ansehnliche Preise erzielen. Bereits vor zwei Jahren war im Guardian zu lesen, dass der Armlehnstuhl "Cavelli", ein Entwurf von Bengt Ruda aus dem Jahre 1959, für umgerechnet mehr als 15.000 Euro den Besitzer wechselte. Der "Impala easy chair" aus den 70ern brachte über 7000 Euro und der "Skye armchair", ebenso ein Designkind der 70er, ist derzeit auf Barnebys.de um 3250 Euro zu finden.

Nostalgieeffekt

Irgendwie erscheint diese Geschichte paradox. Ein mit Ikea-Möbeln eingerichtetes Zimmer war weder von der Gestaltung noch von der Lebenserwartung her als Wohnstube ohne Ablaufdatum gedacht, also ein Heim fürs Leben. Es ging dem Firmengründer Ingvar Kamprad, der vor sechs Jahren das Zeitliche segnete, um leistbare, austauschbare Einrichtung, die unter dem Deckmantel des "demokratischen Designs" günstig verkauft wurde und die ganze Welt eroberte. Allein in ­Österreich machte das Unternehmen 2022/2023 über eine Milliarde Umsatz. Jedes Jahr fluten rund 2500 neue Produkte die Regale.

Ikea, Klassiker, Vintage
Ein Ikea-Sessel aus der Familie „Impala“ von 1972 wird derzeit auf der Plattform Pamono um 3000 Euro feilgeboten.
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Die Gründe dafür, weshalb nun manche der älteren Stücke als Vintage gehypt werden, dürften verschiedener Natur sein. Einerseits existiert bereits seit längerem eine ausgeprägte Sehnsucht nach Stücken aus der vermeintlich guten alten Zeit mit Wiederkennungswert. Ganz nach dem Motto: Wenn ein Entwurf über Jahre oder gar Jahrzehnte Bestand hat, dann muss er ein gelungener sein. Man könnte an dieser Stelle auch einen gewissen Nostalgie­effekt wittern.

Weiters dürfte auch die Lust auf die Jagd nach Trophäen nicht wenigen eine Triebfeder sein. Sebastian Hackenschmidt, unter anderem Möbelchef des Wiener Museums für angewandte Kunst, erklärt sich die Sache folgendermaßen: "Wer bei Ikea einkauft, sucht wohl eher nicht das, was sich eine 'Anschaffung fürs Leben' nennt! Inzwischen müssen wir aber feststellen, dass sich in der Produktpalette von Ikea über die Jahrzehnte hinweg durchaus originelle Entwürfe angesammelt haben. Zum Teil sind das ganz verrückte Dinge, die irgendwann mal modisch waren und uns heute in ihrer Skurrilität typisch für ihre Zeit erscheinen – wilde Leuchtobjekte aus den Anfängen der Postmoderne oder bizarre Rattanmöbel zum Schaukeln."

Ikea, Klassiker, Vintage
Die Deckenlampen „Duett“ aus dem Jahre 1983. Auf Etsy.com sind sie um 200 bis 900 Euro im Angebot. Laut „AD Magazin“ betrug der ursprüngliche Preis 8,90 Euro.
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Ebenso darf die Bedeutung von Namedropping bei dieser Geschichte so wie in den meisten Gefilden des Lifestyles keineswegs unterschätzt werden. Was viele nicht auf dem Radar haben, ist die Tatsache, dass auch das 1943 gegründete Möbelhaus von Zeit zu Zeit mit Topstars der Designszene zusammengearbeitet hat und diese ein ordentliches Scherflein zum Erfolg beigetragen haben.

Dornröschenschlaf

Man denke an Großmeister Verner Panton, Niels Gammelgaard, Ettore Sottsass oder in späteren Jahren den Briten Tom Dixon. Auch die Vase der renommierten niederländischen Gestalterin Hella Jongerius namens "PS Jonsberg Rose Gold" wird derzeit auf der Plattform Etsy.com um 320 Euro feilgeboten. Das Stück ist dort nicht das einzige aus der Ikea-Familie – so hat der E-Commerce-Laden unter anderem auch den Sessel "Gogo" von Karin Mobring aus dem Jahre 1970 im Angebot. Und zwar um schlappe 3400 Euro. Last, but not least: Auch der 2021 mit nur 41 Jahren verstorbene Virgil Abloh, Männer-Mode-Chef bei Louis Vuitton, trug zum Beispiel Teppichentwürfe zur Kollektion des Hauses bei.

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Lounge-Chair „Kröken“ (1968 )von Christer Blomquist geistert um ein paar Hunderter durchs Netz, ist also vergleichsweise günstig.
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Wann ein Entwurf wirklich das Zeug zum Klassiker hat, kann wohl kaum einer besser beantworten als Rolf Fehlbaum, der emeritierte Vorsitzende der Designschmiede Vitra AG, eine Art Paradies in Sachen Ikonen von Jean Prouvé über ­Eames bis hin zu Isamu Noguchi. In einem Interview mit dem STANDARD sagte Fehlbaum einmal: "Bei Klassikern handelt es sich um keine Zufälle, da steckt auch kein Marketing dahinter. Jedes neue Produkt möchte sich gegen ein bestehendes durchsetzen, sonst findet es keinen Markt. Die Tatsache, dass ein älteres Produkt diesen Kampf immer wieder gewinnt, heißt schon was. Plakativ könnte man auch sagen: ,survival of the fittest‘. Aber irgendwann wird auch der Klassiker verdrängt." Nun, manche Stücke aus dem Hause Ikea dürften wohl eine Art Dorn­röschenschlaf gehalten haben, bevor sie in die Riege der Klassiker aufgenommen wurden.

Man kann sich über diese Entwicklung wundern oder nicht, sie fördert jedenfalls ein Stück weit die Nachhaltigkeit, wofür Ikea jetzt nicht gerade unbedingt als Paradebeispiel herhält.

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Das Regal „Guide“ (1985) des beliebten Designers Niels Gammelgaard tauchte auf etsy.com um 1499,90 Euro auf. Laut „AD Magazin“ betrug der ursprüngliche Preis 65 Euro.
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Natürlich hat auch Ikea selbst spitzgekriegt, dass dieses Vintage-Ding nicht ohne ist, und entschloss sich auch deshalb vor kurzem, die neueste "Nytillverkad"-Kollektion auf den Markt zu bringen, welche als Hommage an das Design der 1960er- und 1970er-Jahre verstanden werden soll. Sie knüpft eng an die Entwürfe von Karin Mobring und Gillis Lundgren an. Mobring war die erste weibliche Designerin im schwedischen Möbelhaus, Lundgren ein enger Mitarbeiter Ingvar Kamprads. Mit von der Retropartie sind unter anderem Drehsessel, Vasen, Heimtextilien und Beistelltische, die fast schon in Bauhaus-Optik daherkommen. Global-Design-Manager Johan Ejdemo von Ikea dazu: "Vintage-Möbel haben in letzter Zeit ein großes Comeback erlebt, und es gibt eine wachsende Nachfrage nach bestimmten Ikea-Produkten, die zu Sammelstücken geworden sind. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine Auswahl unserer Design-Ikonen wiederaufleben zu lassen." Ob diese neuen alten Stücke dereinst ebenfalls das Zeug zu kleinen Vintage-Schätzen haben, wird die Zeit weisen, denn ohne Zeit, kein Vintage.

Ikea, Klassiker, Vintage
Ene Neuauflage: Das nostalgische Möbel "Dyvlinge" ist Teil der seit kurzem erhältlichen "Nytillverkad"-Kollektion bei Ikea in mehreren Farben: 199 Euro
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Zum Schluss noch eine Nachricht in eigener Sache: Das Bett "Kromvik", einst studentische Schlafstätte des Verfassers dieser Zeilen, entdeckte ebendieser im Internet, wo es um ganze 3250 Euro über die Online-Budel wanderte. Das eigene Bett ging vor vielen Jahren den Weg allen Sperrmülls. Von wegen, es ist nie zu spät. (Michael Hausenblas, 3.3.2024)