Der Titel ist Programm: "Push" nennt ZDF neo seine Serie über den oft schwierigen und anstrengenden Alltag von Hebammen. Serienmacherin Luisa Hardenberg erzählt darin in sechs Folgen sehr realistisch vom Stress auf einer Geburtenstation, von Komplikationen in der Schwangerschaft und bei Geburten, aber auch von der Freude über neues Leben. Dort versieht Nalan – gespielt von der österreichischen Schauspielerin Mariam Hage – gemeinsam mit den Hebammen Anna (Anna Schudt) und Greta (Lydia Lehmann) ihren Dienst zwischen privatem Chaos und geplatzten Fruchtblasen. Zu sehen ist die Serie ab Freitag in der ZDF-Mediathek und ab 10. März immer sonntags in Doppelfolgen im Hauptabendprogramm von ZDF neo.

Nalan Arzouni (Mariam Hage) bei ihrer Patientin Kathi (Stefanie Reinsperger).
Nalan Arzouni (Mariam Hage) mit ihrer Patientin Kathi (Stefanie Reinsperger).
Foto: ZDF

STANDARD: Wie hat die Rolle der Hebamme Nalan Arzouni Ihre Sicht auf das Thema Geburt verändert?

Hage: Ich hatte schon immer einen großen Respekt vor Müttern. Mit der Serie wurde mir noch einmal bewusst, wie wenig ich davor über Geburten wusste und auch wie wenig wir generell über das Thema erfahren. In Filmen und Serien wird eine Geburt oft als sehr schnell und einfach dargestellt.

STANDARD: Und oft auch romantisierend, oder?

Hage: Ja und immer in der gleichen Position. Es gibt hier so viele Tabus, und das ist absurd. Eine Geburt ist etwas, das wir alle selbst erfahren. Sei es als Gebärende oder als Geborene. Weil Geburt ein Teil der Frauengesundheit ist, bekommt das Thema zu wenig Beachtung in unserer Gesellschaft. Darum freue ich mich umso mehr, an einem Projekt mitgearbeitet zu haben, das versucht, das Thema in den Mittelpunkt zu rücken. Denn dafür ist Kunst da. Kunst sollte helfen, Themen zu vermitteln.

STANDARD: Hebammen bekommen oft auch nicht die Wertschätzung, die sie verdienen.

Hage: Ja, und mehr Wertschätzung würde auch mehr Finanzierung für Hebammen bedeuten. Gesellschaftlich gerät das Thema zusätzlich in den Hintergrund, weil es nicht zu dem Bild der Frau als Objekt passt, das schön anzuschauen ist. Der Frauenkörper ist hier kein Objekt, wird nicht sexualisiert, sondern kreiert Leben. Eine Geburt ist nichts Romantisches, sondern etwas Kraftvolles. Es gibt alle möglichen Arten von Flüssigkeiten, eine Geburt ist nicht steril. Hebammen bekommen auch deswegen zu wenig Beachtung, weil es ein Frauenberuf ist. Weil generell Arbeit, die von Frauen ausgeübt wird, weniger Anerkennung bekommt. Und hier kommt wieder die Kunst ins Spiel.

STANDARD: Aufmerksamkeit mit Unterhaltung und Aufklärung?

Hage: Ja. Film und auch Theater sind Medien für die Gesellschaft, die Themen aus der Gesellschaft zeigen sollen. Mir fehlen Geschichten über die Unsichtbaren, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut wird. Damit meine ich unter anderem Menschen, die systemrelevante Arbeit ausüben, wie Putzen oder Pflegeberufe. Sie sind die eigentlichen Helden und Heldinnen. Personen, die ihre Arbeit machen, finden selten Platz in der Geschichte. Aber sie sind es, die das System am Laufen halten.

Hebamme Nalan Arzouni (Mariam Hage, rechts) bei einer Hausgeburt.
Foto: ZDF

STANDARD: In "Push" sieht man teils auch recht explizite Geburtsszenen. Wie lief der Dreh ab?

Hage: Es war immer eine echte Hebamme am Set, und es gab auch eine Intimitätskoordinatorin. Meistens gab es auch ein Closed Set mit wenigen Menschen. Wir haben versucht, Geburten so realitätsnah wie möglich zu drehen.

STANDARD: Man sieht auch realistisch, wie Kaiserschnitte funktionieren.

Hage: Ja, weil das auch oft noch ein Tabu ist und man das nicht oft sieht, wurden echte Kaiserschnittszenen dokumentarisch reingeschnitten.

Nalan Arzouni (Mariam Hage) ist enttäuscht. Sie hat ihre Periode bekommen.
Nalan Arzouni (Mariam Hage) ist enttäuscht: Wieder nicht schwanger, sie hat ihre Periode bekommen.
Foto: ZDF/Richard Kranzin

STANDARD: Ihnen war gleich klar, dass Sie die Rolle der Nalan spielen wollen?

Hage: Ja, auch weil es um Themen geht, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kaum gezeigt werden. Man sieht Periodenblut, es geht auch um das Tabuthema Fehlgeburt. In meinem privaten Leben schätze ich nichts so sehr wie empathische Menschen, und deshalb fand ich es auch wunderbar, diese sehr empathische Hebamme spielen zu können.

STANDARD: Wie haben Sie sich vorbereitet?

Hage: Für mich ist Vorbereitung alles, ich gehe wie eine Investigativjournalistin vor. Ich stelle sehr viele Fragen, lese viel, tausche mich – wie in dem Fall – mit echten Hebammen aus. Ich frage mich immer, welchen Charakter ich erschaffen muss, um dem Drehbuch gerecht zu werden. Es geht darum, so gut vorbereitet zu sein, dass man nicht merkt, dass ich spiele. Das ist meine Verantwortung als Schauspielerin. Ich gehe jede Szene hundertmal durch, bin wahnsinnig neugierig, frage mich, wie sich die Figur bewegt, wie sie mit unregelmäßigem Schlafrhythmus umgeht, was das mit dem Körper macht. Mein größter Wunsch ist, dass sich eine echte Hebamme gesehen fühlt.

Nalan (Mariam Hage, links) und Anna (Anna Schudt) suchen Ruhe am Klinikdach.
Nalan (Mariam Hage, links) und Anna (Anna Schudt) brauchen ein bisschen Ruhe und treffen sich auf dem Klinikdach.
Foto: ZDF, Richard Kranzin

STANDARD: Mit Ihrer Rolle als Informantin Azra im Wiener "Tatort" wurden Sie 2023 einem breiteren Publikum bekannt, Ihre Darstellung wurde damals sehr gelobt. Wie gehen Sie generell mit Kritik um?

Hage: Ich bin mir selbst gegenüber sehr kritisch und tue mir schwer, mich selbst anzuschauen. Die positiven Reaktionen auf den "Tatort" damals haben mich natürlich sehr gefreut. Auch weil es für mich ein harter, langer Weg war, zu dem Punkt zu kommen, wo ich jetzt bin.

STANDARD: Welche Rollen oder Charaktere würden Sie gerne spielen?

Hage: Ich bin privat ein "Art-House-Girlie" (lacht), mein absoluter Lieblingsfilm ist "A Woman Under the Influence" von John Cassavetes. In diese Richtung zu gehen wäre mein Traum. Mir ist menschliches Schauspiel sehr wichtig, und ich möchte Menschen in den Mittelpunkt rücken, die normalerweise unsichtbar sind. (Astrid Ebenführer, 1.3.2024)