Auch am Wochenende pilgerten zahlreiche Menschen zum Grab von Alexej Nawalny, um dort Blumen niederzulegen.
Auch am Wochenende pilgerten zahlreiche Menschen zum Grab von Alexej Nawalny, um dort Blumen niederzulegen.
IMAGO/Artem Priakhin / SOPA Imag

"Helden sterben nicht. Alexej, danke!", steht auf einem Zettel, den einer der Trauernden auf Alexej Nawalnys Grab gelegt hat. Es war ein strahlend schöner Sonnentag in Moskau, der Sonntag. Nach wie vor kamen sehr viele Menschen, die Blumen niederlegen, viele hatten Tränen in den Augen.

Einige trugen Corona-Masken, wohl weniger aus Angst vor Ansteckung als aus Angst vor Überwachungskameras mit Gesichtserkennung. Direkt am Eingang des Borissowskoje-Friedhofs hat man den Kreml-Kritiker beerdigt, und dort soll das Grab auch bleiben, sagt einer der Polizisten, die die Szenerie überwachen.

Blumen über Blumen

Nacheinander betraten die Menschen den Friedhof. Absperrbänder, wie man sie vom Flughafen kennt, leiteten die Trauernden am Grab vorbei. Nawalnys letzte Ruhestätte ist über und über mit Blumen bedeckt. Es ist ein stilles, leises Gedenken, ständig kommen neue Trauernde an, junge und alte. Rufe wie "Nawalny" oder Parolen gegen Putin, wie am Rande der Beerdigung am Freitag, waren nicht zu hören.

Dort skandierten viele "Putin ist ein Mörder!" und "Russland ohne Putin!". Angehörige, Unterstützer und auch Menschenrechtler werfen Wladimir Putin die Ermordung seines Gegners im Straflager vor. Der Kreml dementiert dies.

Höfliche Beamte

Nawalny, so der Eindruck des STANDARD-Reporters, wird zumindest in Moskau nicht so schnell vergessen sein, wie es sich der Kreml wohl erhofft hat. Am Sonntag hielt sich auf dem Borissowskoje-Friedhof die Polizei zurück, die Beamten waren auffallend höflich. Friedhofsangestellte kümmerten sich darum, dass alles geordnet abläuft. Beamte der Nationalgarde beobachteten die trauernden Anhänger Nawalnys. Am Samstag, dem Tag nach der Beerdigung, waren auch seine Mutter und seine Schwiegermutter erneut am Grab des mit 47 Jahren Verstorbenen gewesen.

Nawalnys Team dankte inzwischen den Trauernden. Man betonte nach der Beerdigung, der Kampf der ins Exil geflüchteten Opposition gegen Korruption und Putins Machtapparat würde fortgesetzt werden. Nawalnys Vermächtnis bleibe am Leben, "solange es in Russland und in der Welt Millionen Menschen gibt, denen das nicht gleichgültig ist. Deshalb darf man nicht aufgeben."

Weiterhin ungeklärt sind die genauen Umstände von Nawalnys Tod. Der durch einen Giftanschlag im Jahr 2020 und wiederholte Einzelhaft im Straflager geschwächte Kreml-Kritiker soll bei einem Rundgang im eisigen Gefängnishof zusammengebrochen und trotz Wiederbelebungsversuchen gestorben sein. Zunächst war von "Thrombose" die Rede, dann von "Herzstillstand".

Nach Angaben von Nawalnys Team ist im Totenschein "natürliche Todesursache" vermerkt. Viele westliche Politiker zweifeln das an und fordern eine unabhängige Untersuchung der Todesumstände.

Nein zu Untersuchung

Russland lehnt dies ab. "Die Forderungen nach ‚transparenten, unabhängigen Untersuchungen‘ erachten wir als nichts anders als eine grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes", sagte etwa Aleksandr Wolgarjow, ein Vertreter der russischen OSZE-Mission in Wien. Das österreichische Außenministerium, das eine Untersuchung bilateral nicht gefordert hat, verwies diesbezüglich auf Bemühungen der EU.

Russlands Machtapparat hat die Trauer um Alexej Nawalny wohl unterschätzt. Am Tag der Beerdigung hatte es landesweit Gedenkaktionen gegeben, dutzende Festnahmen waren die Folge. Das Bürgerrechtsportal ovd.info meldete am Sonntagmorgen 105 Festnahmen in 22 Städten, davon etwa allein etwa 20 Festnahmen in Nowosibirsk.

Gerichte in einigen Regionen der Russischen Föderation hätten inzwischen den Namen "Nawalny" als verbotene extremistische Symbolik klassifiziert und auf dieser Grundlage Menschen, die den Namen des Kreml-Kritikers auf Plakate schrieben, zu Verwaltungsstrafen verurteilt, berichten Menschenrechtler. Konkrete Fälle habe es in Tscheljabinsk, Krasnodar, Murmansk sowie Uljanowsk gegeben.

Neue Polizeitaktik

Jetzt hat man wohl die Polizeitaktik geändert, die Polizisten lassen die Menschen gewähren. Allerdings sollen Nawalnys Anhänger an seinem Grab nicht allzu lange trauern. "Sie bitten die Menschen, sich kurz zu verabschieden. Sie sagen nicht Nawalnys Namen, sondern nur ‚der Verstorbene‘, ‚sein Grab‘ und so weiter", berichtet das Onlinemedium TV Rain. (Jo Angerer aus Moskau, 3.3.2024)