Der Parteikongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Bukarest sollte eigentlich ein einig Familienfest für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werden. Mit dieser Absicht treffen einander die christdemokratischen und bürgerlich-konservativen Mitgliederparteien aus allen 27 EU-Staaten und weiteren europäischen Ländern am Mittwoch und Donnerstag in der rumänischen Hauptstadt.

Von der Leyen hat in Berlin bereits angekündigt, dass sie eine zweite Amtszeit anstrebt. Da es beim EVP-Kongress keinen Gegenkandidaten gibt, waren die Weichen für sie bereits im Vorfeld gestellt. Die nationalen EVP-Mitgliedsparteien müssten sie und ein gemeinsames Wahlprogramm – ein EVP-Manifest mit den wichtigsten Wahlzielen – nur noch bestätigen.

Gegen Nuklearenergie

Wie sich beim Parteikongress der europäischen Sozialdemokraten (SPE) am vergangenen Samstag in Rom zeigte, münden diese Parteitreffen, die Aufbruchstimmung für den Wahlkampf signalisieren sollen, in der Regel in einhellige Entscheidungen. So wurde Nicolas Schmit aus Luxemburg von den hunderten Delegierten einstimmig zum gemeinsamen SPE-Spitzenkandidaten gewählt.

Ursula von der Leyen.
Ursula von der Leyen darf sich vorerst nicht über die Unterstützung der ÖVP für das Wahlprogramm der EVP freuen.
EPA/ROBERT GHEMENT

Beim EVP-Kongress zeichnet sich das nicht ab. Denn die Delegation der ÖVP, die von Generalsekretär Christian Stocker angeführt wurde, kündigte in einer Mitteilung bereits zum Auftakt des Kongresses an, dem gemeinsamen Wahlmanifest nicht zustimmen zu wollen. Er begründete dies damit, dass darin einige "rote Linien" überschritten werden, konkret die Zustimmung zur Kernenergie und die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum.

"Wir haben klare Positionen und eine klare Haltung als Volkspartei auch in Europa, dazu stehen wir und dabei können wir auch nicht abweichen", zitiert die APA den ÖVP-Generalsekretär. Österreich könne der Kernenergie nicht zustimmen, "wir sind und bleiben gegen Atomkraft". Er sprach sich auch gegen die im Manifest geforderte Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aus. Zu Rumänien und Bulgarien wiederholte er die von ÖVP-Innenminister Gerhard Karner seit Monaten vorgetragene Linie, dass das "Schengen-System kaputt" sei. Positiv findet Stocker, dass im EVP-Programm der Kampf gegen illegale Migration angesprochen werde.

Von der Leyen brüskiert

Der EVP-Spitzenkandidatin von der Leyen wird die ÖVP ihre Zustimmung wohl nicht versagen. Eine Brüskierung der christdemokratischen Kommissionschefin war das Nein zum Programm allemal. Die EVP-Führung hat das Manifest seit Wochen erstellen lassen, um für ihren Wahlkampf in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten gerüstet zu sein. Dazu gehöre auch das Eintreten für den raschen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien, wie EVP-Präsident Manfred Weber betonte. Das ist der Sinn eines gemeinsamen Wahlprogramms. Im Kern hat es zwei große Schwerpunkte: Stärkung der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit Europas einerseits und Sicherheit in einem umfassenden Sinn andererseits, sei es militärisch oder im Kampf gegen Kriminalität und irreguläre Migration.

Ob im Wahlkampf in einzelnen Mitgliedsstaaten dann andere – abweichende – Akzente gesetzt werden, steht auf einem anderen Blatt. Wie er es mit Spitzenkandidatin und Wahlmanifest hält, wird Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer am Donnerstag zeigen. Er hält neben fast einem weiteren Dutzend Regierungschefs aus der EVP-Familie vor dem Kongress eine Rede. Neben ihm nehmen von der ÖVP auch Europaministerin Karoline Edtstadler und der EU-Abgeordnete und Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (der für das Manifest stimmt), sowie der nationale Spitzenkandidat Reinhold Lopatka in Bukarest teil. In Wien sprach Nehammer von "Unschärfen" im Wahlprogramm. Ob er das vor rund 2.000 Delegierten wiederholen wird, war unklar. EVP-Chef Weber will "die österreichischen Freunde überzeugen". (Thomas Mayer, APA, 6.3.2024)