Zwei Wochen nach den Enthüllungen über die fragwürdige Nähe des Russischen Roten Kreuzes (RRK) zum Kreml steigt der Druck auf die Rotkreuz-Bewegung. "Jetzt ist völlige Transparenz erforderlich", verlangt das schwedische Außenministerium. Man erwarte von der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC), dass jetzt schnell gehandelt werde, sagte ein Sprecher dem STANDARD. Dazu könne auch ein Ausschluss des RRK aus dem Verband gehören.

Das US-Außenministerium erklärte, die Situation genau zu beobachten. Sowohl Schweden als auch die USA gehören zu den wichtigsten Geldgebern der IFRC. Das britische Außenministerium als weiterer wichtiger Spender des Dachverbands der nationalen Rotkreuz-Gesellschaften erklärte, dass seit 2022 keine ihrer Gelder nach Russland geflossen wären. Der deutsche CDU-Politiker Roderich Kiesewetter fordert gar, das RRK zu sanktionieren – so wie es die Ukraine schon vor einiger Zeit getan hat.

Kreml-treue Ableger

Für die Rotkreuz-Bewegung wird der Fall damit immer mehr zur Zerreißprobe. Ein internationaler Rechercheverbund, zu dem auch DER STANDARD gehört, hatte Ende Februar aufgedeckt, wie Wladimir Putin das Internationale Rote Kreuz aus den besetzten Gebieten in der Ukraine verdrängen und durch Kreml-treue Ableger ersetzen will.

Das Russische Rote Kreuz gerät immer mehr in den Fokus internationaler Kritik.
Mart Nigola / Delfi Estonia

Vorstandsmitglieder des RRK unterstützen offen den Krieg gegen die Ukraine. Die vermeintlich neutrale Hilfsorganisation ehrte Rüstungsbetriebe. Und RRK-Präsident Pawel Sawtschuk war mindestens bis vor kurzem in mehreren teils sanktionierten Propaganda-Organisationen aktiv, die Soldaten an der Front mit Wärmebildkameras für Waffen, Tarnnetzen und Geld unterstützen. Seit den Veröffentlichungen verschwanden Hinweise darauf aus dem Internet. Auf Anfrage wollte sich Sawtschuk nicht dazu äußern. Am Telefon verweist er auf das RRK. Das teilte auf STANDARD-Anfrage mit, dass die Veranstaltungen voll und ganz im Einklang mit dem Mandat des Russischen Roten Kreuzes stünden.

Militärische Ausbildung von Kindern

Eine Recherche des STANDARD mit dem britischen "Guardian", der estnischen Zeitung "Delfi", der schwedischen Zeitung "Expressen" und dem osteuropäischen Investigativportal "VSquare" hat indes neue brisante Details ans Licht gebracht. Demnach beteiligt sich das RRK an der militärischen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in Russland. In "militärisch-patriotischen Ferienlagern" hilft die Organisation, "Kinder-Spezialkräfte" auszubilden. Die Kleinen lernen in solchen Camps, sich mit Waffe in der Hand über den Boden zu rollen, und posieren mit Gewehren. Zwischen Kindern in Tarnfarben und Uniform leuchten auf Fotos die roten Westen der Hilfsorganisation. Die jüngsten Teilnehmer sind offenbar gerade einmal acht Jahre alt.

Das Rote Kreuz koordiniert etwa Hilfslieferungen an die Ukraine.
IMAGO/ANE Edition

Im Dezember erst war das RRK an einem Aktionstag auf einem Indoor-Fußballplatz am Rand von Sankt Petersburg beteiligt, bei dem Jungen und Mädchen Schießen simulierten und das Flechten von Tarnnetzen übten. Neben dem RRK war auch die paramilitärische Organisation "Jugendarmee" involviert, die seit Sommer 2022 von der Europäischen Union sanktioniert ist.

Im Jänner schloss das RRK zudem einen Kooperationsvertrag mit dem Jugendzentrum Artek. Das Ziel: "die gemeinsame Durchführung von Projekten im Bereich Bildung und Erziehung", die "auf den staatsbürgerlichen Werdegang von Jugendlichen abzielen".

Der Leiter von Artek organisiert nach Expertenangaben militärische Lager für Kinder, die illegal aus der Ukraine auf die Halbinsel deportiert wurden – deshalb sanktionierte ihn im Juni 2023 die EU.

Vorwürfe werden geprüft

Beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf heißt es: "Das IKRK steht in Kontakt mit den Mitgliedern der Bewegung, insbesondere mit der IFRC, die die Vorwürfe prüft." Die Aktivitäten und Programme, die gemeinsam mit dem RRK durchgeführt würden, entsprächen den Grundsätzen der Rotkreuz-Bewegung. Die IFRC erklärte: "Wir nehmen die Behauptungen sehr ernst." Noch spricht der Dachverband von einer "review" – also einer Überprüfung – der Vorwürfe, nicht von einer Untersuchung. Wer die Anschuldigungen untersucht, verrät die IFRC indes nicht. In einem Statement schreibt die IFRC nur allgemein: "Wir überprüfen jetzt die Vorwürfe." Man sei mit dem RRK in Kontakt. Tatsächlich verschwinden Belege für die Nähe des RRK zu Kreml und Militär regelmäßig aus dem Netz – nur kurz nach entsprechenden Anfragen des STANDARD an die IFRC.

Laut den Statuten des Verbands ist eigentlich das Compliance and Mediation Committee dafür zuständig, einen "potenzieller Integritätsverstoß" zu untersuchen. Gemeinsam mit zwei weiteren Mitgliedern ist es Aufgabe der Vorsitzenden des Gremiums zu prüfen, ob es genügend Beweise für die Vorwürfe gibt. Falls ja, beginnen die Ermittlungen. Dies ist laut IFRC noch nicht geschehen. Die Vorsitzende des Komitees, die Finnin Kristiina Kumpula, bleibt ebenfalls nur vage und erklärte, die IFRC prüfe jetzt. Der STANDARD hat bei allen nationalen Mitgliedergesellschaften des IFRC aus Europa nachgefragt – und keine einzige wollte sagen, wer denn nun genau mit der Prüfung beauftragt sei.

"Transparenz ist ein Schlüsselelement der ethischen Arbeit von humanitären Organisationen", sagt Ilia Shumanov, der Direktor von Transparency International in Russland. Dies gelte auch fürs Rote Kreuz. Wenn Aufklärung zur Geheimsache werde, werfe dies Fragen auf.

Belarussische Organisation suspendiert

Im vergangenen Februar war die IFRC schon einmal mit dem fragwürdigen Verhalten einer Mitgliedsorganisation konfrontiert. Nur kurze Zeit, nachdem bekannt wurde, dass sich das belarussische Rote Kreuz an der Verschleppung ukrainischer Kinder beteiligt hatte, wurde eine offizielle Untersuchung eingeleitet. Wenige Monate später wurde die Organisation aus dem Dachverband suspendiert.

Im Fall des RRK dürfte dies nicht ganz so einfach sein. Die IFRC müsste gegen den nationalen Ableger einer Kriegspartei vorgehen. Sie fürchtet offenbar um den Zugang des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu russischen Kriegsgefangenen, wie es das humanitäre Völkerrecht vorsieht. Russland verweigert diesen zwar bereits weitgehend, der Kommunikationskanal nach Moskau soll aber auf keinen Fall verlorengehen.

Theoretisch könnte indes jede nationale Rotkreuzgesellschaft das zuständige Compliance-Gremium anrufen und so auf einen Ausschluss des russischen Ablegers drängen. Vom Österreichen Roten Kreuz (ÖRK), heißt es dazu lediglich, dass man "sämtliche Anstrengungen zur Aufklärung" begrüße.

Noch nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 überwies das ÖRK 50.000 Euro an das RRK. "Für die Unterstützung der Flüchtenden", heißt es vom ÖRK. Weitere Zusammenarbeit mit dem RRK gebe es nicht.

Es sei nun die Aufgabe der IFRC, den Vorwürfen nachzugehen, sagte eine ÖRK-Sprecherin. Ob man sie auch selbst vorantreibe, will man allerdings nicht verraten. (Jonas Halbe, Carina Huppertz, Frederik Obermaier und Timo Schober, 12.3.2024)