Vögel
Frieda Paris betrachtet in ihrem Gedicht Nachwasser die Welt aus der Perspektive ihres Vögelchen-Ichs.
AFP/AHMAD AL-RUBAYE

Von jungen Vögeln heißt es "sie dichten, wenn sie anfangen zu singen und ihre Stimme mit leisem Gesang versuchen", sagt der Sprach- und Naturforscher Johann Leonhard Frisch (geboren 1666). So junge Vögel, die dichten und guter Dinge schwätzen (im Positiven gemeint) könnten auch das sprechende Ich im Langgedicht Nachwasser (edition Azur, Voland & Quist) ein. Die in Wien schreibende Dichterin Frieda Paris gestaltet damit eine im deutschsprachigen Raum begehrte und wichtige Form der zeitgenössischen Lyrik mit. Was diese besondere Sprechform erlaubt, ist das Hinhören auf den Alltag mit Worten; dorthin, wo Sprache gerade neue Gestalten annimmt; fern des Platzsparens (in Zeichen und Seiten) und einer feststehenden Metrik.

Frieda Paris sagt: Es "ist die entsprechende Form für alles, was nervös ist, zittert oder mehrere Anläufe benötigt, um etwas zu sagen. Für recyceltes Poesiegut. Das lange Gedicht versammelt, allen voran Nachbarschaften." Oder in Worten eines Vögelchen-Ichs in Nachwasser: "Wann höre ich auf, mich auszuschütten?" Das Ausschütten passiert im Text (allen voran) zur "Großen Wortmutter"Friederike Mayröcker hin, wobei sich die Ichs Zwiegespräche über den Tod hinweg erlauben.

Mit leichten Vogelfüßen

"ich schreibe hier alles vom SCHNEIDETISCH, / inmitten von Funden aus meinem ZWEIFELL / und von Funden derer, die ich Wortmütter nenne (Väter eher selten)". Wir dürfen hier zusehen, wie mit der Architektur eines Archivs umgegangen wird, wie Zettelrückseiten Mayröckers "angeordnet" werden (auch als erweiterte Bedeutung von "dichten"), wie Sprache auftritt, sich umzieht, zum Parlando wird, ins Kitschige gerät (ohne Kitsch anzuhimmeln, eher: ihn würdigend), in Fremdtext einkehrt, immer nah an der Quelle, am geistigen Eigentum. Und doch wie in Getrude Steins Landscape Plays immer spielend bleibt, mit leichten Vogelfüßen. "oh Mein Vogel, sei nicht eifersüchtig. dein Nest bei mir ist fest, / ich nehme dich in den Süden mit und bastle dir ein / Schulterschirmchen aus Papier".

Paris’ Sprache hat große Verbindlichkeit, die Dichterin am "Sammelhang" betrachtet jede Art von Material als wichtig: Abschiede, Heuschnupfen, Briefumschläge. Alles darf und kann Quelle sein. Es ist eine beeindruckende Gleichwertigkeit, die der Montage innewohnt; Nachwasser liest sich smooth, während sich in den eigenen Gedanken schon unbemerkt schimmerndes Paris-Vokabular einnistet.

Proben

Wie Frieda Paris bewegt sich Tara C. Meister, Romanautorin und Spoken-Word-Künstlerin, im Umfeld der Wiener Lesereihe Gläserne Texte. Die Plattform ist für beide ein wichtiger Ort für Textbesprechungen und die Begegnung mit anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Proben (Residenz-Verlag) ist Meisters erster Roman, eine Form, "mit der man auskommen muss", "mit den Figuren, dem Umstand, ins Nichts hinein Entscheidungen zu treffen", wie sie sagt. Das Buch hat ein zentrales Thema: Co-Parenting. Ein alternatives Familienmodell, das anhand der Freundschaft von Caro und Johanna erzählt wird.

Caro ist Biochemikerin in einem Wiener Labor, Johanna entwickelt als freischaffende Theaterregisseurin ein Stück, parallel dazu wird ihr Schwangersein erzählt. Die Geburtsszene gegen Ende ist gut gelungen. Caro beschließt, als Elternteil Johanna in ihren neuen Rollen zu begleiten. In kurzen, rhythmisch gearbeiteten Kapitel wechseln die Perspektiven. Die Autorin schafft es, mit dem Kniff der Kleidungs- oder Dekobeschreibung – die ein Auge für das Auftreten eines jungen, zumeist reflektierten Großstadttyps beweist, ohne dabei diesen Typus auszustellen und ihn auf Charakterattribute zu beschränken – ein soziales Milieu zu zeichnen. "Johanna, die schon vieles gewesen war: (...) Pizzalieferantin, Pole-Tänzerin, Mitzi in Schnitzlers Liebelei, Claqueurin, Praktikantin am Burgtheater, Hundesitterin, Studentin."

Bildungsauftrag erfüllt

Der Text ist wirklich gut gearbeitet darin, wie er zu denken gibt, ohne einen offensichtlichen Bildungsauftrag an eine Leserschaft zu formulieren: "Und gibt es dazu auch einen Vater?, fragte die Ärztin den Bildschirm. (...) Es war eine jungfräuliche Empfängnis, erwiderte Johanna und lächelte freundlich."

Weniger glaubwürdig ist, dass Caro und Johanna kaum über künftige Verantwortung und Aufgaben reden. Sie ziehen zusammen, kurz wird ein mögliches Gemeinschaftskonto erwähnt. Neben all den detaillierten Schilderungen fällt auf, dass konkrete Infos fehlen. Es wäre die Chance des Romans gewesen, parallel zu der so schönen Beziehung von Caro und Johanna ein niederschwellig greifbares Bild der unsicheren Rechtslage zu zeichnen. Dass beide eine kritische Distanz zu ihrer Elterngeneration haben, ihnen aber in neun Monaten kein längeres Gespräch miteinander gelingt, ist verwunderlich. (Helene Proißl, 17.3.2024)