Toxische Pommes
Trotz hoher Integrations- und Leistungsbereitschaft fühlt sich ihre Romanfigur innerlich tot: Toxische Pommes.
Muhassad Al-Ani

An einem schwülen Freitagnachmittag beschloss ich, unter meinem Schreibtisch ein Bett zu bauen. Mein Chef war in einer Besprechung, und die Kollegin, mit der ich das Büro teilte, hatte sich den Tag freigenommen. Ich war müder als sonst – vermutlich lag das an dem Burger, den ich in der Mittagspause verschlungen hatte (freitags war in der Kantine Burgertag). Während ich versuchte, so weit wie möglich in das verpixelte Foto zu zoomen, um herauszufinden, ob die inserierte Prada-Tasche auf Willhaben.at auch wirklich echt war, nickte ich fast ein.

Improvisiertes Bett

Das fettige Rindfleisch in meinem Magen ließ mich an keinen vernünftigen Grund denken, warum ich den Raum unter meinem Bürotisch nicht endlich für etwas Sinnvolles nutzen sollte. Ich fing daher an, zwischen Staubkugeln und Computerkabeln auf dem Parkettboden einen Kopfpolster aus gelben Kodizes und Papierzetteln zu bauen. Davon stapelten sich in meinem Zimmer mehr als genug – um den Anschein der Vollbeschäftigung zu vermitteln, druckte ich in regelmäßigen Abständen willkürlich ausgewählte Dokumente aus, die ich dann nie wieder anschaute. Ich glitt von meinem Bürosessel und kauerte mich unter den Tisch in mein improvisiertes Bett. Ich musste etwas an meinem Leben ändern.

Ich war Vertragsbedienstete in einer Behörde, die offenbar wichtig genug war, um in einem schönen Altbaugebäude in der Wiener Innenstadt untergebracht zu sein. Man betrat das Foyer durch ein großes hellblaues Eisentor, das zwei imposante griechische Säulen flankierten. Dort wurde man von einem lebensmüden Portier empfangen, den man mit einem selbstbewussten "Mahlzeit" (idealerweise im Wiener Dialekt ausgesprochen) davon abhalten konnte, lästige Fragen zu stellen. Ich war mir sicher, dass man es mit diesem Losungswort sogar bis ins Büro des österreichischen Bundespräsidenten schaffen konnte.

Mittelalterlicher Folterkäfig

Das Foyer führte in ein marmornes Stiegenhaus, in dessen Mitte sich ein hölzerner Lift befand, der mehr an einen mittelalterlichen Folterkäfig als an einen Fahrstuhl erinnerte. Er hatte beide Weltkriege überlebt und blieb mehrmals am Tag stecken, was jedoch keinen der tüchtigen Beamten davon abhielt, ihn für jeden Amtsweg zu nutzen, der ein Stockwerk überstieg. Vom Erdgeschoss kam man zuerst in den ersten Halbstock, dann in den zweiten Halbstock, dann ins Zwischengeschoss, dann ins Mezzanin, bis man endlich im ersten Stock landete, wo sich mein Büro befand.

Was man im Foyer an Kosten nicht gescheut hatte, wurde bei den Zimmern der Beamten wieder eingespart. In der Mitte des kahlen Raumes befanden sich zwei Bürotische, die so positioniert waren, dass man einander gegenübersaß, während man acht Stunden am Tag um die Wette daran arbeitete, sein Leben wegzuschmeißen. Die Wände zierten lediglich ein paar leere senfgelbe Pinnwände und eine Uhr, die 47 Minuten vorging und so weit oben aufgehängt war, dass man eine Leiter gebraucht hätte, um sie richtig einzustellen. Die gab es jedoch nur beim technischen Dienst, den man wiederum nur im Wege eines Anforderungsscheins rufen konnte, der zuerst wochen- und monatelang durch mehrere Hierarchien gehen musste, um letztendlich bewilligt zu werden. Darauf hatte natürlich niemand Lust, und so ließ ich mich lieber jeden Tag von der Wanduhr enttäuschen, die mir vorgaukelte, meine Arbeitszeit wäre bereits um.

Meine Zimmerkollegin war Mitte zwanzig, hatte eine zarte Stimme und eine feine schwarze Hornbrille aus der "Brillenmanufaktur", wie sie gerne betonte. Sie wirkte stets bestens gelaunt. Obwohl wir ähnliche Aufgabenbereiche hatten, war sie jeden Morgen vor mir im Büro und ging jeden Abend nach mir. Sie schien offenbar genug zu tun zu haben, um mit ihren kleinen kräftigen Fingern von früh bis spät freudig-munter in die Tastatur zu tippen, während ich mich durch jeden Tag quälte, bis ich endlich pünktlich um 17.00 Uhr (oder eher 17.47 Uhr) am Schalter ausstechen konnte.

Designertaschen

Meine restlichen Kollegen sah ich in der Regel zweimal am Tag: einmal um zwölf Uhr zum gemeinsamen Mittagessen im Besprechungszimmer und einmal um 10.30 Uhr, wenn sie gegenseitig an ihre Türen klopften, um zu fragen, wer am gemeinsamen Mittagessen teilnehmen würde. Der wesentliche Zweck dieser Zusammenkünfte bestand darin, die Speisen des jeweils anderen zu bewerten: Selbstgekochtes wurde hoch gelobt, sofern es Safransauce oder ähnlich hochwertige Zutaten enthielt. Alles, was in zu viel Plastik verpackt oder nicht zumindest von "Ja! Natürlich" war, wurde kritisch beäugt. Wer sich nur ein kleines Weckerl vom Supermarkt geholt hatte, erntete hingegen ehrfürchtige Blicke. Zu groß war der Respekt (und die Angst) vor den Beamten, denen vor lauter Arbeit nicht einmal die Zeit für ein ordentliches Mittagessen blieb. Sie gehörten zu den wenigen, welche die Behörde am Leben erhielten, und waren der Grund, warum den anderen ausreichend Zeit blieb, um nach einer ausgiebigen Mittagspause wieder an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren und auf Facebook Familienfotos zu sortieren.

Nicht nur meine Zimmerkollegin, auch alle anderen Mitarbeiter waren sehr nett: Montags fragten sie, wie man das Wochenende verbracht hatte, und freitags, was man am Wochenende vorhatte. Wer nach einem längeren Krankenstand wieder ins Büro kam, wurde mit freudigen Willkommensgrüßen empfangen und liebevoll nach seinem gesundheitlichen Zustand ausgefragt. Das war natürlich ein bisschen unangenehm, wenn man seinen Krankenstand nur vorgetäuscht hatte, doch auch nicht weiter schlimm, denn mit dem Konzept des E-Card-Urlaubs war hier jeder bestens vertraut. Immer wieder stellte jemand einen Marmorkuchen oder eine Packung "Merci" zur freien Entnahme in die Gemeinschaftsküche, und es gab eine große Auswahl an bunten Tassen mit lustigen und frechen Sprüchen. Vorsicht war allerdings bei einer großen schwarzen Tasse mit der Aufschrift "Bevor ich mich jetzt aufrege, ist es mir lieber egal" geboten. Sie gehörte der Chefassistentin. Wer dabei erwischt wurde, seinen Morgenkaffee aus dieser Tasse zu trinken, und sei es aus Versehen, wurde den restlichen Tag über mit kleinen passiv-aggressiven Vergeltungsakten bestraft.

Auf der Jagd nach Designertaschen

Meine Tage begannen für gewöhnlich mit einer ausgiebigen Internetsuche nach Designertaschen und anderen gebrauchten Gegenständen, die ich nicht benötigte. Dies hielt mich jedoch nie davon ab, die Verkaufspreise endlos herunterzuhandeln, nur um dann irgendwann einmal nicht mehr auf die Nachfragen der Inserenten zu reagieren. Zwischen diesen Nachrichten steuerte ich immer wieder zur Toilette am Ende des Gangs, um mir eine kleine Pause von den anstrengenden Verhandlungsrunden zu gönnen. Die Toiletten waren immerhin die spannendsten Orte im Haus: Nicht nur traf ich dort hin und wieder auf die einzigen anderen migrantischen Mitarbeiter auf meinem Stockwerk. Am Klo starrte ich auch gerne so lange auf die schriftlichen Anleitungen an der Wand, die in fünfzehn verschiedenen Sprachen erklärten, wie man die Toiletten korrekt benutzt, bis jeder einzelne Tropfen Wasser aus mir draußen war, den ich zuvor aus Langeweile zu mir genommen hatte.

Besonders schlimm waren die Sommertage. Nicht nur, weil sich das Bürozimmer auf ungefähr fünfzig Grad Celsius erhitzte, sondern auch, weil mir an diesen Tagen am deutlichsten bewusstwurde, wie sehr ich diesen Job hasste. Während ich mir vorstellte, wie andere in der Alten Donau schwammen, sich auf dem Steg sonnten, ein "Brickerl" von der Imbissbude aßen und unvergessliche Erinnerungen mit ihren Freunden schufen, saß ich auf einem unbequemen grauen Bürosessel, der die stillen Fürze unzähliger Beamter konserviert hatte, die hier vor meiner Zeit an ihrem Bandscheibenvorfall gearbeitet hatten.

Buchcover
Es handelt sich bei diesem Text um einen Vorabdruck aus: Toxische Pommes, "Ein schönes Ausländerkind". Roman. € 23,70 / 208 Seiten. Zsolnay, Wien 2024
Zsolnay Verlag

Doktortitel und Schlafprobleme

A hyperrealistic photograph of a taxidermied baby lamb staring into the void. Ich weiß nicht, wie ich an diesen Punkt gekommen war. Ich hatte doch immer alles richtig gemacht. Ich hatte meinen Teil des Integrationsversprechens eingehalten. Ich hatte den Ausländer in mir erfolgreich wegintegriert. Ich war weiß, christlich und aß gerne Schweinefleisch. Ich hatte immer nur gelernt oder gearbeitet, war nie krank gewesen, hatte ein Semester unter Mindestzeit studiert, einen Doktortitel und Schlafprobleme, seit ich fünfzehn war.

Ich war nie viel fortgegangen, hatte nie einen Freund mit nach Hause genommen oder andere Schwierigkeiten gemacht. Während meine Schulkameraden ihre Nachmittage im Park mit Dosenbier und selbstgerollten Zigaretten verbracht hatten, war ich lieber zu Hause geblieben, um über meinen Schulbüchern zu brüten. Die einzige Abwechslung war das tägliche Schwimmtraining im Hallenbad gewesen; für Olympia hatte es zwar nie gereicht, dafür aber zumindest für die österreichischen Staatsmeisterschaften. Ich hatte immer die richtigen Entscheidungen getroffen. Ich hatte Schulen besucht, in denen ich das einzige Ausländerkind gewesen war. Ich hatte sogar Rechtswissenschaften studiert, das ideale Studium für leidenschaftslose Menschen, die sich in ihrem Leben nichts verbauen wollten. Ich hatte eine Mitgliedskarte für das Fitnesscenter, trug helle Blusen und lackierte meine Fingernägel in sanften Pastelltönen. Ich beteiligte mich zwar an Wahlen, doch weil ich so beschäftigt war, vergaß ich manchmal auch einfach hinzugehen. Das machte aber nichts, ich hatte sowieso gelernt, mich über nichts aufzuregen und nichts zu verlangen. Lieber zahlte ich in Frieden meine Steuern und hatte einfach keine Meinung. Außerdem wollte ich meine Zeit nutzen, um zu beweisen, dass ich es auch wirklich verdient hatte, in Österreich zu leben.

Einvernehmliche Kündigung

Und das hatte ich. Ich hatte es geschafft. Ich hatte alles erreicht, wofür meine Eltern und ich ein Leben lang hart gearbeitet hatten. Ich war perfekt. Ich war Vertragsbedienstete in einer angesehenen Behörde im ersten Wiener Gemeindebezirk. Und einen besseren Arbeitgeber als den österreichischen Staat konnte man sich nicht vorstellen: ein sicherer Job, auch in unsicheren Zeiten, feste Gehaltsstufen und klare Hierarchien. Ich hatte genug Geld, um mir gebrauchte Designertaschen zu kaufen und in Therapie zu gehen, wo ich jede Woche von einem anderen Problem erzählen konnte, das mich eigentlich kaum beschäftigte. Und trotz alledem fühlte ich mich innerlich tot.

Wenige Wochen nach meinem Bettenbauprojekt unter dem Tisch endete mein Arbeitsverhältnis. Irgendwie war auch zu meinem Chef durchgedrungen, dass ich in Wirklichkeit nicht arbeitete. Wir einigten uns auf eine einvernehmliche Kündigung. (Toxische Pommes, 16.3.2024)