Novak Djokovic beim Australian Open Day im Jänner 2024.
Novak Djokovic beim Australian Open Day im Jänner 2024. Er gehört zu den Besten seines Faches.
IMAGO/Cal Sport Media

Wie so oft begann alles im Wasser. Als 2019 die International Swimming League (ISL) gegründet wurde, verzichtete man auf das Attribut "super" – und doch war es irgendwie mitgemeint. Das Format wollte den Schwimmsport vor allem ins Spektakel hieven. Es sollte ein Teamwettbewerb der Besten der Besten sein, losgelöst von Nationalitäten, schnelle, spektakuläre Action samt Lichtshow und lauter Musik. Jedenfalls etwas ganz anderes, als sich da über Jahrzehnte unter dem Mantel und den Vorgaben des internationalen Fachverbands zu dem entwickelt hat, was man sich gemeinhin unter dem Schwimmsport vorstellt.

Ausgedacht hat sich die ISL der ukrainische Oligarch Konstantin Grigorishin. Mit dabei waren Österreichs Aktive Caroline Pilhatsch und Felix Auböck. Grigorishin hatte laut Auböck "die Vision, eine Liga aufzuziehen, die sich an den großen amerikanischen Sportligen orientiert". Infolge des russischen Angriffskriegs und wegen ausständiger Zahlungen für die Athletinnen und Athleten wurde das Projekt 2022 vorerst nicht fortgeführt.

Messen der Besten

Es wäre vermessen, die ISL als Vorreiter zu bezeichnen. Und doch trug ihre wilde Umsetzung eine Idee fort, die sich in anderen, weit populäreren Sportarten festsetzte: die Idee der Super League. Nach dem Schwimmen verfielen ihr Tennis, der Radsport, Golf und der Skisport. Für die größte Aufmerksamkeit sorgte aber natürlich wieder einmal der Fußball. 2021 kündigten viele der umsatz- und einnahmenstärksten europäischen Fußballvereine ihre Pläne für einen Wettbewerb namens "The Super League" an. Ein Motto wurde ausgerufen: "The best clubs. The best players. Every week." "Die besten Klubs. Die besten Spieler. Jede Woche." Der Überraschungseffekt war groß. Ebenso der Schock.

Die Pläne in den unterschiedlichen Sportarten unterscheiden sich in Nuancen, und doch geht es bei den Super Leagues prinzipiell um Abspaltung. Die Besten der Besten wollen unter sich sein, der elitäre Kreis soll sich schließen, weg mit dem Mittelstand, dem Unterbau, weg mit den TSV Hartbergs und Sebastian Ofners dieser Welt. Sie dürfen im Hof spielen, aber bitte nicht mit den Großen.

Das Warum ist vordergründig, wenn auch oberflächlich, ökonomischer Natur. Man erhofft sich mehr kontinuierliche Aufmerksamkeit in einer Industrie, in der Aufmerksamkeit auch immer Einnahmen generiert. Zuschauerzahlen, TV-Gelder, Merchandising, Medienpräsenz – das sind die Kennzahlen, die zählen. Die Idee, dass sich immer nur die Besten mit den Besten messen, klingt verlockend. Es wäre so einfach, wären da nicht die Strukturen.

Zählt auch zu den Besten seines Faches: Kylian Mbappé.
REUTERS/Vincent West

Deutungshoheiten

Der Sport ist weltweit in Verbände gegliedert, sie haben die Deutungshoheit, entscheiden, was gut, was recht und was weniger gut und was unrecht ist. Die Sportverbände, egal ob überkontinental wie im Fußball die Fifa, überregional wie die Uefa oder im Kleinen die Nationalverbände, richten Wettbewerbe aus, bestimmen Regeln für ebendiese und greifen ineinander. Einnahmen werden verteilt, die Schlüssel sind unterschiedlich, dennoch sollen auch die vermeintlich Kleineren etwas vom Kuchen haben. Will man mitspielen, muss man dabei sein.

Die Super Leagues wollen sich davon lösen, sie stehen quasi immer auf Kriegsfuß mit dem Verbandssystem. Das wirkt zuerst einmal finanziell unsolidarisch, ist es wohl auch. Und doch geht es dabei auch um Macht, um die Macht zu bestimmen. Die Umverteilung juckt die Großen zumeist nicht unbedingt, viel spannender ist es da schon, die Regeln für Wettbewerb, Mitgliedschaft und Co selbst bestimmen zu können.

Aber wer sind diese Großen? Wer ist die Elite, wer sind die Big Player, und wie wird man einer? Sport ist im Prinzip deppensicher: Derjenige, der am schnellsten läuft, ist der Erste im Ziel, also der Beste. Der Verein, der die meisten Tore erzielt, gewinnt (meistens) den Pokal. Es ist das ultimative Leistungsprinzip, so darwinistisch und hart das klingt. Und doch kann man es auch hier mit Matthäus halten. Nein, nicht mit dem Ex-Fußballer von Bayern München, sondern dem Evangelisten. Der Matthäus-Effekt in der Soziologie beschäftigt sich mit Erfolg. Er besagt, dass den Erfolgreichen mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit zuteil wird als den nicht Erfolgreichen – und dass die Erfolgreichen damit noch erfolgreicher werden. "Wer hat, dem wird gegeben." Oder: "Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu." Oder: Der Teufel, nun ja, trägt immer zum größten Haufen bei.

Ein Forscher, eine Forscherin mit guten Ergebnissen bekommt mehr Forschungsgelder und kann damit weiter bessere Ergebnisse liefern. Oder ein Verein, der viele Titel geholt hat, bekommt mehr Aufmerksamkeit, mehr Präsenz und mehr Zuwendung und wird dadurch immer noch erfolgreicher. Oder eine Tennisspielerin, die schon ein paar Grand-Slam-Turniere gewonnen hat, ist in der Setzliste höher, trifft zunächst auf leichtere Gegnerinnen, hat es leichter, Sponsoren zu finden, Trainingsbedingungen zu verbessern und sich in den vorderen Rängen der Weltrangliste zu halten. Der Kreis schließt sich zusehends, grenzt sich vom Misserfolg ab.

Für Wolfang Schluchter kam die Anfrage des STANDARD überraschend. Bislang wollten wohl nicht viele Sportressorts österreichischer Tageszeitungen mit dem deutschen Soziologen über sein Spezialgebiet sprechen. Der 85-Jährige hat sich in seiner Karriere vor allem mit den Theorien von Max Weber (1864–1920) beschäftigt, gilt als führender Experte. Aber was haben Novak Djokovic, Mikaela Shiffrin, Real Madrid oder Radstar Tadej Pogacar mit Max Weber am Hut? Ist das nicht wahnsinnig weit hergeholt? Schluchter verneint: "Das passt eigentlich ganz gut da rein." Dabei geht es um Webers Konzept zu offenen und geschlossenen Beziehungen, sie sind Teil der soziologischen Grundbegriffe, beschreiben laut Schluchter "Konstellationen in sozialen Verhältnissen".

Mikaela Shiffrin auf Skiern
Auch im Skisport gibt es Diskussionen um eine Super League. Mikaela Shiffrin gilt als die erfolgreichste Skifahrerin in der Weltcupgeschichte.
AFP/FABRICE COFFRINI

Innere und äußere Schließung

Bei den Super-League-Vorhaben kommt konkreter die Theorie der inneren und äußeren Schließung zur Anwendung. Schluchter erklärt das Wort Schließung: "Wenn eine bestimmte Gruppe, das können Organisationen oder ganze Gesellschaften sein, den Zugang reguliert und damit Abgrenzung schafft." Das sei vor allem dann der Fall, "wenn bestimmte Personengruppen ein Interesse an Monopolisierung haben". Und in weiterer Folge versuchen, den Zugang zu "Ressourcen für andere zu begrenzen und sich genau diese anzueignen". Eine Schließung ist in der Regel ein Versuch, die Qualität zu erhöhen, mehr Prestige zu akkumulieren und die, ja natürlich, ökonomischen Gewinne zu steigern. Bingo.

Dass sportliche Wettbewerbe ohnehin geschlossene Räume sind (es gibt klare Qualifikationsmerkmale), ist den Super-League-Fans offenbar nicht genug.

Noch stecken die Ideen zu den superen Ligen in den Kinderschuhen, wurden wieder verworfen, sind noch unausgegoren oder dienen in ihrer Kommunikation vor allem dazu, Druck auf das Verbandsestablishment auszuüben. Oder anders: Aktuell gibt es in den populärsten Sportarten des Planeten keine Liga der außergewöhnlich Erfolgreichen. Die Frage der Sinnhaftigkeit kann man für sich selbst entscheiden. Aus reiner, egoistischer Konsumsicht selbstverständlich. Denn vielleicht ist es das Duell zwischen Klein und Groß oder, um biblisch zu bleiben, David gegen Goliath, das den Reiz des Sports ausmacht. (Andreas Hagenauer, 24.03.2024)