"3 Body Problem", Plakat.
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Das Erstaunlichste an der Welt sei, dass man sie verstehen kann, bemerkte einst der Jahrhundertphysiker Albert Einstein. Dass wir heute ein gewisses Verständnis beanspruchen dürfen, verdanken wir einem Zufall: Als der deutsche Astronom Johannes Kepler die Bewegungen der Planeten studierte, fielen ihm seltsame Regelmäßigkeiten auf. Kepler kam zum Schluss, dass sich die Planeten auf Ellipsenbahnen bewegten – und stellte sogar Regeln für ihre Geschwindigkeiten auf. Damit begann eine wissenschaftliche Revolution, deren Auswirkungen zu der technoiden Welt führten, in der wir heute leben.

Dass Kepler damit recht hatte, ist in mehr als nur einer Hinsicht erstaunlich. Kepler lebte im frühen 17. Jahrhundert zur Zeit der Gegenreformation und verdiente sein Geld als Sterndeuter. Früher, als er noch in Graz tätig gewesen war, hatte er unter anderem behauptet, dass die Planeten wie Akkorde eines Musikinstruments nach musikalischen Prinzipien geordnet waren.

Kepler glaubte unerschütterlich an eine tiefere Ordnung der Welt. Erfolg hatte er nur, weil er für seine Studien das einfachste und geordnetste System wählte, das die Physik kennt: die Bewegung zweier Himmelskörper im leeren Raum, die einander mittels Schwerkraft anziehen. Dort fand Kepler seine tiefsten Wünsche in Form einer nach mathematischen Prinzipien funktionierenden Welt erfüllt. Doch es handelt sich um einen Spezialfall, bereits das Hinzufügen eines dritten Körpers führt geradewegs ins Chaos, das nicht einmal mehr Supercomputer aufzulösen imstande sind.

Ein Trailer der neuen Netflix-Serie, nicht zu verwechseln mit der deutlich umfangreicheren chinesischen Verfilmung.
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Chinesische Vorlage

Von genau diesem System aus drei Körpern handelt die neue Fantasyserie der Macher von "Game of Thrones". "3 Body Problem" basiert auf den preisgekrönten Science-Fiction-Romanen des chinesischen Autors Liu Cixin. Eine zentrale Rolle spielt darin (Vorsicht, ein Minimum an Spoilern ist unvermeidbar!) ein Sternensystem, das nicht aus einer, sondern aus drei Sonnen besteht, um die ein Planet irrt.

Und das führt, wie bereits erwähnt, zu chaotischen Zuständen, aus denen die Erzählung ihren zentralen Konflikt schöpft. Für die dort lebende Zivilisation bedeutet das zahlreiche Probleme: Der Planet ist manchmal zu nahe, manchmal zu weit entfernt von seinen Sonnen – und läuft Gefahr, irgendwann mit einer davon zu kollidieren.

Das wissenschaftliche Fundament hinter diesem Szenario wird Dreikörperproblem, im Englischen "three body problem", genannt und beschäftigt die Physik seit Jahrhunderten. Nachdem sich die Besten ihrer Zeit im 18. Jahrhundert die Zähne ausgebissen hatten, stellte der französische Mathematiker Henri Poincaré gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine teilweise Lösung vor, die ihm ein Preisgeld des Königs von Schweden einbrachte. Doch Poincaré entdeckte einen Fehler in seiner Rechnung und erkannte, dass alle geordneten Bahnen schon bei kleinsten Abweichungen chaotisch werden.

Hier kippt die geordnete Bewegung eines Dreikörperproblems aufgrund winziger Abweichungen langsam ins Chaos.
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Inbegriff von Chaos

Damit begründete er das Gebiet der Chaostheorie, und das Dreikörperproblem wurde zum Inbegriff von chaotischem Verhalten. Warum es sich so verhält, lässt sich mit dem etwas in die Jahre gekommenen Bild des Schmetterlingsflügels illustrieren, der auf der anderen Seite der Erde einen Taifun auslösen kann. Eine stabile Bahn zu finden, ähnelt dem Versuch, eine Nadel auf ihrer Spitze zu balancieren. Wohin sie fällt, wird von winzigen Ungleichgewichten bestimmt.

Mit etwaiger spukhafter Quantenphysik, die sonst für alles Komplizierte in der modernen Physik verantwortlich zu sein scheint, hat das im Übrigen nichts zu tun. Es folgt rein aus einer genauen Analyse der jahrhundertealten Gravitationsphysik Newtons.

"Three Body Problem"-Autor Liu taucht mit seiner Geschichte in diese theoretischen Untiefen der Physik ein, weshalb sein Buch zur "Hard"-Science-Fiction gezählt wird. Das bedeutet nicht automatisch, dass das Szenario besonders realistisch ist. Das bestätigt auch Liu in einem Interview, worin er zugibt, dass bisher kein Planetensystem bekannt ist, das tatsächlich chaotische Bewegung zeigt. Er gibt an, ihn habe eine theoretische Abhandlung über das Dreikörperproblem zu der Geschichte inspiriert.

Stabile Bahnen um drei Sonnen

Reale Sternensysteme aus drei Sonnen können sehr wohl Planeten auf stabilen Bahnen besitzen. Ein Beispiel ist ausgerechnet Alpha Centauri, um das sich auch Lius Geschichte und die Serie drehen und das mit etwa vier Lichtjahren Entfernung der Erde von allen Sternensystemen am nächsten liegt. Die Voyager-1-Sonde würde für diese Entfernung mit ihrer derzeitigen Geschwindigkeit nur einige Zigtausend Jahre brauchen. Es besteht aus zwei sonnenähnlichen Sternen und einem Roten Zwerg. Letzterer besitzt mehrere bestätigte Planeten auf stabilen Bahnen, von denen einer sogar in der habitablen Zone liegt, sodass es dort flüssiges Wasser und unter Umständen auch Leben geben könnte.

Möglich ist diese Stabilität der Planetenbahnen des Alpha-Centauri-Systems dank der relativ großen und ungleichen Abstände der Sterne zueinander. Vor allem der Rote Zwerg ist so weit entfernt, dass seine Planeten vom Einfluss der anderen beiden Sterne wenig gestört sind.

Doch es gibt Sternensysteme, in denen die Sterne vergleichbare Massen und ähnliche Abstände zueinander haben. Diese Systeme verhalten sich tatsächlich chaotisch und haben eine begrenzte Lebenszeit, bevor sie in einer Katastrophe enden, wie eine Studie im Fachjournal "The Astrophysical Journal" nahelegt. Das in der Serie beschriebene Sternensystem ähnelt eher einem solchen "Trapezium"-System als Alpha Centauri. Hier sind es allerdings die Sterne, die sich chaotisch bewegen.

Eine Aufnahme von Alpha Centauri mit einem optischen Teleskop, rechts oben eine Röntgenaufnahme, die die beiden größeren Sterne des Dreifachsystems zeigt.
Optical: Zdenek Bardon; X-ray: NASA/CXC/Univ. of Colorado/T. Ayres et al.

12.000 einzelne Lösungen

Die Serie dreht sich unter anderem um die Suche nach einer allgemeinen Lösung für das Problem. Doch sie ist selbst für eine überlegene Zivilisation unerreichbar. Möglich sind nur Teilergebnisse in Form spezieller Lösungen für geschlossene Bahnkurven. (Eine besonders schöne Kollektion von Lösungen findet sich etwa auf Wikipedia.)

2013 wurde, nachdem es über Jahrhunderte kaum Fortschritte gab, eine ganze Reihe neuer Lösungen entdeckt. Seither kam wieder Bewegung in das Forschungsfeld. Erst im Februar 2024 erschien eine Studie im Fachjournal "Celestial Mechanics and Dynamical Astronomy", die 12.000 neue Lösungen des Dreikörperproblems präsentierte. Eine allgemeine Lösung rückt damit dennoch nicht näher. Eine solche ist nur als Summe unendlich vieler, immer kleiner werdender Formeln darstellbar.

Drei Schwarze Löcher

Dass das Chaos des Dreikörperproblems nicht nur pure Theorie ist, zeigt eine andere spektakuläre astronomische Entdeckung. Eine sonderbare Spur von Sternen knapp außerhalb einer fernen Galaxie entzog sich allen Erklärungen, bis Forschende herausfanden, dass hier ein supermassives Schwarzes Loch aus seiner Heimatgalaxie herausgeschleudert wurde und einen Schweif aus Sternen hinterlässt, die aus verdichtetem interstellarem Gas entstanden. Es muss sich um ein riesiges Dreikörpersystem aus drei supermassiven Schwarzen Löchern im Zentrum der Galaxie gehandelt haben, die in chaotische Bewegung verwickelt waren, bis eines davon einen so starken Impuls bekam, dass es seine Galaxie für immer verließ.

Wenn also nach einer Saga über Ritter, Königinnen und Drachen eine Hard-Science-Fiction-Serie nach chinesischem Vorbild das nächste große Ding auf dem Serienmarkt werden soll, dann bestätigt das ein Zitat aus der Serie: dass die Zukunft nicht mehr so weit entfernt ist, wie sie es einmal war. Wir verdanken es nicht zuletzt Johannes Keplers unerschütterlichem Glauben an eine verborgene Ordnung der Welt. (Reinhard Kleindl, 31.3.2024)