Ein Polizist auf dem Roten Platz.
Der Rote Platz vor der Kreml-Festung in Moskau.
EPA/MAXIM SHIPENKOV

Nach einem Bericht der US-Zeitung "Washington Post", der sich auf geheime Kreml-Dokumente beruft, haben russische PR-Strategen und ihre sogenannten Trollfabriken (oder Trollarmeen) im Vorjahr in tausenden Artikeln, Social-Media-Postings und Kommentaren einschlägige Falschnachrichten verbreitet.

Die Fake News sollen darauf abgezielt haben, in der US-Bevölkerung Ressentiments gegenüber der Ukraine zu schüren. Konkret dürfte das so erfolgt sein: Dem Kreml nahestehende PR-Experten trugen den Angestellten von Trollfabriken auf, sich in Kommentaren als "Bewohner von US-Vorstädten" auszugeben, und machten Vorschläge für emotionalisierende Botschaften.

Die Mitarbeiter sollten kurze Kommentare und Postings in sozialen Netzen platzieren, in denen so ein vermeintlicher US-Vorstädter "die US-Militärhilfe für die Ukraine nicht unterstützt und der Ansicht ist, dass das Geld für die Verteidigung der amerikanischen Grenzen und nicht der ukrainischen ausgegeben werden sollte". In anderen Postings sollte beklagt werden, dass Obdachlose in den USA das Geld besser gebrauchen könnten oder dass "Bidens Politik die USA in den Zusammenbruch führt“. Das geht aus den von der "Washington Post" eingesehenen rund 100 Dokumenten, die den Zeitraum von Mai 2022 bis August 2023 abdecken, hervor.

Die Desinformationskampagne erinnert an ähnliche russische Versuche der Einflussnahme in Frankreich, Deutschland und die jüngste Enttarnung des Propagandanetzwerks Voice of Europe. Zwei in der Ukraine geborene prorussische Geschäftsleute und Politiker, Viktor Medwedtschuk und sein enger Mitarbeiter Artem Marchewski, spielten in deren Aufbau eine zentrale Rolle. Nach Kriegsbeginn in der Ukraine festgenommen, kam Medwedtschuk im Zuge eines Gefangenenaustauschs frei und verlor die ukrainische Staatsbürgerschaft.

Stimmung gegen Waffenlieferungen

In den USA geht es den russischen Spindoktoren laut dem Bericht in erster Linie offenbar darum, Stimmung gegen die US-Waffenlieferungen an die Ukraine zu machen. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 hat die Regierung unter Präsident Joe Biden militärische Hilfe im Umfang von mehr als 44 Milliarden US-Dollar für Kiew bereitgestellt. Die vom Kongress für die Ukraine genehmigten Mittel sind nach Angaben der US-Regierung allerdings aufgebraucht.

Biden versucht seit Monaten, weitere Hilfen in Milliardenhöhe durch den US-Kongress zu bringen. Doch Abgeordnete vom rechten Rand der Republikaner, die seit etwas mehr als einem Jahr die Kontrolle im Repräsentantenhaus innehaben, verhindern das. Derzeit versucht der vergleichsweise gemäßigte republikanische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, Ukraine-Hilfen in veränderter Form durchzubringen. Doch die Trump-Rebellen in seiner Fraktion drohen damit, ihn aus dem Amt zu jagen. "Für Russland ist es die oberste Priorität, die Waffen zu stoppen", wird ein Republikaner anonym in der "Washington Post" zitiert. Demnach würden die russischen Spindoktoren alles Mögliche verbreiten, in der Hoffnung, dass irgendetwas davon bei US-Bürgern hängenbleibt.

Nachrichten auf Truth Social

Mike Turner, seines Zeichens der Vorsitzende des Intelligence Committees im Repräsentantenhaus, sagte zuletzt auf CNN, dass es "absolut wahr" sei, dass die republikanische Partei von prorussischer Propaganda infiziert sei, wie es kürzlich schon ein mächtiger Parteikollege ausdrückte. "Ich denke, dass die russische Propaganda leider ihren Weg in die Vereinigten Staaten gefunden hat und einen großen Teil der Basis meiner Partei infiziert hat", sagte der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Repräsentantenhaus und texanische Republikaner Michael McCaul schon vor ein paar Tagen.

Ein wichtiger Teil der Strategie ist es dabei auch, Ängste hinsichtlich mangelnder Sicherheit an den Grenzen (in den USA wie Europa) sowie rassistische und soziale Ressentiments zu schüren und auf eine außenpolitische Isolation der USA zu pochen. Außerdem soll der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als korrupt dargestellt und die Zahl der Migranten an der US-Südgrenze hervorgehoben werden. "Weiße" US-Bürger sollten sich als Verlierer der US-Außenpolitik fühlen – eine Parallele zu den Ansichten extrem rechter Trump-Republikaner. Laut den Dokumenten hätten die russischen PR-Strategen zudem die Social-Media-Plattform Truth Social, die von Trump gegründet wurde, für die Verbreitung ihrer Falschnachrichten bevorzugt.

Der Politologe Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck erklärte die russische Strategie der Beeinflussungsversuche kürzlich vor Journalisten ähnlich. Immer wieder säe Moskau die Idee, dass man das Geld, das man für die Ukraine-Unterstützung verwendet, anders doch besser ausgeben könnte, etwa für den Sozialstaat. Das sei ein wiederkehrendes Element, ähnlich der Angst vor einem dritten Weltkrieg, die geschürt wird. Russlands These: Das kommt euch am Ende noch viel teurer, also lasst es lieber bleiben.

Social Design Agency

Eine zentrale Figur hinter der Desinformationskampagne in den USA dürfte der Russe Ilya Gambashidze sein. Er leitet die von der EU sanktionierte russische PR-Firma Social Design Agency. Washington hat jüngst Sanktionen gegen Gambashidze wegen seiner Beteiligung an "einer anhaltenden böswilligen ausländischen Einflusskampagne" verhängt. Er soll auf Anweisung des Kremls unter anderem Websites erstellt haben, die versucht hätten, seriöse europäische Medien zu imitieren, um darauf Falschinformationen zu verbreiten (in Europa als "Operation Doppelgänger" bekannt).

Dass der Kreml Anstrengungen unternimmt, die öffentliche Meinung in den USA zu beeinflussen, ist spätestens seit den Präsidentschaftswahlen 2016 bekannt – auch wenn ihr Einfluss keineswegs als erwiesen gilt. Auch in diesem US- und Europawahljahr ist die Sorge hinsichtlich russischer Desinformationskampagnen groß. (Flora Mory, Fabian Sommavilla, 10.4.2024)