Hummeln gehören zu den besonders gefährdeten Insektenarten. Ihnen setzt sowohl der Klimawandel als auch der Lebensraumverlust zu. Zu diesen bekannten Faktoren dürfte nun ein weiterer Risikofaktor kommen.
AFP/DAMIEN MEYER

Stumm ist der Frühling in unseren Breiten noch nicht. Aber er ist leiser geworden. Das liegt daran, dass in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Insekten auch in Mitteleuropa zurückgegangen ist, und damit gibt es weniger Nahrung auch für andere Tiere wie Vögel, Reptilien und Amphibien. Das Insektensterben könnte aber auch uns Menschen schwer treffen – indem sie als Bestäuber unserer Nutzpflanzen ausfallen. Die Ursachen dürften vielfältig sein. Zwei neue Studien liefern nun eine unerwartete Ursache, die bisher übersehen wurde: bodennahes Ozon.

Um zu illustrieren, dass die Sechsbeiner über die Jahre weniger wurden, wird für die Älteren gern das Bild der Autowindschutzscheiben in Erinnerung gerufen, die früher einmal mit Leichen geflügelter Wirbellosen übersät waren. Doch eine genaue Quantifizierung ist schwierig. Für Aufsehen sorgte deshalb 2017 eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld, der in einer vielbeachteten Publikation im Fachblatt Plos One zum Schluss kam, dass in norddeutschen Naturschutzgebieten die Biomasse der Insekten um bis zu 75 Prozent zurückging.

Eine Überblicksstudie für Österreich, die Anfang 2023 vom Landwirtschaftsministerium präsentiert wurde, lieferte auf den ersten Blick und in der Darstellung des Landwirtschaftsministers nicht ganz so dramatische Ergebnisse: Die mittlere Anzahl der untersuchten Insektengruppen habe sich an den Testflächen im Laufe der vergangenen 30 Jahre nur wenig verändert; bei Tagfaltern und im Gebirge sei es sogar zu Zunahmen gekommen. Bei der Zahl der Heuschrecken, Fangschrecken, Zikaden oder Wildbienen(-arten) wurden aber starke Rückgänge festgestellt; zudem bei der Artenzahl in artenreichen Biotopen, wie die Fachleute eigens herausstrichen.

Klimawandel als wichtiger Faktor

Als Erklärung wird von der Wissenschaft vor allem ein Rückgang des weitgehend naturbelassenen Grünlands zugunsten intensiver Nutzung, dazu Insektengifte sowie Verbauung und Versiegelung ins Treffen geführt. Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels, die hinsichtlich des Insektensterbens allerdings bisher womöglich unterschätzt worden sein könnten. Das legen gleich mehrere Studien nahe, die in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Nature am Mittwoch publiziert wurden, das dem Insektensterben seine Titelseite gewidmet hat.

Nature Cover Insektensterben
Auch die dieswöchige Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" hob das Insektensterben auf das Cover.
Nature

So kommt eine neuerliche Auswertung der Daten aus der Krefelder Studie zum Schluss, dass der Rückgang auch mit Wetterextremen zu tun haben dürfte, die in Verbindung mit dem Klimawandel stärkere Auswirkungen auf das Insektenvorkommen haben könnte als bisher gedacht. Ähnliche Erklärungen liefert auch eine US-Studie zum Rückgang der Diversität der Wildbienen, der in einer anderen Studie aber auch auf die Reduktion ihres Lebensraums zurückgeführt wird.

Ozon stört Kopulation

Einer ganz neuen und bis jetzt unbekannten Erklärung ist ein deutsches Team auf der Spur, das bereits zum zweiten Mal innerhalb nur weniger Wochen darüber im Fachblatt Nature Communications berichtet: Das Team um Markus Knaden (Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena) hat in Experimenten entdeckt, dass erhöhte Ozonwerte als Folge der vom Menschen verursachten Luftverschmutzung die Sexualpheromone von Insekten zerstören, was ziemlich ungünstige Folgen hat. Denn diese Duftstoffe sind als Paarungssignale von entscheidender Bedeutung für erfolgreiche Fortpflanzung.

Bereits im März berichteten die deutschen Neuroethologen über einige erste Auswirkungen, die sie bei der Taufliege Drosophila melanogaster sowie an weiteren neun Arten der Gattung Drosophila feststellten: Die gestörte Sexualkommunikation führte unter anderem dazu, dass sich Männchen mit Männchen paaren wollten. In einer neuen Analyse legt die Forschergruppe noch einmal nach. So konnten sie dokumentieren, dass auch die Artgrenzen bei der Kopulation durch den Verlust der Sexualhormone aufgehoben werden: Verschiedene Taufliegenarten paarten sich kreuz und quer, was Drosophila-Hybride zur Folge hatte, die meist nicht weiter fortpflanzungsfähig waren.

Taufliegen Kopulation
Paarungsversuch zwischen zwei Drosophila-Männchen unter Ozon-Einfluss.
Benjamin Fabian, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Für Teamleiter Markus Knaden liegt der Schluss nahe, dass die Zunahme des bodennahen Ozons eine weitere Ursache des Insektensterbens sein könnte. Er appelliert deshalb dafür, die Grenzwerte für Luftschadstoffe neu zu bewerten, da bereits geringe Mengen dieser Stoffe erhebliche Auswirkungen auf die chemische Kommunikation von Insekten haben dürften.

Unterschätzte Luftschadstoffe

Für den Ökologen Thomas Zuna-Kratky, der die österreichische Insektenstudie leitete, sind die deutschen Studienergebnisse neu. Sie würden aber bestätigen, dass Luftschadstoffe ein bisher nur wenig erfasster Faktor seien, der Insektenpopulationen negativ beeinflussen kann – aber auch nicht der einzige und wichtigste. Für Zuna-Kratky sind die gravierenden Veränderungen des Lebensraums und die Überdüngung aber nach wie vor die greifbareren und besseren Erklärungen für das Insektensterben.

Auch Biodiversitätsforscher Franz Essl waren die neuen Erkenntnisse bisher unbekannt und kamen überraschend. Für den Wissenschafter des Jahres 2022 zeigen sie aber einmal mehr, dass die Folgen der Umweltveränderungen durch Menschen so tiefgreifend sind, dass wir ihre Folgen erst allmählich verstehen. "Und so entdecken wir nach und nach immer neue beunruhigende Risiken des Artensterbens, die zu den bereits bekannten hinzukommen – und sie noch verstärken." (Klaus Taschwer, 13.4.2024)