Sparschwein, repariert
Wer soll die Wahlversprechen von ÖVP und SPÖ bezahlen?
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Drei Szenen aus den vergangenen Tagen. Nachdem die Statistik Austria am Donnerstag ihre neuen Zahlen zur Armutsentwicklung in Österreich präsentiert hatte, schaltete sich Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) in die Debatte ein. Die Zahl der in Armut lebenden Kinder hat sich laut Statistik auf 88.000 verdoppelt. Raab betonte, dass Österreich gegensteuere und viele Förderungen ausschütte, das Land verfüge über "die höchsten Familienleistungen der EU".

Szene zwei: Zu Wochenbeginn sind die Zahlen zu Forschungsausgaben in Österreich präsentiert worden. 16,6 Milliarden Euro gibt Österreich demnach pro Jahr für Forschung aus, ein Drittel über öffentliche Förderungen. Dass die Forschungsausgaben steigen, sei eine gute Nachricht für den Standort, freuten sich Wirtschaftsminister Martin Kocher und Bildungsminister Martin Polaschek (beide ÖVP).

Ausgabenproblem

Szene drei: Kurz davor war Finanzminister Magnus Brunner in ein ZiB 2 -Gespräch über Österreichs Schuldensituation zugeschaltet worden. Österreich habe kein Einnahmen-, sondern, wenn überhaupt, ein Ausgabenproblem, sagte Brunner. Wir müssen "das Anspruchsdenken zurückfahren". Sparen könne man etwa bei Förderungen: Österreich fördere viel mehr als die übrigen EU-Staaten. Allein wenn man das ändere und auf den Schnitt der übrigen Länder absenke, könne der Staat 3,5 Milliarden Euro einsparen.

Ob er nun bei Familien- oder Forschungsleistungen ansetzen wolle – die Forschungsprämie zählt ebenso zu den Förderungen wie der Familienbonus –, sagte Brunner nicht. Für einen ÖVP-Politiker käme das Sparen bei Familien wohl nicht infrage. Aber wo sonst ansetzen?

Ausgebrochen ist die Debatte über Ausgaben und Einnahmen des Staates, weil Fiskalratschef Christoph Badelt mit einer Warnung aufhorchen ließ. Österreichs Defizit, also der Wert, um den die Ausgaben die Staatseinnahmen übersteigen, werde heuer bei 3,4 Prozent liegen. Drei Prozent ist die in der EU im Rahmen der Maastricht-Regeln angestrebte Obergrenze. Badelt verpackte das in eine saftige Warnung: "Wir haben im öffentlichen Budget keinen Spielraum für etwaige Krisen. Das ist das Fürchterliche." Brunner widersprach prompt, das Defizit werde bei nur 2,9 Prozent liegen.

Beliebiger Wert

Wer hier recht hat? Im Grunde ist das unwichtig. Die Drei-Prozent-Marke beruht auf einer politischen Vereinbarung. Aus ökonomischer Sicht ist der Wert beliebig gewählt. Belege, dass drei Prozent besser sind als zwei oder vier, gibt es nicht, wie auch der Ökonom Hans Pitlik vom Forschungsinstitut Wifo sagt. Es gibt eine Reihe von Ländern, die wirtschaftlich mit deutlich höheren Schulden und Defiziten gut oder sogar besser dastehen. Zu sagen, es gebe keinen Spielraum für Krisen, ist vermutlich auch falsch. Der Schuldenstand in der Pandemie ist wie in der Finanzkrise stark nach oben gesprungen und hat dann wieder zu sinken begonnen.

Der Spielraum ist auch deshalb gegeben, weil die lange Phase der extrem niedrigen Zinsen Staaten wie Österreich sehr geholfen hat. Regierungen zahlen ihre Schulden im Regelfall nicht zurück. Sie tilgen alte Kredite durch Aufnahme neuer Darlehen und müssen daher nur die laufenden Zinsen finanzieren. Die Zinskosten sind aktuell ein Bruchteil des Wertes von vor zehn Jahren.

Politisch ist die Sache unangenehmer: Nach mehreren Jahren, in denen die EU-Schuldenregeln außer Kraft waren, gelten sie ab 2024 wieder. Im Prinzip könnte die EU ein Verfahren wegen zu hohen Defizits gegen Österreich einleiten. Aber es gibt für alle Staaten Schlupflöcher für Sondersituationen. Der starke Anstieg der Energiepreise wäre ein Argument. Das Sanktionsregime der Union ist außerdem traditionell lasch, Konsequenzen müsste Österreich wohl nicht befürchten. Allein schon deshalb, weil mehrere große Länder noch schlechter dastehen. Frankreich dürfte heuer ein Defizit von fast fünf Prozent einfahren, und im kommenden Jahr werden es vier sein. Ähnlich sieht es in Spanien aus. Es ist unwahrscheinlich, dass die Kommission den großen Konflikt sucht und allen einen rigiden Sparkurs verordnen will.

Teure Versprechen ...

Aufschlussreich ist die Debatte über die Haushaltslage dennoch, und zwar vor dem Hintergrund des anbrechenden Wahlkampfes. Die ÖVP stellt seit 20 Jahren kontinuierlich den Finanzminister, ein ausgeglichenes Budget zu erstellen ist ihr in dieser Zeit so gut wie nie gelungen. Große Einsparungen, etwa bei den von Brunner erwähnten Förderregimes, hat es in der Zeit nicht gegeben. Jemandem etwas wegzunehmen ist auch nicht einfach. Dazu kommt, dass die Lage komplizierter wird, weil die Zinskosten nun wieder langsam, aber doch steigen. Das Wifo erwartet, dass sich der Anteil der Ausgaben für Zinsen an den gesamten Staatsausgaben bis 2028 etwa verdoppelt.

Hellhörig sollten angesichts dieser Ausgangssituation die Wählerinnen und Wähler werden. Aktuell versprechen insbesondere ÖVP und SPÖ üppige Steuerentlastungen und Investitionen, ohne dazuzusagen, woher die Finanzierung kommen soll. Die FPÖ hat außer der Behauptung, EU und Migration seien schlecht, bisher kein Konzept vorgelegt. Noch sind auch die Grünen still. Die Neos sind bisher die Ausnahme. Sie schlagen etwa Pensionskürzungen vor, um auf der anderen Seite Budgetspielräume zu schaffen.

Am weitesten gehen bisher die Entlastungsvorschläge der ÖVP. In seinem Österreich-Plan hat Kanzler Karl Nehammer vorgeschlagen, die Lohnnebenkosten stufenweise zu senken, es soll einen 1000 Euro hohen Bonus für alle Vollzeitbeschäftigten geben, dazu eine allgemeine Steuersenkung für Beschäftigte und Goodies für Unternehmen. Der Einnahmenentfall dürfte zwischen 13 und 16 Milliarden Euro liegen. Pro Jahr.

... aber wie finanzieren?

Vorschläge zur Finanzierung bewegen sich im homöopathischen Bereich. Die ÖVP will das Arbeitslosengeld leicht absenken und bei Sozialhilfe für Migranten genauer hinsehen. Damit sind keine großen Summen aufzubringen. Die einzig konkretere Idee ist die von Brunner erwähnte, die Förderungen zurückzuschrauben. Aber wo genau, sagt er ebenso wenig wie der Kanzler.

Bei der SPÖ will Parteichef Andreas Babler 20 Milliarden Euro für die grüne Transformation auflegen. Auf Nachfragen, woher das Geld dafür kommen soll, erklärte Babler, dass sich Österreich Strafzahlungen in Milliardenhöhe erspare, wenn es sich an Klimaziele halte. Sogar wenn das stimmt: Ein nicht kassierter Strafzettel bedeutet ja noch nicht, dass jemand mehr Geld für den nächsten Einkauf hat. Babler führte auch aus, dass er die Einnahmen aus Staatsbeteiligungen verwenden will. Aber dieses Geld ist schon im laufenden Budget verplant.

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Knackpunkt Finanzierung

Es gibt natürlich gute Gründe, die Steuer- und Abgabenlast wie von Nehammer skizziert zu senken. Klimaschutz ist ein wichtiges Anliegen, für das Investitionen notwendig sind. Aber wer diese Ansagen macht, sollte skizzieren können, wie dies finanziert werden soll.

Es gibt dafür drei Möglichkeiten: höhere Steuern, weniger Ausgaben oder höhere Schulden.

Ökonomisch spricht wenig dagegen, den Schuldenstand noch einmal steigen zu lassen, wenn damit Investitionen getätigt werden. Schulden sind zwar eine Belastung für künftige Generationen, weil sie höhere Zinszahlungen in der Zukunft bedeuten, wie Wifo-Ökonom Hans Pitlik sagt. Aber dass künftige Generationen lieber mehr Schulden und dafür ein intaktes Klima überlassen bekommen, darf zumindest vermutet werden. Über diese Fragen befinden müssen aber die Wählerinnen und Wähler heute. Und die müssen wissen, worauf sie sich einlassen.(András Szigetvari, 27.4.2024)